Die AfD und ihr Think Tank V

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Heute: Björn Höcke und sein Lehrling Nils Wegner

Von Christian Niemeyer

Das Kapitel zu Björn Höcke aus meinem Buch Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps & Putins Untergang (2023) ist hier schon als Vorabdruck erschienen.[1] Was aber nicht heißen muss, es gäbe nichts weiter zu dieser – wie Nietzsche wohl scherzen würde – „blonden Bestie“ aus Lünen, dort geboren am 1. April (welchen Jahres, ist mir entfallen), in meinem Buch. Basierend etwa auf der Analyse des wohl wichtigsten Schlüsseltextes der Neuen Rechten, dem  Gesprächsband Tristesse Droite (2015) – was, da ansonsten ignoriert, meinem Buch fast schon ein Alleinstellungsmerkmal sichert. Der dort in sonst nie gehörter Offenheit auftretende Kreis von Antaios-Autoren aus Schnellroda (Thorsten Hin, Ellen Kositza, Götz Kubitschek, Erik Lehnert, Martin Lichtmesz, Nils Wegner und Raskolnikow) steht meiner Einschätzung nach[2] für den, Stand Ende 2013, Nucleus des Think Tank der Neuen Rechten insgesamt sowie der AfD als dessen parlamentarischer Arm. Es steht des Weiteren, Stand Juli 2023, aber erst in Folge XII Thema, für den Kern dessen, was die Genannten im Wikipedia nachgebauten Neonazi-Lexikon Metapedia verbreiten. Was zugleich meint: Unter, horribile dictu, Reichskanzler Björn Höcke und Vizekanzler Merz 2028 wären die Vorgenannten, so der Verfassungsschutz nicht eingreift, Teile des Kabinetts, mit Ausnahme von Raskolnikow und unter Beiseitesetzung des dem ‚nützliche-Idioten‘-Diktum zu unterwerfenden aktuellen AfD-Personals. Sowie unter Umkehrung der bis dato dominierenden Strategie der neu-rechten Schickeria, die AfD, so Götz Kubitschek, als „Jobmaschine“ (zit. n. Kositza/Kubitschek 2015: 16) zu nutzen.

Meint zugleich: Unter Höcke 2028 wäre Erik Lehnert, zwischenzeitlich als Mitarbeiter in einem AfD-Bundestagsbüro mit (Neo-) Kolonialismusfragen beschäftigt, ein Ministerium kaum zu verweigern, vielleicht neben „Kolonialismus-Minister“ Marc Jongen sowie, vielleicht als „Propagandaministerin“, Alice Weidel, deren knallharte Rhetorik Mann zu schätzen weiß. Ob aber auch, wie sie aktuell wähnt, bis hinein ins Kanzleramt? Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass eine Kritik an der Schauspieltruppe Chrupalla, Weidel & Co. in Unkenntnis von Drehbuch, Regie, Maske, Souffleur und Bühnentechnik so sinnvoll ist wie der Versuch, die Titanic mit einem Tauchboot oder den Mond mit einem von Elon Musks‘ Teslas erreichen zu wollen. Oder so sinnvoll wie der Vortrag der Alice Weidel beim 60. Geburtstag ihres Coaches Karlheinz Weißmann. Ein Vortrag, den man allenfalls als Zeichen verbuchen darf. Nicht aber, als Text, also seiner Aussage nach, ernst zu nehmen hat.

Anders gesagt, um nun diesen Alptraum zu ersetzen durch einen anderen, durch Tristesse Droite inspirierten: Jüngster Teilnehmer damals, Ende 2013, war Nils Wegner, Jg. 1987, Kultur- und Geschichtswissenschaftler, Lektor bei Antaios (bis 2018).  Das bemerkenswerteste Statement des damals 26-jährigen aus dem niedersächsischen Achim im Rückblick auf seine Schulzeit: „daß man offensichtlich nur Schwachsinn erzählt bekommt“ (zit. n. Kositza/Kubitschek 2015: 101) – eine Bemerkung, welche die Frage erlaubt, warum er diese Untugend selbst praktiziert? Denn Wegners Beitrag in Bd. 5, Deutsche Daten (2017), des Staatspolitischen Handbuchs aus dem neu-rechten Antaios-Verlag in Schnellroda (Herausgeber: Erik Lehnert) zum 18. Juli 1942, also anlässlich des Erstflugs des ‚Düsenjägers‘ Me 262, ist Schwachsinn auf dem Niveau eines  technikbegeisterten Dreizehnjährigen, dem man den Namen Hitler erst noch buchstabieren muss, ebenso wie das Wort Zwangsarbeit. Und der offenbar noch nichts davon gehört hat, dass man nicht abschreiben darf, zumal nichts von Wikipedia, und dies schon gar nicht unter Zeitdruck, heißt: Lieber Herr Wegner, bitte beim nächsten Mal, bevor Ihr PC auf Sparstrommodus schaltet, noch notieren, wer denn diese „Wunderwaffe“ Me 262, oft für den Preis des Lebens, zusammenschrauben musste: mehrheitlich KZ-Häftlinge nämlich, stammend aus auf Wikipedia säuberlich aufgelisteten KZ-Außenlagern. Darunter das KZ Flossenburg (vgl. Knopp 2002: 217).

Dass Wegner davon nichts wissen will, heißt nicht, dass man es nicht wissen kann: etwa auch, dass Himmler im Oktober 1943 in Posen gespottet hatte, ob „bei dem Bau eines Panzergrabens 10 000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht“, ihn „nur insoweit [interessiert], als der Panzergraben für Deutschland fertig wird“ (zit. n. Westemeier 2014: 196); oder dass Hitlers für Rüstungsprojekte wie die Me 262 verantwortliche williger Helfer Hans Kammler (1901-1945), Generalmajor der Waffen-SS (vgl. Höhne 1967: 375 f.; Klee 2003: 297), durch Himmler-Sprüche ermuntert, noch im März 1945 unfassbare Massaker an nun nicht mehr benötigten polnischen und sowjetischen Zwangsarbeitern beging resp. anordnete (vgl. Bürger / Hahnwald / Heidingsfelder 2015: 22 f.), mit der Folge von damals selbst im Spiegel (unter dem Titel Die Mörder sind unter uns, v. 11.12.1957) heftig beklagten viel zu milden Urteilen. Auch – im Ausblick auf Kommendes gefragt – „Siegerjustiz“, werter Herr Lehnert?

Bleiben wir aber vorerst bei Lehnerts Gesinnungsgenossen Wegner, weiterhin den Nachweisen für den von ihm präsentierten Schwachsinn auf der Spur, diesmal unter Konzentration auf den dritten Artikel dieses damals Dreißigjährigen aus diesem Handbuch, jenem zu Hauptmann Rudolf Berthold. Mein Befund: Wegner weiß nichts, kennt nichts, will offenbar nichts wissen und kennen – und riskiert gleichwohl ein großes Wort im Sinne von Björn Höckes Auftrag, einer „erinnerungspolitischen Wende um 180°“ zuzuarbeiten. Tröstend vielleicht das Alter des so Redenden, mittels des Vergleichs mit einem Promi geredet: Nietzsche hat eigentlich alles, was er bis 1874, also bis zu seinem dreißigsten Geburtstag, geschrieben hatte, vier Jahre später zur Disposition gestellt, inklusive seines frühen Antisemitismus, den er Wagner abgelauscht hatte. (vgl. BNA1: 538 ff.) Insofern besteht für das Jahr 2017 plus 6, also für 2023, noch, was Wegner angeht, Hoffnung. Bis dato gilt, ins Allgemeine gewendet, die beruhigende Botschaft: Vor derlei völkischer Wissenschaft muss einem nicht bange sein. Wohl aber vor der völkischen Wissenschaft à la Wegner, inspiriert durch Höcke. Der voller Stolz und selten dumm ausplauderte, Nietzsches Historienschrift von 1874 (= UB II) habe sein „Selbstverständnis als Geschichtslehrer“ beeinflusst. (Höcke/Hennig 2018: 77) Was dies heißt, klärt sich mittels der Frage, welches Historienkonzept Höckes Aufmerksamkeit mehr als sechzig Jahre nach Ende der NS-Zeit gilt: Jenes aus selbiger, das sich in der Pädagogik, der westdeutschen jedenfalls, keiner besonderen Wertschätzung erfreute: „Eine Wurzel des nationalsozialistischen Mythos finden wir, wie zu erwarten, bei Nietzsche“, schrieb beispielsweise 1948 der Nohl-Schüler Erich Weniger, und zwar vor allem in Richtung auf Nietzsches „Theorie von der Funktion der monumentalen Historie“ (Weniger 1948: 259). Im Zentrum dabei: Die Hoffnung Nietzsches, es werde ein siegfriedhaftes „neues Geschlecht“ entstehen, das sein moralisches „So soll es sein“ unerschrocken gegen das geschichtliche „So ist es“ (I: 311) setzt – eine Botschaft, die Weniger vor 1945 entgegen des Eindrucks, den er nach 1945 erweckte, vergleichbar getreulich umsetzte wie Wegner 2013 wie 2017 in Gefolgschaftstreue gegenüber seinem Geschichtslehrer Höcke. Allen dreien entgeht, was schon die Nazis an Nietzsche störte, weswegen sie kein Wort darüber verloren: über sein Konzept „kritischer Historie“ nämlich, also etwa über den zu seiner Begründung erforderlichen Satz Nietzsches:

Wer aber erst gelernt hat, vor der ‚Macht der Geschichte‘ den Rücken zu krümmen und den Kopf zu beugen, der nickt zuletzt chinesenhaft-mechanisch sein ‚Ja‘ zu jeder Macht, sei dies nun eine Regierung oder eine öffentliche Meinung oder eine Zahlen-Majorität, und bewegt seine Glieder genau in dem Takte, in welchem irgend eine ‚Macht‘ am Faden zieht. (I: 309)

Dieses Zitat zeigt zugleich, dass Nietzsches so häufig kritisierte Verachtung der Massen auch eine andere Seite kennt: die der Rhetorik der Befreiung von Herrschaft. Diese Rhetorik war den Nazis so verhasst, wie sie heute der Neuen Rechten ist – weswegen Höcke und sein Schüler Wegner meidet wie die Pest; ebenso wie Nietzsche zentrale Botschaft, dass es, allem je Gewordenen zum Trotz, sehr wohl darauf ankommt, ‚wie du bist‘ und ob und wie Du Herrschaft über die Gründe Deines Handelns gewinnst. Zwingend natürlich gegen jene, die Dich für die AfD zu gewinnen suchen.

Fortsetzung folgt.

–> Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps und Putins Untergang

[1] www.hagalil.com
[2] Abweichend ein neuer Sammelband (Meiering 2022), in welchem Hinz, Lehnert und Raskolnikow noch nicht einmal dem Namen nach bekannt sind, Wegner nur am Rande vorkommt und sich zu dem verbleibenden Trio nur Beiläufiges findet.