Die AfD und ihr Think Tank IV

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Heute: Thorsten Hinz

Von Christian Niemeyer

Zwecks Einführung in Thorsten Hinz‘ Denkart scheint mir Nietzsches geniales Spottwort von 1888 geeignet zu sein:

„Deutscher Geist“: seit achtzehn Jahren eine contradictio in adjecto. (VI: 62)

Von was redet Nietzsche hier? Und mit wem? Ganz einfach: Nietzsche redet mit sich selbst, als er achtzehn Jahren jünger war und seiner Sorge Ausdruck gab, der deutsch-französische Krieg von 1870/71 werde zur „Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des ‚Deutschen Reiches‘“ (I: 145) beitragen – und der nun, 1888, feststellen muss: Ich hatte Recht! Indes: Wer, wie Thorsten Hinz von Dieter Steins Junge Freiheit Verlag, diese Lektion ob ihres anti-bellizistischen Charakters scheut, muss um das herausgestellte Zitat und dessen Vorgeschichte herumlesen. Und kann dann in aller Unschuld dartun, Nietzsche habe lediglich auf die Gefahren alkoholbedingter Einschränkung „aller feinen und kühnen Beweglichkeit des Geistes“ (IV: 104; Hinz 32011: 45) hinweisen wollen. Auch solcher Volten wegen darf sich Hinz des Beifalls der Unwissenden sicher sein. Er, Hinz, sei der „aufglühende Stern“ (Günter Zehm), wenn nicht gar: „das eigentliche Alpha-Tier“ (Michael Klonovsky; ebd.: Rückumschlag) neu-rechter Publizistik. Sagen zwei Repräsentanten neu-rechter Publizistik, hinzugerechnet Erik Lehnert. Der dies, um ehrlich zu sein, zwar nirgends gesagt hat; aber wohl nur deswegen nicht, weil er sich selbst als Alpha-Tier sieht (und als solches den Blick auf die Lichtung nicht verstellen will).

Fein. Nachdem dies geschluckt wurde, darf ich ungesäumt weitermachen. Etwa mit der Versicherung: Man muss schon – um Hinz‘ Argument aufzunehmen – sehr betrunken sein, um nicht zu erkennen, dass Nietzsche 1888 nichts anderes sagte als 1879. Damals trug er seine Forderung nach „Wendung zum Undeutschen“ vor, adressiert an die „Tüchtigen unseres Volkes“ zwecks Geistwerdung derselben – eine Forderung übrigens, die nolens volens auch für jene gilt, die sich aktuell als Inkarnation des deutschen Volks gerieren: die AfD. Meine Pointe kann insoweit kaum fraglich sein: Nicht, dass der Think Tank der AfD keine Wissenschaft kann, ist mein springender Punkt; sondern dass er sie nicht will, weil ihre Ergebnisse ihm nicht in den Kram passen.

Vollständig wird diese Analyse allerdings erst, wenn wir komplementäre Leitsätze der Neuen Rechten zu jenem eben herausgestellten Nietzsches (von 1888) herauszustellen in der Lage sind. Nein, es geht hier nicht, wie Per Leo (2013: 90) annehmen könnte (ob er es annimmt, ist schwer zu sagen), um den Nietzsche-Aphorismus: „Schreibe mit Blut und du wirst sehen, dass Blut Geist ist.“ Derlei ist nämlich nur eine Petitesse, die aus stilistischen Gründen dem Schreibenden anrät, lange wach zu bleiben, auch über die Grenze des Zumutbaren hinaus. Als Gegenwort zu jenem Nietzsches, das auch die Interessen der schlagnahe gebauten Neuen Rechten von Kubitschek-Format bedient (wohlgemerkt: ich rede hier vom Typus, nicht von dieser sehr netten, wunderbar schwäbelnden konkreten Person), kommt für mich nur der Satz in Betracht:

            Blut und Erkenntnis müssen zusammenfallen im Leben. Dann entsteht Geist.

Wer erzählt einen solchen Unsinn? Ein Boxer kann es nicht sein, denn er weiß in der Regel oder erlebt es am Ende seines zumeist bedeutend verkürzten Lebens, dass „Blut und Erkenntnis“ in der Regel nicht „Geist“ ergeben, sondern „Ungeist“, Demenz beispielsweise. Aber weniger überraschend wäre, wenn der Satz von einem stammte, der zuvor zu Papier gebracht hat:

Jetzt spüre ich den Schmerz des Armes nicht, jetzt schlag ich auch, wo niemand mich bedroht […]. Die Weiber sind die schlimmsten. Männer prügeln, Weiber spucken auch und keifen, und man kann so ohne weiteres nicht die Faust in ihre Fratzen pflanzen.

„Wer redet so? Ein Aussteiger? Etwa Mr. Y? Oder ein noch aktiver Rechtsausleger, etwa aus Fretterrode?“ Nun, ganz einfach, aber nicht einfach zu glauben: So redet ein Idol der Neuen Rechten, Ernst von Salomon. Einer Edition seines Romans Die Geächteten (1930), zufolge (vgl. Salomon 1930: 162), die 2011 via Unitall auf uns kam. Und die versehen ist mit einem Cover von Nick (Russia).[1] Über Salomon und dessen neu-rechte Verehrer, vor allem Erik Lehnert & Götz Kubitschek, nachgeordnet Nils Wegner, zu urteilen, werden wir noch später Gelegenheit nehmen (vgl. Kap. 10), ebenso wie über Fretterode sowie Aussteiger wie Mr. Y (vgl. Kap. 9). Hier nur noch der Hinweis, dass das von Salomon seinem Roman als Motto vorangestellte Zitat von Franz Schauwecker stammt, einem von Goebbels bewunderten und von Armin Mohler rehabilitierten NS-Literaten der Ernst-Jünger-Fraktion. Eine schöne Erblinie also, welche sich dieser Schnellroda-Zweig des Think Tank der Neuen Rechten da verpflichtet.

Von diesem Beispiel ausgehend wird nun vielleicht verständlich, dass dieses Buch natürlich nicht den verharmlosenden Titel Intellektuelle Rechtsextremisten tragen konnte. Eher schon wäre, ganz im Sinne Nietzsches, ein Titel in Betracht gekommen wie Verdummendes Deutschtum. Positiv reformuliert: Es muss gehen und geht in diesem Buch, und zwar bis in die letzten Winkel des Klandestinen hinein, um Björn Höcke (Kap. 5), Udo Ulfkotte (Kap. 7.1), Christopher Clark (Kap. 8.6), Gerald Franz resp. Alfred de Zayas (Kap. 8.7), Erik Lehnert (Kap. 9), Nils Wegner (Kap. 11), Michael Klonovsky (Kap. 4.3), Jean Raspail (Kap. 2.3) sowie, als begnadeter Ausputzer und böser Geist, „der stets verneint“, über allem und jedem schwebend: Es geht in diesem Buch immer mal wieder um (und gegen) Thorsten Hinz von der Jungen Freiheit.

Damit bin ich endlich glücklich bei meinem eigentlichen Thema für heute, Thorsten Hinz, dieser 1962 in Barth in Vorpommern aufgewachsene Journalist, der Germanistik in Leipzig studierte und 1994 zur Jungen Freiheit stieß. Hinz ist gleichsam der ostdeutsche Beitrag zum westdeutschen Höcke-Unsinn; „man“ sei als Ex-DDR-Bürger nun einmal mit „einem an der DDR-Diktatur geschulten feinen Gespür für Gängelungs-, Bekenntnis- und Unterwerfungsrituale“ ausgestattet, erklärte er 2008 auf dem Klappentext (U 2) zu seinen damals unter dem Titel Das verlorene Land erschienenen gesammelten Aufsätzen zur deutschen Geschichtspolitik aus der Jungen Freiheit.

Und was hat er daraus gelernt, und zwar schon damals? Etwa die DDR-Diktatur bekämpft à la Gorbatschow? Und später Putin bekämpft wg. Nawalny? Oder – das glaube ich jetzt nicht, werter Herr Hinz, aber es scheint wahr zu sein – haben Sie etwa nur die angebliche BRD-Diktatur bekämpft, nachdem Sie endlich im gelobten Land waren? Und danach die Merkel-Diktatur? Und wenn ja: Warum dies alles? Nun ja, so geht der Sermon in Hinz‘ hier in Rede stehendem Klappentext weiter: Weil „die Geschichtspolitik des wiedervereinigten Deutschland“, insonderheit die These von Ex-Außenminister Fischer, „das neue Deutschland habe sein ‚einziges Fundament‘ im Holocaust“ (U 2), irgendwie ärgerlich sei. Und, wie ich jetzt einmal ergänzen will, mit dem späteren Alexander Gauland: weil diese Geschichte, diesen „Vogelschiss“ für’s Ganze nehmend, zu nichts tauge und nur – so wieder O-Ton Hinz, 2008 – eine „vollständige Moralisierung des Politischen zur Folge“ habe, etwa dahingehend, dass jede Debatte „auf ihre mutmaßliche Nähe zur NS-Ideologie überprüft und durch eine eilfertig Verdachtsrhetorik oft vorzeitig beendet wird. Eine ernsthafte öffentliche Auseinandersetzung mit den Zukunftsfragen der Nation findet nicht mehr statt.“ (U 2)

Aha, damit ist die Katze aus dem Sack: Der ewige „Schuldkult“ (Höcke) belaste den Wiederaufstieg der deutschen Nation – ein Programmpunkt, in dessen Logik sich die AfD als potentiell toxisch für Millionen erweisen könnte, und zwar in zwei Hinsichten:

  1. Wegen des von dieser Partei und ihrem Think Tank bis zum Beginn von Putins Krieg in der Ukraine systematisch ausgebauten, nicht zuletzt von Thorsten Hinz grundgelegten Geschichtsrevisionismus, der, recht unverhohlen ausgesprochen durch AfD-Lautsprecher wie Alexander Gauland oder Björn Höcke, auf Korrektur der Ergebnisse des II. Weltkriegs geht, hier und dort wohlmöglich aus familienbiographisch zu entschlüsselnden Gründen, will sagen: Am Ende ist der ganze Bellizismus der AfD nichts weiter als das verheerende Ergebnis verbohrter Ostvertriebener der 2. oder 3. Generation in ihrem Think Tank, darunter, führend, Erik Lehnert und Thorsten Hinz, aber auch Raskolnikow, die auf wundersame Weise zusammenkommen mit gleichgesinnten Ostvertriebenen unter den Historikern, mit Alfred de Zayas als – da als US-Historiker geltend – unverdächtigem Feigenblatt (vgl. Kap. 7) und Erika Steinbach (AfD, vorm. CDU) als parlamentarischem Arm.
  2. Wegen der vor allem von ihren führenden Politikern wie Alice Weidel und Timo Chrupalla nach dem Beginn von Putins Krieg in der Ukraine forcierten Putin-Unterstützung, die vergleichsweise leicht erklärt werden kann: Putins Krieg ist geschichtsrevisionistisch insofern, als er die Ergebnisse von Gorbatschows Aufklärung rückgängig machen soll – Ergebnisse, unter denen auch die gegenaufklärerische AfD litt (und leidet). Aus diesem Grund, auch aus wahltaktischen Gründen, redet die AfD aktuell auf einmal dem Gegenteil, also dem Pazifismus, das Wort.

Nochmal: Jener Bellizismus als auch der aktuelle Pazifismus der AfD könnten sich je auf ihre Art als toxisch für Millionen erweisen, im Einzelnen und wieder etwas abgehoben, textästhetisch gesprochen:

  1. Seien es nun Deutsche und die von ihnen Überfallen im Glauben, es gelte, dem AfD-nahen Geschichtsrevisionismus Tribut zu zollen.
  2. Oder seien es die von Putin Überfallenen aus seinem Wahn heraus, es gelte, die von Gorbatschow qua ‚Glasnost‘ und ‚Perestroijka‘ vorangetriebene Besiegelung des Schicksals der Sowjetunion rückgängig zu machen in Gestalt eines von Alexander Dugin skizzierten „Neu-Russland“ – ein Plan, von dem die AfD als Anti-Gorbatschow-Bewegung zu profitieren hofft und dem sie entsprechend, als neue ‚Friedenspartei‘, Auftrieb zu geben versucht.

Ist die AfD deswegen ein „Beobachtungsfall des Verfassungsschutzes“ und ergo hier sowohl in guten als auch richtigen Händen? Beides nein, ersteres, weil eher unwichtig ist und einem Nebenkriegsschauplatz zugehört, wer, wann, wo seinen Arm hebt oder sich auf lächerliche, schon Charlie Chaplin (The Great Dictator [1940]) erheiternde Art seinen Bart stutzt.

Nicht falsch verstehen: All dies muss, heutzutage und zumal in Deutschland, gemeldet und möglichst zur Anzeige gebracht werden, steht indes eher für Putin-Peanuts. In einem in Cocktailbars anschaulich zu machenden Bild geredet: Ein Peanut in Form eines Eiswürfels, seinem – und dies ist das Entscheidende – nicht-sichtbaren Bereich nach. Auch hier bitte nicht falsch verstehen: Ich behaupte nicht, dass in, wie man in meiner Jugend sagte, „Pullach“ (als Synonym für den dort ansässig gewesen BND) keine klugen, studierten Leute säßen, Politikwissenschaftler etwa. Ich behaupte lediglich, dass die klügeren nach wie vor an den Unis zu finden sind und schlicht mit mehr analytischer Power ausgestattet sind. Was leider vom Verfassungsschutz, aus Gründen, die man bei Nietzsche unter „Menschliches, Allzumenschliches“ nachschlagen kann, ignoriert werden.

Ein Beispiel sagt hier mehr als tausend Worte, dies unter erneuter Darbietung einer Geschichte, die zur Kenntnis zu nehmen bis auf den heutigen Tag niemand aus dem Sektor der Vorgenannten sich getraute. Diese Geschichte beginnt eigentlich sehr freundlich, nämlich mit einem „Chapeau!“ an die Schlapphüte, ehe wortwörtlich folgt, hier ohne Gänsefüßchen zitiert: Die doch tatsächlich laut Spiegel Nr. 10/2021 „auf 1001 Seiten“ in einem „vertraulichen Gutachten“ zwecks Einordnung der AfD als „Verdachtsfall“ noch etwas in diesem Schwarzbuch nichts Erwähntes herausbekommen haben: nämlich dass Petr Bystron (AfD) im September 2020 auf Twitter eine Karikatur von Markus Söder (CSU) veröffentlichte „mit einer zum Hitler-Bart geschrumpften Maske“, „daneben der Satz: ‚Mund- und Nasenschutz keinesfalls über 88 Grad waschen.‘“ Folgt, übergangslos und im schlechten Deutsch, die Erläuterung:

Bei Neonazis ist die 88 der Code für ‚Heil Hitler‘, weil das ‚H‘ der achte Buchstabe im Alphabet ist. (Sp Nr. 10/2021: 38)

„Sorry!“ an dieser Stelle via Spiegel, aber derlei Oberlehrerattitüde geht mir schwer auf die Nerven. Und, wie gesagt und dies nun erläuternd: „Chapeau!“ an die Schlapphüte, dass sie die Sache mit Bystron herausbekommen haben durch – so der Spiegel, ehrfurchtsvoll – Auswertung von „Hunderten Reden, Facebook-Postings und Auftritten von AfD-Politikern auf allen Parteiebenen.“ (ebd.)

Freilich, womit nun das Wasser kommt zu diesem Wein: Um die, grob geschätzt, 1001 Seiten meines Schwarzbuch Neue/Alte Rechte von 2021 sinnvoll befüllen zu können, bedurfte es schon ganz anderer Quellen, Bücher und Aufsätze beispielsweise aus wenn schon nicht 1000 Jahren, so aber doch bevorzugt aus dem Tausendjährigen Reich sowie von jenen, die eben dieses als „Vogelschiss“ abzutun suchen. So gesehen gilt: Nichts gegen Schlapphüte – aber alles für „kritische Historie“ à la Nietzsche. Sowie: Nichts gegen „vertrauliche Berichte“ – aber alles für das mit diesem Buch hoffentlich beschleunigte Ende der AfD. Die auf dem ‚Dritten Weg‘ hin ins ‚Vierte Reich‘ zu sein scheint, und zwar mit oder ohne Reichsbürger. Was nur jemand aufhalten kann, der auf die Kraft des besseren Arguments qua elaborierter Wissenschaftlichkeit vertrauen kann. Ein Lastenheft, das leider gänzlich gegen Thorsten Hinz spricht.

Fortsetzung folgt.

–> Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps und Putins Untergang

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