Zerspiegelte Welten

0
61

Antisemtische Einstellungen spiegeln sich mitunter in der gewählten Sprache. Dies gilt auch für scheinbar harmlose sensibilitätsfreie Statements, was Julia Bernstein in ihrem Buch „Zerspiegelte Welten. Antisemitismus und Sprache aus jüdischer Perspektive“ veranschaulicht. Es kann als Einführung in ein wichtiges Forschungsfeld gelesen werden.

Von Armin Pfahl-Traughber

In der Antisemitismusforschung kursiert die Bezeichnung „Kommunikationslatenz“ (Bergmann/Erb), womit eine besondere Erscheinungsform von Judenfeindschaft nach der Shoah erfasst werden soll. Denn der Antisemitismus ist durch die Erinnerung an die Massenmorde öffentlich diskreditiert, gleichwohl findet er seine Fortsetzung im nicht-öffentlichen Raum mitunter in latenter Weise. Dabei kommt der bedeutendsten Kommunikationsform, eben der Sprache, auch große Wichtigkeit zu. Bestimmte Formulierungen können noch so unverdächtig wirken, transportieren aber indirekt einschlägige Ressentiments. Darauf haben Forschungen in den letzten Jahren mehrfach hingewiesen, wobei die Arbeiten von Monika Schwarz-Friesel besonders wichtig waren. An sie knüpft auch teilweise Julia Bernstein an. Sie ist Professorin für soziale Ungleichheiten und Diskriminierungserfahrungen im Fach Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences. In ihrem neuen Buch „Zerspiegelte Welten. Antisemitismus und Sprache aus jüdischer Perspektive“ geht sie derartigen Zusammenhängen nach.

Als zentrale Fragestellung heißt es einleitend: „Wie findet Diskriminierung von oder Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden in der Sprache als historisch und kulturell geformtes begriffliches Ordnungssystem, das die Wahrnehmung und das Denken rahmt, und im Sprechen als daran geknüpftes Handeln einen Ausdruck?“ (S. 8). Um Antworten darauf zu finden, verkoppelt die Autorin unterschiedliche Blickrichtungen, enthält ihr Buch doch ideengeschichtliche, philosophische, sprachwissenschaftliche wie soziologische Perspektiven. Die Formulierung „aus jüdischer Perspektive“ aus dem Untertitel darf dabei nicht irritieren, es gibt verständlicherweise nicht die jüdische Perspektive. Gemeint ist allgemein die Betroffenheit von entsprechenden Feindbildern und Ressentiments. Bernstein zeigt sie durch das Buch immer wieder mit anschaulichen Fällen, die auch aus persönlichen Begegnungen oder Erzählungen anderer Personen stammen. Dabei geht es nicht darum, die erwähnten Eindrücke auf die Gesamtgesellschaft pauschal zu übertragen. Denn die sprachliche Erscheinungsform einschlägiger Stereotype steht dabei im Zentrum.

Die Aufmerksamkeit richtet sich entsprechend nicht nur auf eindeutig judenfeindliche Statements, sondern auf Anspielungen und Codes scheinbar ohne solche Hintergründe. Deutlich wird etwa, dass die rein beschreibende und wertneutrale Formulierung „Jude“ in bestimmten Kontexten ohne mitformulierte Wertungen doch antisemitisch motiviert ist. Bezogen auf ideengeschichtliche Aspekte ist etwa das Bild, das „Geld“ und „Juden“ als Stereotyp kombiniert, trotz seiner mittelalterlichen Herkunft immer noch als antisemitisches Zerrbild relevant. Bernstein verweist auf einschlägige Codes wie „Finanzoligarchie“, „Globalisten“ oder „Internationalisten“. Dabei bedarf es verständlicherweise eines differenzierten Blicks, können solche Termini doch anders gemeint sein. Gleichwohl gehen solche Bekundungen nicht selten mit entsprechenden Bildern einher, wobei die antisemitische Dimension angeblich oder tatsächlich den sprachlichen Nutzern nicht bekannt ist. Die Erörterungen derartiger Fallbeispiele, die sich durch die einzelnen Kapitel zieht, verweist auf die Notwendigkeit einer antisemitismussensiblen Sprache.

Bernstein zeigt dies anhand der „Israelkritik“ auf, wobei sie gelegentlich ironisierend gegen manche Rechtfertigungs- und Verteidigungsstrategie kommentiert. Die Autorin nennt dazu aber auch Differenzierungskriterien: „Dass sich bei der ‚Israelkritik‘ hinter dem vorgeblichen gesellschaftlich goutierten Tun, Kritik zu üben, etwas anderes verbirgt, lässt sich daran aufzeigen, was tatsächliche Kritik ausmacht, dass sie häufig ihren Ansprüchen widerspricht, nicht auf Juden bezogen zu sein, dass sie darauf beruht, den jüdischen Staat nach anderen Maßstäben zu bewerten und dass sie eine schuld-und erinnerungsabwehrende Funktion hat“ (S. 41). Bernstein veranschaulicht das jeweils Gemeinte aber nicht nur an öffentlichen politischen Statements, sie erzählt ebenso von Aussagen beim Besuch ihres Zahnarztes. Dessen positiv gemeinte Kommentare, die sich dann in irgendeiner Form auf alle Juden beziehen würden, stehen aber auch gegenüber einer Einzelperson für kollektive Zuordnungen. Bernstein macht kritisch auf diese wie andere Dimensionen des auf Antisemitismus und Sprache bezogenen Kontextes aufmerksam. Der Band führt gut in das Forschungsfeld ein.

Julia Bernstein, Zerspiegelte Welten. Antisemitismus und Sprache aus jüdischer Perspektive, Weinheim 2023 (Beltz Juventa), 135 S., Bestellen?