Schießwütiger mutmaßlicher Reichsbürger vor Gericht 

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Am 5. April 2023 begann vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen den mutmaßlichen Reichsbürger Ingo K. (55), der auf eine Hausdurchsuchung zum Entzug seiner Waffe mit Schüssen auf die Polizei-Beamten reagiert hatte.

Von Lucius Teidelbaum

Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich am Morgen des 20. April 2022 in dem kleinen Ort Bobstadt (Boxberg) im nördlichen Baden-Württemberg ereigneten. 14 Beamte des Sondereinsatzkommandos (SEK) versuchten in die Erdgeschosswohnung von Ingo K. zu gelangen, um eine Waffe zu beschlagnahmen, die dieser nach Entzug der Waffenbesitz-Erlaubnis widerrechtlich besaß. Da Ingo K. als Reichsbürger bekannt war, kam ein SEK zum Einsatz. Auch sonst durfte der 55-Jährige nicht unterschätzt werden, hatte er doch im Raum Bad Mergentheim als Kampfsport-Trainer gearbeitet.

Ingo K. beginnt die Beamten aus einer Schnellfeuerwaffe zu beschießen. Ein Polizist wird dadurch in beide Beine getroffen und ein weiterer entgeht nur durch einen ballistischen Schutzschild schweren bis tödlichen Verletzungen.

Nach zwei Stunden Verhandlung ergibt sich Ingo K. den Behörden. Laut Presse-Berichten wurden im Haus wurden Nazi-Devotionalien und Reichsflaggen entdeckt.[1]

Auf Grund der Schwere der Tat und die politischen Hintergründe übernahm die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren. Der Angeklagte saß seitdem in Untersuchungs-Haft. Somit begann der Prozess gegen Ingo K. nach einem knappen Jahr in U-Haft. 

Erster Prozess-Tag

Kurz nach 10 Uhr begann der Prozess. Im Gerichtssaal waren mehr Medien-Vertreter*innen als normale Besucher*innen versammelt.

Als der Angeklagte herein kommt, wirkt er gelockert bis gelöst und folgt anschließend interessiert den Ausführungen des Staatsanwalts. Bei Ingo K. handelt sich um einen eher kleinen, aber muskulösen Mann mit langen, ergrauten Haaren und einem ebenso langen Bart. Einen Teil seines Kopfhaares hat er zum Zopf gebunden. Er sieht ein wenig so aus wie der Statist aus einem Wikinger-Spielfilm. Möglicherweise ist das kein Zufall, war doch an den Gebäuden auf dem durchsuchten Grundstück eine rote Tyr-Rune aus Holz angebracht worden[2], die inzwischen aber wieder verschwunden sein soll. 

In seiner Verlesung der Anklageschrift benannte der Staatsanwalt Peter Frank die einzelnen Anklagepunkte: Tötungsversuche gegen die Beamten des SEKs und Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Seine Waffenbesitz-Erlaubnis wurde Ingo K. von der zuständigen Behörde im August 2021 widerrufen. Damit verfügte der Angeklagte widerrechtlich über eine Handfeuer-Waffe und das Amtsgericht Mosbach verfügte Ende März 2022 den Einzug dieser. Daraufhin sei am 20. April die Durchsuchung angeordnet worden. Da er bereits als Reichsbürger bekannt gewesen sei, so die Anklageschrift, kam das SEK zum Einsatz. Neben der gesuchten Waffe fand die Polizei aber laut Presse[3] und Anklageschrift ein ganzes Arsenal von Waffen:

* ein Maschinengewehr des Fabrikats Zastava, Modell 53
* ein Sturmgewehr von Heckler & Koch, Modell G3
* ein Sturmgewehr von Zastava, Modell M70
* eine Maschinenpistole des Typs Uzi
* zwei Maschinenpistolen der Fabrikation PPSch 41
* eine Pistole FN HP, Modell 35
* eine Doppelschrotflinte von Burgsmüller Kreiensen
* ein Langgewehr des Typs K98
* eine 9mm-Glock-Pistole
* mehrere Schalldämpfer und Laser-Zielvorrichtungen
* 5.116 Schuss Munition

Der Angeklagte gab übers eine beiden Anwälte an, am nächsten Prozesstag, dem 24. April, Angaben zu seiner Person und zu seinem Werdegang machen zu wollen, nicht aber zum Geschehen am 20. April. 

Bereits nach 45 Minuten ging der erste Prozesstag dann auch schon zu Ende. Insgesamt sind bisher 27 Prozesstage angesetzt.

Spannend wird es auch, wenn die Beziehung des Angeklagten zu der Familie seines Vermieters, dem Solaranlagen-Bauer Heiko A., beleuchtet wird. Dieser ließ Ingo K. offenbar kostenfrei bei sich wohnen und versuchte laut Nachbarn „autark“ zu leben.[4] Ideologische Wahlverwandtschaften erscheinen naheliegend. 

Ebenso interessant wäre es zu erfahren, woher die illegalen Waffen stammten und woher das Geld dafür kam. 

Reichsbürger-Bewegung von den Behörden lange unterschätzt

In der Anklageschrift der Generalbundesanwaltschaft wurde deutlich mehrfach die Reichsbürger-Ideologie des Angeklagten erwähnt. Das ist ein Fortschritt, denn Behörden und Justiz neigten lange zu Ignoranz und Verharmlosung.

Bis zum Tod eines SEK-Beamten am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd (Bayern) bei einer Hausdurchsuchung gegen einen Reichsbürger hatten die Behörden die Bewegung sträflich unterschätzt. Größere Teile der Zivilgesellschaft und Antifas nicht minder.

Die Sicherheitsbehörden begannen nach dem Oktober 2016 die Szenen intensiver zu beobachten. Allerdings stuften sie nur eine relativ kleine Minderheit davon als rechtsextrem. Offenbar scheute man davor zurück die Reichsbürger-Bewegung insgesamt als extrem rechte Strömung zu kategorisieren. Möglicherweise auch um den Eindruck zu vermeiden das mit der Aufnahme der Beobachtung die Zahl der Rechtsextremisten sich von einem Jahr zum anderen verdoppelt hätte.  

Seitdem führt man die Reichsbürger-Bewegung als eigene Kategorie, nämlich „Reichsbürger und Selbstverwalter“. Doch in Wirklichkeit ist nicht nur ein kleiner Teil der Bewegung rechtsextrem. Die Bewegung selbst basiert auf klar extrem rechten Fundamenten:

* Autoritarismus in Form der Ablehnung demokratisch gewählter Strukturen
* mehr oder weniger offenen Antisemitismus, meist ausgehend von der Annahme die legitime Regierung Deutschlands werde von Hintergrundmächten unterdrückt
* Nationalismus, verbunden mit dem Wunsch das sich das deutsche Volk befreien müsse 
* Gebietsrevisionismus, der die Nachkriegs-Grenzen Deutschlands ablehnt
* Antiamerikanismus im Narrativ das Deutschland besetzt sei, auch wenn Antiamerikanismus kein genuin extrem rechtes Ideologem ist

Die Corona-Proteste waren eine Art Booster für die Reichsbürger-Bewegung. Wichtige Figuren der Bewegung der Pandemie-Leugner*innen verbreiteten reichsbürgerliche Erzählungen wie das das Grundgesetz keine gültig Verfassung sei. Der Querdenken-Label-Erfinder Michael Ballweg darf sogar als Anhänger des Reichsbürgers Peter Fitzek, selbsternannter bzw. selbstgekrönter „König von Deutschland“, gelten.

Zu Schusswechseln wie dem in Bobstadt wird es wohl auch in Zukunft wieder kommen, wenn Reichsbürger*innen nicht konsequent entwaffnet und ihnen illegale Wege der Waffenbeschaffung bzw. des Waffen-Selberbaus versperrt werden.

Ihre Ideologie, sich als vom Staat unabhängig zu verstehen, wird immer wieder zu Konfrontationen mit der Staatsgewalt führen. Diese wird dabei von Reichsbürger*innen als Aggressor ohne Legitimation wahrgenommen, gegen den man sich verteidigen dürfe. Aus diesem reichsbürgerlichen mindset heraus sind Konflikte mit der Staatsmacht also schon fast vorprogrammiert.

Neben einer konsequenten Entwaffnung sollte von Seiten der Zivilgesellschaft Reichsbürger-Äußerungen, auch wenn sie nur fragmentarisch geäußert werden, widersprochen werden. Zum Teil ist es den Personen mit solchen Äußerungen gar nicht bewusst, an welche Ideologie sie anknüpfen.

Bilder: (c) L. Teidelbaum

[1] ptz/dpa: Ermittler finden viele Waffen bei mutmaßlichem »Reichsbürger«, „Der Spiegel“, 21.04.2022, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/boxberg-ermittler-finden-waffen-und-nazi-devotionalien-bei-mutmasslichem-reichsbuerger-a-ad9ec5c3-42e8-4da0-8f86-30563ec93ed1

[2] Kai Laufen: Boxberg-Bobstadt: Deuten Runen auf ein extremistisches Netzwerk hin?, 04.05.2022, https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/raetsel-um-runen-boxberg-bobstadt-mutmasslicher-reichsbuerger-sek-polizei-extremismus-netzwerk-100.html

[3] Jonas Mueller-Töwe: „Reichsbürger“ von Boxberg. Mit einer AK47 feuerte er auf die Einsatzkräfte, 07.02.2023, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100124848/reichsbuerger-von-boxberg-diese-kriegswaffen-hortete-er-in-seinem-arsenal.html

[4] Polizei zum SEK-Einsatz in Boxberg-Bobstadt: Waffenkammern und haufenweise Munition, SWR,  21.04.2022, https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/ermittlungen-sek-einsatz-boxberg-bobstadt-100.html