Lesereihe mit jungen jüdischen AutorInnen @ MS Goldberg

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Die jüdische Literaturszene in Deutschland hat sich seit der vermehrten Zuwanderung aus den Ländern der Ex-Sowjetunion und aus Israel in den letzten Jahren stark gewandelt. Mit freundlicher Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung lädt das Jüdische Kulturschiff MS Goldberg zu einer musikalisch begleiteten Lesereihe und einem spannenden Querschnitt durch die Herkünfte und die Themen junger jüdischer Autorinnen und Autoren in Deutschland ein.

Dana von Suffrin widmet sich in ihrem preisegekrönten Romandebüt »Otto« (Kiepenheuer & Witsch) einem starrköpfigen jüdischen Familienpatriarchen, der zum Pflegefall geworden ist… Für sein Umfeld war Otto, der pensionierte Ingenieur, schon immer eine Heimsuchung. Aber als er aus dem Krankenhaus zurückkehrt, ist alles noch viel schlimmer. Für seine Töchter beginnt ein Jahr voller unerwarteter Herausforderungen, aber auch der Begegnung mit der eigenen Vergangenheit und Familiengeschichte, die so schräg ist, dass Außenstehende nur den Kopf schütteln können. »Otto« ist eine kluge, liebevoll und mit schwarzem Humor erzählte Hommage und zugleich eine Abrechnung mit einem Mann, in dessen jüdischer Biografie sämtliche Abgründe des 20. Jahrhunderts aufscheinen. ➔ So 14. Mai 2023, 11 Uhr

Lana Lux, in Dnipropetrowsk/Ukraine geboren, erzählt in »Jägerin und Sammlerin« (Aufbau) von Alisa, die mit ihren Eltern als Kleinkind aus der Ukraine nach Deutschland gekommen ist, und nun, 15 Jahre später, eine einsame junge Frau ist, die mit Bulimie und Binge-Eating kämpft. Mia, wie Alisa ihre Krankheit nennt, ist immer bei ihr und dominiert sie zunehmend. Der zweite Teil des Romans nimmt die Perspektive Tanyas, ihrer schönen Mutter, ein, die nach dem Kontaktabbruch durch ihre Tochter Bilanz des eigenen Lebens zieht. Lana Lux erzählt hellwach und mit großer Intensität von Mutter und Tochter, die – so unterschiedlich sie sind – gefangen sind im Alptraum einer gemeinsamen Geschichte. ➔ 21. Mai 2023, 11 Uhr

Ron Segal, in Israel geborener Filmemacher und Autor, nimmt in seinem jüngsten Roman »Katzenmusik« (Secession Verlag) einen Mopedunfall mit einer Katze zum Anlass, den Alltag der israelischen Bevölkerung kurz nach dem Sechstagekrieg zu schildern. In einer Mischung aus Kriminal- und Liebesroman steht die Figur des Mopedkuriers Eli Ehrlich im Fokus, der zum Spielball eines sehr selbstbewussten Haustiers wird, das er aus lauter Reue bei sich aufgenommen hat, der sich in eine Russin verliebt, unfreiwilliger Komplize von illegalen Geschäften wird und sich in einem aufflammenden Krieg zwischen Katze und Mensch entscheiden muss. ➔ So 4. Juni 2023, 11 Uhr

Dana Vowinckel beschreibt in ihrem Roman »Gewässer im Ziplock« (Suhrkamp) – eine Geschichte über drei jüdische Generationen in Berlin, Chicago und Jerusalem. Im Mittelpunkt steht die 15-jährige Margarita, kontinentübergreifend zwischen Tradition und Selbstbehauptung stehend, mal hier mal da… Permanent sind die Koffer gepackt in dieser Aktualisierung der christlichen Ahasver-Volkssage, der Geschichte über den ewig wandernden Juden. Das Buch ist ein Aufbruch, auch in eine neue Phase der Shoa-Erinnerungskultur zwischen »Flying home« und »Leaving home«. ➔ So 18. Juni 2023, 11 Uhr

Dmitrij Kapitelman, in Kiew geboren, erzählt in »Eine Formalie in Kiew« (Hanser Berlin) mit dem bittersüßen Humor eines Sohnes, der stoisch versucht, Deutscher zu werden, die Geschichte einer Familie, die einst voller Hoffnung in die Fremde zog, um ein neues Leben zu beginnen, und am Ende ohne jede Heimat dasteht. Kapitelman kann besser sächseln als die Beamtin, bei der er den deutschen Pass beantragt. Aber die deutsche Bürokratie verlangt eine Apostille aus Kiew. Also reist er in seine Geburtsstadt, mit der ihn nichts mehr verbindet, außer Kindheitserinnerungen. Schön sind diese Erinnerungen, warten doch darin liebende, unfehlbare Eltern. Und schwer, denn gegenwärtig ist die Familie zerstritten… ➔ So 25. Juni 2023, 11 Uhr

Tomer Gardi, in Israel geboren, erzählt in seinem dritten Roman »Eine runde Sache« (Droschl) nicht in astreinem Deutsch, sondern in einer Kunstsprache mit eigenartiger Rechtschreibung und merkwürdigem Satzbau. Broken German. Ein echtes Schelmenstück. Wirklichkeit und Fiktion prallen aufeinander wie das Echte und das Gemachte und der Autor spielt ebenso kunstvoll wie dreist mit Lesegewohnheiten und Erwartungen an einen Roman. Dahinter lauert die bittere Frage, wie es einem Menschen überhaupt gelingen kann, seine eigene Sprache zu finden. ➔ So 27. August 2023, 11 Uhr

Alexandra Friedmann, in Gomel/Weißrussland geboren, läßt in »Sterben für Anfänger oder Rafik Shulmans erstaunliche Reise ins Leben« (btb) ihren Protagonisten, einen Sohn jüdischer GUS-Einwanderer, neben seinem Studium in einem Hospiz arbeiten. Dort lernt er die todkranke, aber ungeheuer lebenslustige Charlotte kennen. Die Kombination verwirrt ihn – seit sein Vater in Tschernobyl ums Leben kam, war der Tod immer etwas, über das man nicht spricht. Es beginnt eine Sinnsuche, ebenso komisch wie tiefgründig, die ihn zum weisen Kantor Golan, zu einem furchteinflößenden Jesus am Kreuz und schließlich zu sich selbst führt. ➔ So 3. September 2023, 11 Uhr

Lena Gorelik, mit elf Jahren aus Sankt Petersburg nach Deutschland »verpflanzt«, machte schon 2004 mit ihrem Erstling »Meine weißen Nächte« Furore, hat inzwischen zahlreiche prämierte Bücher veröffentlicht und stellt ihren autobiografischen Roman »Wer wir sind« (Rowohlt) vor: 1992 reist ein Mädchen mit Eltern, Großmutter und Bruder nach Deutschland aus, in die Freiheit. Was sie zurücklässt, sind ihre geliebte Hündin Asta, und fast alles, was sie mit Djeduschka, Opa, verbindet – letztlich ihre Kindheit… Das erst fremde Deutsch hilft dem Mädchen beim Erwachsenwerden, bei der Eroberung jenes erhofften Lebens. Aber die Vorstellungen, was Freiheit ist, was sie erlaubt, unterscheiden sich zwischen Eltern und Tochter immer mehr. Vor allem, als sie selbst eine Familie gründet und Entscheidungen treffen muss. ➔ So 17. September 2023, 11 Uhr

Die mit Live-Musik begleiteten Lesungen werden von der Autorin und Journalistin Shelly Kupferberg moderiert.

Veranstaltungsort: Jüdisches Kulturschiff MS Goldberg, Anlegestelle Havelufer, Dischinger Brücke/Ruhlebener Straße, 13581 Berlin-Spandau
(U7 Rathaus Spandau; S Spandau; Bus M45 Brunsbütteler Damm/Ruhlebener Straße; Autozufahrt: Sedanstraße)
https://goldberg-theaterschiff.de

Karten: 20 € | erm. 15 € bei www.ticketmaster.de + Abendkasse