Spott-Light: „Björn Höcke, muss ich jetzt, 2023, den Gruß ‚Heil Höcke!‘ einüben?“

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Foto oben: Björn Höcke bei Wahlkampfkundgebung in Neubrandenburg, 12.8.2016, (c) redoc – research & documentation

Eine öffentlich vorgetragene Frage, mit ein wenig Ironie durchzogen und von leichter Sorge, Höcke könne jetzt ausflippen und wisse nicht um meinen Freund Sammy und die Gründe für den Maulkorb

Von Christian Niemeyer

Aufmerksame Leser*innen dieser Kolumne erinnern sich bestimmt noch der Schlüsselszene meiner „Neujahrslektion“ mit dem Untertitel Warum Markus Lanz (ZDF) einen Elfmeter gegen Tino Chrupalla versemmelte, mit der Folge, dass Björn Höcke die Chance behält, seine Partei 2023 in den Abgrund zu führen.[1] Sie, diese Schlüsselszene spielte – um die zu spät Kommenden nicht zu bestrafen, sei es hier wiederholt – ca. in Minute 20 der Lanz-Sendung vom 28. November 2022 und ging wie folgt:

„Zum ersten und einzigen Mal kommt Lanz auf Björn Höcke zu sprechen, zitiert sogar aus dessen [„faschistischer“] Rede zum Tag der Deutschen Einheit [2022] in Gera, ahnt also offenbar um Chrupallas komplett fehlende Deckung – und schießt vorbei. Warum? Die Antwort liegt im ‚ahnt offenbar‘, denn Ahnung ist, wie der Volksmund weiß, kein genaues Wissen.“

Meine Frage heute, zwei Wochen später: Hat sich daran irgendetwas gebessert? Oder hält man beim Öffentlich-Rechtlichen Kritik fern, weil Leistung sich ja ohnehin nicht lohnt und die Titanen derlei nicht wirklich mögen? Oder, den irren Fall gesetzt, dass alle wieder gut sind und lernbegierig, wie sie als Kinder waren und eigentlich für immer sein wollten: Hat Lanz oder irgendwer beim ZDF oder auch nur auf Seiten der in seine damalige Sendung geladenen Gäste – Gerald Knaus beispielsweise, oder Eva Quadbeck – ob der Lektüre dieses am 1. Januar 2023 eingestellten Textes ein schlechtes Gewissen entwickelt und ein wenig nachrecherchiert? Etwa dahingehend, was es genau mit jener Geraer Rede Höckes auf sich hatte und was an ihr so gefährlich ist für die AfD à la Chrupalla – derart gefährlich sogar, dass er, Chrupalla, es bei Markus Lanz vorzog, sich besser keinen Reim zu machen auf Lanz‘ Frage und also, in besagter Minute 20 nur antwortete mit (nach pers. Mitschrift):

„Das kann ich nicht beantworten. Das müssen Sie Herrn Höcke fragen, was er damit gemeint hat. Ich weiß ja nicht, aus welchem Kontext er das gerissen, aus welcher Rede er das gerissen hat. Das kann ich nicht beantworten. Das weiß ich nicht.“

Irgendwie rührend, diese Antwort vom Typ „Augen zu – und durch!“, fragt sich nur: Was denkt Höcke, wenn er derlei liest? Wenn er erfährt, dass der aktuelle Vorsitzende der AfD öffentlich Kunde davon gibt, er wisse nicht um das Schriftgut des „wahren“ (Ann-Kathrin Müller) Chefs; und das gehe ihm auch, auf gut Deutsch geredet (und damit in der Lieblingssprache der Neuen Rechten), am A…. vorbei.

Wer mich jetzt fragt: Herr Niemeyer, was haben Sie vor, wollen Sie etwa den Spaltpilz einbringen, der die Geschichte der AfD in zwei Hälften spaltet: in eine Hitlersche à la Höcke; sowie in eine völkisch besorgte à la Chrupalla, ähnlich wie dies Nietzsche mit seinem „Dynamit“ vorhatte, dies allerdings mit weit größerer Ambition, nämlich in eine Zeit vor und eine nach ihm – dem kann ich nur antworten: genau Ersteres ist meine Absicht, hier und heute und mit diesem Spott-Light. Es soll Höcke an der Bande festnageln, hilflos seinem knock-out entgegentaumelnd.

Mithilfe welchen „Dynamits“, werter Herr Niemeyer? Höckes Erfurter Rede hatten Sie doch schon, mithilfe weiterer Kombattanten, wie etwa Matthäus Wehowski vom Hannah-Arendt-Institut der TU Dresden[2], in ihrer „Neujahrslektion“ auseinandergenommen!

Nun, so meine Antwort: Chrupallas „Das weiß ich nicht“ erweist sich dort vor allem als Spaltpilz, wo es anhand von Höckes ‚Hauptwerk‘ Nie zweimal in denselben Fluß (2018) auch als Unwissenheit über dieses ausgewiesen werden kann und damit an Lächerlichkeit zulegt, handelt es sich doch hierbei um, so unlängst Matthias Danyeli (2022), einen „Schlüsselwerk“ der Neuen Rechten. Das als solches zu würdigen es allerdings eines gewissen Vorwissens bedarf. Weswegen wir im Folgenden von Danyeli schweigen wollen und damit Zeit gewinnen, um über dieses Werk zu reden. Ausgehend von einem Interpreten, dem ich den Titel zu diesem Spott-Light abgewann.

*

„Sollten wir schon einmal üben, ‚Heil Hitler‘ zu sagen?“, fragte Frank Böckelmann 2018 extrem ironisch in seinem Vorwort zu diesem hier in Rede stehenden Schlüsseltext, auch:

Müssen wir jetzt Asyl in Neuseeland oder Südafrika beantragen? (Böckelmann 2018: 9)

„Natürlich, beides, nein!“, lautete die Antwort, zu Björn Höckes diabolischer Freude ob dieses seines allerneusten ‚nützlichen Idioten‘. Dabei gab es für Böckelmanns Unbedenklichkeitserklärung keinerlei Rechtsgrund, hätte – so die These des Folgenden – ohne weiteres auch der Satz „Hitler würde AfD wählen!“ als Imperativ anstelle der von Böckelmann bevorzugten Spott-Frage stehen können. Mit welcher dieser Ex-SDSler 2018 dem Spießer einen ordentlichen Schrecken einjagen wollen, um ihn dann Unterschlupf zu gewähren in seiner Herde – ein altes Spiel der 68er, insofern deren gemeinsames Merkmal der Generationenkonflikt ist.

Insofern ist die Sache an sich ganz harmlos – wenngleich streng Urteilende folgern könnten, Böckelmann, als junger Mann in München zusammen mit Dieter Kunzelmann mit subversiven Aktionen auffällig geworden und dann sukzessiv, wie jener, sich in einen Rechten verwandelnd, habe mit seinem Vorwort allen Regeln des Texthermeneutischen Hohn gesprochen und seiner Sache, vorgeblich der Avantgarde, schweren Schaden zugefügt. Im weiteren Sinne auch der Postmoderne, insofern diese beiden schöner klingenden Worte nun im Verdacht stehen, eine eklatante Lese- und Interpretationsschwäche zu kaschieren, sei diese nun schulisch oder anti-schulisch bedingt. Oder bedingt dadurch – diesen Verdacht setzt Matthias Danyelis (2022) Interpretationsversuch zu jenem 2018er Schlüsseltext frei –, dass man sich auf der Suche nach Interpretationsverfahren im Methodendschungel verläuft, allein gelassen von seinem Professor. Was ein wenig nach Humboldt-Universität klingt.

Dritte Möglichkeit, passend m.E. auf den Fall von Höckes 2018er Gesprächspartner Sebastian Hennig, einem aus Leipzig stammenden Maler und Publizisten der Neuen Rechten: naive Gesprächsführung, was sich besonders deutlich in einem Gesprächsabschnitt zeigt, den man sich mittels der Vorstellung, man befände sich in irgendeinem Beratungsraum gleich neben der Couch, etwas unterhaltsamer ausgestalten kann. Höcke nämlich erzählt plötzlich, durch den Fragesteller nicht wirklich dazu animiert und insoweit, wie ein Psychologe anmerken würde, situationsunangemessen, positiv reformuliert: demonstrativ, als erwarte er Hilfe:

„Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie die tapfer-fröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen! Wir Deutschen – zumindest die, die es noch sein wollen – sind dann zwar nur ein Volksstamm unter anderen. Die Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus wird aber so zu einer Auffangstellung und neuen Keimzelle des Volkes werden. Und eines Tages kann diese Auffangstellung eine Ausfallstellung werden, von der eine Rückeroberung ihren Ausgang nimmt.“

Viele Fragen drängen sich hier auf, etwa: „Wer spricht hier eigentlich?“ Besser vielleicht; „Was spricht hier? Ein Kind? Das Es? Der Suff? Oder, man beachte den erstaunlichen Übergang von ‚Auffangstellung‘ zu ‚Ausfallstellung‘, ein Wiedergänger des ‚Rembrandtdeutschen‘ Julius Langbehn (1851-1907), dem man, gerade von Assoziationen wie diesen ausgehend, eine Schizophrenie bescheinigte. Vor allem aber irritiert die Asterix-Fährte, also Höckes abstruse Anrufung des Vorbilds der „tapfer-fröhlichen Gallier“ in ihren „ländlichen Refugien“ – eine Stelle, die selbst Hennig irritiert:

„Sie monierten vorhin die Infantilisierung der Politik, um nun Ihrerseits Comicstrips für politisch-strategische Überlegungen zu zitieren!“

Kaum weniger auffällig: Höckes Antwort:

„Warum nicht? […] Und gleich noch eine schlechte Nachricht für unsere künftigen ‚Römer‘, die diesen edlen Titel eigentlich nicht verdient haben: Wie Asterix haben auch wir einen Zaubertrank.“ ((Höcke / Hennig 2018: 253)

„Und eine Wunderwaffe vom Typ V 2?, möchte man am liebsten noch nachtragen“ – um im gleichen Moment mit Betroffenheit zu erkennen, dass sich Höcke zusehends wohliger einrichtet in der Vision, er sei Kanzler und wisse, dass auf seiner Agenda ein „Remigrationsprojekt“ stünde. Bei welchem er wohl nicht „um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘, wie es Peter Sloterdijk genannt habe, herumkommen werde, kurz: sich, so Höcke in jenem Band, „menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden.“ Er strebe an, dabei „so human wie irgend möglich, aber auch so konsequent wie nötig vor[zu]gehen.“ (ebd.: 254) Im Übrigen sei er sich sicher, „daß – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können.“ Dem folgt, nahtlos:

„Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“ (ebd.: 257)

Hennig sagt zu diesen vielfach skandalisierten Sätzen (vgl. Quent 2019: 49) nichts; merkt nur, zu Höckes das Ganze abschließender Bemerkung, es gäbe „Hoffnung auf eine Erneuerung“, müde an: „Ohne eine solche, meinen Sie, geht es keinesfalls weiter?“ – und unterlässt die einzig sinnvolle Anmerkung: Dass so wie Höcke, Nazis gesprochen haben. Etwa Horst Frank 1941 im Schulungsbrief der NSDAP zum Thema „straffe deutsche Führung im Generalgouvernement“; so dass des Sohnes Niklas Franks Bemerkung, Höcke sei im Gegensatz zu seinem Vater kein Verbrecher, gehe aber, „wenn auch nur ansatzweise, in die gleiche Richtung“ (Frank 2020: 107), naheliegt und hier beantwortet wird mit dem Hinweis: weil er, Höcke, der nämlichen Agenda folgt, und zwar nicht erst 2022, sondern schon 2018, im hier in Rede stehenden Gesprächsband.

Entscheidend für diese Ableitung: Jener späte Teil des 2018er Gesprächs, den Hennig mittels seiner Bemerkung zu moderieren suchte:

„Das geht in Richtung einer neuen Großraumordnung, wie sie von Carl Schmitt Ende der 1930er Jahre entwickeln wollte.“ (Höcke / Henning 2018: 281)

In der Tat: Höcke argumentiert in diesem Gesprächsabschnitt in der Logik dieser Großraumordnung und erklärt das auf Carl Schmitt zurückgehende „Interventionsverbot raumfremder Mächte“ für „hochaktuell“, dies zumal im Blick auf die zeitgemäße Ergänzung um ein „Migrationsverbot raumfremder Bevölkerungen“ (Höcke / Hennig 2018: 283).[3] Zu beachten ist dabei zusätzlich zu dem oben Vermerkten im Blick auf die Geraer Rede von 2022, dass die Denkfigur Schmitts auch ihre tragischen Helden vorweisen kann, etwa Herbert Backe (1896-1947) (vgl. Dornheim 2021: 149), ab 1. April 1944 Reichsernährungsminister (Wistrich 1983: 17; Eberle/Uhl 2005: 523) und als solcher verantwortlich für das Aushungern Leningrads als Rest einer Kriegsplanung, die darauf ging, dass „ein siegreiches deutsches Kolonialregime die unterworfenen Slawen durch Aushungern loswerden“ (Snyder 2015: 213) will. Backes (jämmerlicher) Tod entsprach diesem Leben: Getröstet dadurch, „im Testament des Führers […] Bestätigung als Minister erlebt zu haben“ (zit. n. Lehmann 21999: 210) – so sein eigenes Testament vom 31. Januar 1946 –, erhängte er sich im April 1947 im Nürnberger Kriegsverbrechergefängnis aus Angst vor einer Auslieferung an die Sowjetunion, die Putin fraglos gesondert forciert hätte angesichts des Umstandes, dass seine Familie unter Backes Hungerplänen besonders zu leiden hatte.

Dass Höcke mit Putin schon 2018 vergleichsweise sanft verfuhr und Deutschland anlastete, durch den Wirtschaftsboykott viele gewachsene und fruchtbare Beziehungen wohl für immer „auf dem Altar der westlichen Bündnistreue“ geopfert zu haben (vgl. Höcke/ Hennig 2018: 277), deutet indes schon an, was 2022 in Gera offen angesprochen werden wird: nämlich dass diese Bündnistreue, ging es nach Höckes AfD (also in der AfD nur nach Höcke), bald ein Ende fände. Damit können wir unsere Beweisführung beenden mit dem Befund, dass alle Ingredenzien von Höckes „faschistischer“ Geraer Rede vom 3. Oktober 2022 schon in diesem Gesprächsband von 2018 enthalten sind, mit zwei Ausnahmen: Putin war damals noch obenauf, die Gefahr, im Sog seines Untergangs Schaden zu nehmen, wie für die AfD im Jahr 2023 mit Sicherheit zu erwarten, bestand noch nicht. Sowie: 2023 ist sie fast gelungen, die von Chrupalla / Weidel veranlasste Umschaffung zu einer Friedenspartei im Sog von Frauke Petrys prächtigem Ratschlag:

„Wir brauchen die Ängstlichen […], um Mehrheiten zu bewegen. Die Ängstlichen sind nicht unsere Gegner, sondern unsere Verbündeten.“ (zit. n. Schreiber 2018: 86 f.)

Ein kluger Satz, dem eigentlich auch die Lektion eingelegt ist: Wenn man es übertreibt mit dem Ängstigen, wie bei Höcke 2018 angelegt und in Gera im Oktober 2022 gleichfalls, suchen sich die AfD-nahen Wähler andere Wächter, die unser ‚greises Volk‘ schützen können vor dem „nordafrikanischen Ausbreitungstyp“ (O-Ton Höcke) vom Typ „jung, männlich, aggressiv und geil“ (Jürgen Elsässer am 6. Oktober 2016, zit. n. Lang 2017/18: 11). Und die uns Deutsche schützen können, in den absehbaren Konkurs Russlands nach Ende des Krieges hineingezogen zu werden.

Und hier, so scheint mir, hat die AfD dank Höcke ganz schlechte Karten, wie spätestens durch Tino Chrupallas Auftritt bei Markus Lanz Ende November 2022 deutlich wurde. Und er mir bestimmt nach Lektüre dieses Spott-Lights schreiben wird mit der bangen Frage:

„Was soll ich bloß tun, Herr Niemeyer? Ich bin doch nur ein wegen der vielen Ausländer besorgter Malermeister aus Weißwasser?!“

Und ich würde ihm antworten:

„Umziehen nach Weißwäscher! Und hin und wieder mal ein Buch lesen, und sei es von Höcke! Der übrigens über Sie in seinen noch nicht veröffentlichten Memoiren gelästert hat – Moment, ich kann’s gerade nicht finden, melde mich aber zeitnahe unter 007!“

Ja, so lustig kann’s zum Ende sein, zum Ende der AfD Ende 2023!

Foto oben: Björn Höcke bei Wahlkampfkundgebung in Neubrandenburg, 12.8.2016, (c) redoc – research & documentation

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin / Dresden

Text: Entwickelt aus Kapitel 5 meines neuen Buches Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps & Putins Untergang. Eine Analyse mit Stil- und Denkmitteln Nietzsches. Beltz Juventa: Weinheim Basel 2023 (i.E.). Dort auch sämtliche Literaturnachweise. 

 

[1] www.hagalil.com/2023/01/spott-light-afd/

[2] Dem ich hier danken möchte für seine Rückmeldung auf meine „Neujahrslektion“.

[3] Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit beim Carl-Schmitt-Kenner Andreas Höfele für seine Zustimmung zu meiner Schmitt-Auslegung zumindest in diesem Punkt.