Nicht überbewerten, nicht unterschätzen

0
76

Armin Pfahl-Traughbers Buch „Intellektuelle Rechtsextremisten“ über die Neuen Rechten

Von Miriam N. Reinhard

In seinem neuen Buch „Intellektuelle Rechtsextremisten“ beschäftigt sich Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber mit den Neuen Rechten. Dazu ist es zunächst notwendig, die Neuen Rechten als Phänomen ein- und abzugrenzen, denn es herrscht „über das Verständnis dieses Terminus große Konfusion“ (S. 17). Pfahl-Traughber definiert im Gegensatz zu einem weiten Verständnis, das sowohl Neonazis als auch die AfD mit diesem Label versieht, die Neue Rechte als „gegenwärtige Anhänger der Konservativen Revolution der Weimarer Republik“ (S.18). Es handelt sich bei ihnen nicht um eine feste Gruppierung, sondern um eine „lose Gruppe von Intellektuellen, die sich hinsichtlich ihrer Grundprinzipien einig sind, aber auch ideologische Unterschiede aufweisen können.“ (S.19) Ihre Arbeit wird vorwiegend durch Publikationen oder Texte sichtbar, ihre Strategie ist ein „Kampf um die Köpfe“ (S. 19).

Pfahl-Traughber stellt zunächst die historischen und theoretischen Grundlagen dar, auf die sich die heutige Neue Rechte bezieht. Die Neue Rechte ist somit keineswegs ein neues Phänomen, sondern bezieht sich auf einen antidemokratischen Konservativismus der Weimarer Republik, der sich damals schon nicht in einer festen Organisation ausdrückte, sondern bei dessen Vertretern es sich wie heute um einzelne Intellektuelle handelte, die beanspruchten, in die politische Wirklichkeit hineinzuwirken. Bei dem von ihnen verwendeten Terminus der „Konservativen Revolution“ handelt es sich scheinbar um eine contradictio in adiecto, denn der Gedanke der Bewahrung wird mit dem des Umsturzes verbunden. Pfahl-Traughber erklärt die historischen Bedingungen für diesen scheinbar vorhandenen Widerspruch: „So beabsichtige man einerseits, die parlamentarische Demokratie zu überwinden, andererseits aber auch, nicht mehr zur monarchistischen Vergangenheit zurückzukehren. Früher geltende Auffassungen sollten wieder zur gesellschaftlichen Realität werden.“ (S.28) Es ging also um die Widereinsetzung überwundener Wertvorstellungen wie „Führerwachstum, Gott, Natur, Ordnung, Volkspersönlichkeit. Deren Überwindung in eine Staatsordnung setzte die Überwindung der Weimarer Republik voraus.“ (S.29) Im Folgenden schildert Pfahl-Traughber genauer die Positionen der Weimarer Akteure, die sich sowohl gegen „Aufklärung und Vernunft“ (S. 33f.) als auch gegen „Menschenrechte und Pluralismus“ (S.34f.) richteten und schließlich über die „Bejahung eines neuen Nationalismus“ (S.35f.) in der Einforderung einer diktatorischen Herrschaft“ mündeten. (S.36f.)

Doch nicht nur die Akteure der Konservativen Revolution sind die Vorbilder der Neuen Rechten, sie beziehen sich auch auf diverse philosophische und soziologische Klassiker wie Friederich Nietzsche oder Vilfredo Pareto (S. 41ff.), auf manche Denker der „Nationalrevolutionäre“ der 1920er Jahre (S.44 f.) und auf Vertreter eines „Euro-Faschismus“ (S.45f.). Auch einzelne Soziologen der Nachkriegszeit, der sog. „Leipziger Schule“ (S.46f.) sind für die Neuen Rechten heute von Bedeutung, ebenso wie deutsche nationalrevolutionäre Gruppen“ (S.48) der 1970er Jahre und Publizisten der französischen Neuen Rechten (S.49f.) Obwohl der Neuen Rechten also ein ganzer Literaturkanon zur Verfügung steht, erfolgt die Rezeption dieser Texte oft oberflächlich und schlagwortartig, die eigene Theoriebildung bleibt damit lückenhaft. Pfahl-Traughber bescheinigt der Neuen Rechten einen „instrumentellen Bezug“ zu ihren Klassikern und fasst zusammen: „Es geht bei der Berufung auf die oben genannten Klassiker um den politischen Nutzen, nicht um eine von differenzierter Fachkenntnis geprägte wissenschaftliche Rezeption.“ (S.53).

Im Folgenden widmet sich Pfahl-Traughber gegenwärtigen Akteuren der Neuen Rechten (S.55ff.) – ausschließlich Männer – von denen einer größeren Öffentlichkeit wohl am ehesten noch Götz Kubitschek (S..60ff.) und seine „Denkfabrik“, das „Institut für Staatspolitik“, bekannt sein dürften, dem er sich auch im anschließenden Kapitel „Einrichtungen, Publikationsorgane und Verlage“ (S.69ff.) noch einmal zuwendet, bevor er dann auf ihre Positionen zu verschiedenen Themen eingeht (S. 38ff.). Hier ist besonders hervorzuheben, dass die „ethnische Identität“ von den Neuen Rechten für die Volkszugehörigkeit als wesentlich angesehen werden: „Es stehen demnach angebliche biologische Eigenschaften, die nicht veränderbar sind, für das Identitäts- und damit auch das Volksverständnis im Zentrum“ (S.88). Daraus ergibt sich auch der von den Neuen Rechten vertretene „Ethnopluralismus“ (S.91), der sich für eine strikte Trennung unterschiedlicher Ethnien ausspricht und sich damit nur graduell von einem Rassismus abgrenzt, der bestimmte Ethnien bereits im Vorhinein abwertet. An diese Vorstellungen schließt sich auch die Annahme von einem „Großen Austausch“ (S.92ff.) an; hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Idee, dass eine geheimnisvolle Elite plant, die Völker durch gesteuerte Massenmigration auszutauschen. Rufen die Neuen Rechten auch zum „Widerstand“ (S.94f.) gegen den bestehenden Staat auf, so formulieren sie dennoch keine eigene Staatskonzeption, man kann aber von einem „autoritären und diktatorischen Staatsverständnis“ (S.96) bei ihnen ausgehen, das – so zeigt Pfahl-Traughber – die Delegitimierung der Menschenrechte (S.129) und eine Ablehnung des Pluralismus (S.131 f.) beinhaltet.

Die theoretische Arbeit der Neuen Rechten mit dem Ziel einer „Kulturrevolution“ (S.97ff.) ist, wenn auch nicht immer sehr tiefgründig und teilweise widersprüchlich, das Kernstück der Neuen Rechten, dennoch ist Parteipolitik für sie deswegen nicht irrelevant; so nimmt Kubitschek Einfluss auf die AfD, besonders auf den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke (S.113f.) und auf die parteinahe Erasmus-Stiftung (S.114). Auch versuchen die Neuen Rechten mit Auftritten bei Bewegungen wie „Legida“ und „Pegida“ ihre Reichweite zu erhöhen (S.116f.).

Schade ist, dass Pfahl-Traughber, obwohl er sich in einem kurzen Kapitel mit dem Einfluss beschäftigt, den Thilo Sarrazin (S.122f.) auf die Szene der Neuen Rechten genommen hat, ohne ihr selbst anzugehören, nicht auch auf den Publizisten und AfD-Politiker Alexander Gauland eingeht, der mit seinem Terminus der „friedlichen Revolution“ Anknüpfungspunkte sowohl an die Widerstandsbewegung der DDR als auch an die Konservative Revolution der Weimarer Republik zu suchen scheint.

Insgesamt hat Pfahl-Traughber ein aufschlussreiches und informatives Buch vorgelegt, das – zwar nicht immer frei von Redundanzen und zuweilen nicht immer übertrieben mitreißend im Stil – in der Darstellung prägnant ist und überzeugt. Es ist beruhigend zu lesen, dass die Konservative Revolution in Deutschland wohl nicht unmittelbar bevorsteht – gleichwohl macht Pfahl-Traughber auch deutlich, dass die von ihm erwähnten Akteure und ihre Strategien nicht unterschätzt werden sollten: Gerade in Krisensituationen wie aktuell während der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg können solche extremistischen Akteure von gesellschaftlichen Verunsicherungen profitieren und sich über Publikationen und Protestgruppen bis in die gesellschaftliche Mitte vorarbeiten. Nehmen wir sie also ernst genug, um auf sie reagieren zu können. Armin Pfahl-Traughbers Buch leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Armin Pfahl-Traughber: Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten, Dietz Verlag 2022, 184 S., Euro 18,00, Bestellen?

–> Leseprobe