PEN ehrt Journalistin und Schriftstellerin Ruth Weiss

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Die deutsche Jüdin flüchtet 1936 aus Deutschland nach Südafrika

Von Jim G. Tobias

„Weltbürger ist ein großes Wort, doch das würde ich gerne sein, denn es gibt keine Nationalität und auch kein einziges Land, wo ich sage, das ist mein Land, da gehöre ich hin“, sagt Ruth Weiss. Doch letztlich ist die fast 98-Jährige jüdische Schriftstellerin als „Wandernde zwischen den Welten“ eine Weltbürgerin. Als Ruth Löwenthal wurde sie 1924 in Fürth geboren. Sie erinnert sich an eine unbeschwerte Kindheit: „Wir haben in einem Haus gewohnt, in dem nicht nur Juden wohnten, aber die Nachbarn haben uns nicht gestört. Mein Großvater hatte unten im Hof eine Werkstatt, er war Buchbinder, und jedes Jahr stellte er dort seine Laubhütte auf. Da kam kein Nachbar und hat gesagt: ,mach das Ding weg!‘“ Mit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten endete das unbeschwerte Leben in der damals „fränkisches Jerusalem“ genannten Stadt. „Ich hatte keine Schulbankfreundin mehr, und die Kinder saßen alle zusammengedrückt weit entfernt von mir“, schreibt Ruth Weiss etwa in ihren Memoiren. 1936 gelangen ihr und der gesamten Familie noch rechtzeitig die Flucht aus Nazideutschland ins rassistisch geprägte Südafrika. Nach der Erfahrung des Antisemitismus folgte nun die Apartheid. „Das war ein Schock, plötzlich lebten wir in einem Land, in dem eine andere Gruppe diskriminiert wurde“, erinnert sich Ruth Weiss.

Als Jüdin erlebte sie in der neuen Heimat zwar auch Antisemitismus, war als Weiße jedoch privilegiert. Nach der Schulausbildung arbeitete Ruth in einem Rechtsanwaltsbüro, in der Buchhandlung ihrer Mannes und bei einer Versicherung. Schon früh interessierte sich die junge Frau für Politik und engagierte sich in der Anti-Apartheidsbewegung; wobei sie auch Kontakte zu Nelson Mandela knüpfte.

Anfang der 1960er Jahre nahm Ruth Weiss eine journalistische Tätigkeit auf und schrieb für renommierte südafrikanische Zeitungen, wie etwa dem „Newscheck“, der „Financial Mail“ sowie dem britischen „Guardian“. Die Journalistin arbeitete in Johannesburg, Salisbury, London, aber auch in Köln für die Deutsche Welle. In den 1990er Jahren zog es Ruth Weiss zurück nach Europa. Nach einigen Jahren auf der Isle of Wight, in Dänemark sowie Deutschland, lebt die Journalistin nun wieder in Dänemark. Zu dieser Zeit begann sie neben Wirtschafts- und Politikfachbüchern verstärkt Romane zu schreiben, vor allem über deutsch-jüdische Themen. Ihr Buch „Meine Schwester Sara“ wurde ein internationaler Erfolg und als Pflichtlektüre für Realschulen in Deutschland empfohlen. Auch ihre sieben Bände umfassende fiktive Erzählung „Die Löws – eine jüdische Familiensage in Deutschland“ fand große Beachtung. In Deutschland wurde die Autorin vor allem durch ihre Autobiografie „Wege im harten Gras. Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England“ bekannt.

Ein Thema stand und steht immer im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Trotz ihres hohen Alters sprich die Zeitzeugin regelmäßig an deutschen Schulen über ihre Erfahrungen im Nationalsozialismus, informiert über Südafrika und das Apartheidsregime und liest aus ihren Werken.

Für ihre unermüdliche Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit überreichte ihr das „PEN Zentrum ausländischer Autoren im Ausland“ zu ihrem kommenden 98. Geburtstag (26. Juli 2022) im Saal 600 im Nürnberger Gerichtsgebäude, in dem der Internationale Militärgerichtshof 1946 die Nazi-Führung aburteilte, die Festschrift „Wandernde zwischen den Welten. Erinnerungen und Betrachtungen aus vier Kontinenten“. In dem über 700 Seiten umfassenden Band würdigen Wegbegleiter, Freunde und Kollegen von Ruth Weiss mit 80 Beiträgen in Wort und Bild das einzigartige und vielseitige Lebenswerk der Autorin.

V.r.n.l. Ruth Weiss, Anni Kropf (Ruth Weiss Gesellschaft), Andrei Markovits (Laudator, University of Michigan), Deborah Victor-Engländer (PEN Zentrum deutschprachiger Autoren im Ausland), © Jim G. Tobias

Im Herbst dieses Jahres erhält Ruth Weiss zudem den „OVID PREIS“ des „PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland“ (früherer Deutscher Exil-PEN). Die Auszeichnung wird zum vierten Mal vergeben. Die feierliche Preisverleihung wird in Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek am 15. September 2022 in Frankfurt stattfinden.

Wer mehr über das facettenreiche Leben dieser außergewöhnlichen Frau erfahren möchte, dem sei ihre Autobiografie empfohlen.

Ruth Weiss, Wege im harten Gras. Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England, Verlag Edition AV, 304 Seiten, Lich 2016, Bestellen?

Bild oben: © Jim G. Tobias