Das Zählen des Omer: Sefirat ha Omer

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Die Zeit zwischen Pessach und Schawuot (wörtlich „Wochen“) wird „Sefirat ha Omer“ das Omer – Zählen genannt. Am 2. Tag des Pessachfestes wurde ein Omer Opfer im Tempel in Jerusalem dargebracht und zwar von der neuen Gerstenernte. „Omer“ heißt „Garbe“ (ajin-mem-resch), kann aber auch eine Maßeinheit bedeuten. Damit begann das Zählen und die Vorbereitung für das Schawuot – Fest, an dem wir die Gabe der Torah feiern und an dem wir jedes Jahr wieder von neuem die Torah als auch als Gabe, die uns persönlich für unser Leben gegeben worden ist, anzunehmen.

Was sagt die Torah?

Im Wochenabschnitt „Emor“ finden wir folgende Anweisungen:
vajikra (3 Mose) 23,10-16:

Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch gebe und seinen Schnitt schneidet, so sollt ihr die Gabe vom Erstling eures Schnittes zum Priester bringen. Und er schwinge die Gabe vor dem Ewigen, euch zur Huld, am Tag nach dem „Schabbat“ soll sie der Priester schwingen. Und ihr sollt bereiten am Tag, an dem ihr die Gabe schwingt, ein fehlfreies einjähriges Schaf zum Hochopfer dem Ewigen. ; und als Mehlopfer dazu: Zwei Zehntel feinen Mehls, mit Öl eingerührt, ein Feueropfer für den Ewigen, ein Duft der Befriedigung; und dazu als Gußopfer: Ein Viertel Hin Wein. Und Brot und Röstkorn und frisches Korn dürft ihr nicht essen bis zu eben diesem Tag, bis ihr das Opfer eures Gottes gebracht habt – eine ewige Satzung für eure Geschlechter an allen euren Wohnsitzen.
Ihr sollt euch aber zählen von dem Tag nach dem „Schabbat“, von dem Tag, da ihr die Garbe der Schwingungen bringt: Sieben volle Wochen sollen es sein. Bis zum Tag nach dem siebenten Schabbat sollt ihr zählen: Fünfzig Tage und dann sollt ihr dem Ewigen ein Mehlopfer von Neuen darbringen.

Wir finden diese Anweisungen auch in Dewarim (5 Mose) 16,9-12:

Sieben Wochen sollst du dir zählen¸ vom „Anheben der Sichel am Getreidestand“ sollst du beginnen, sieben Wochen zu zählen. Dann sollst du das Wochenfest feiern, dem Ewigen deinen Gott, gemäß der Edelmutsgabe deiner Hand, die du geben magst, je nach dem der Ewige, dein Gott, dich segnen wird. Und du sollst dich freuen vor dem Ewigen, deinem Gott, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd, sowie der Lewite, der in deinen Toren ist, und der Fremdling, die Waise und die Witwe, die in deiner Mitte wohnen, an dem Ort, den der Ewige, dein Gott, erwählen wird, seinen Namen daselbst wohnen zu lassen. Und du sollst gedenken, daß du Knecht warst in Mizraim, darum sollst du diese Gesetze wahren und üben.

Tradition in talmudischer Zeit

Es ist deutlich, daß die Anweisung 49 Tage zu zählen eine biblische Grundlage hat und sich auf das Omer Opfer, das im Tempel gebracht wurde bezieht. In der heutigen Zeit – ohne Tempel – basiert das Omer – Zählen, Sefirat ha Omer, auf rabbinischen Quellen. (Mas. Menachoth 66a)

Von der neuen Ernte durfte nichts gegessen werden bis dieses Opfer gebracht war. Die jüdische Tradition sagt, daß in diesem Zusammenhang „Schabbat“ ein terminus technicus ist und „Ruhetag“ bedeutet und sich auf den ersten Tag des Pessach-Festes bezieht, das in den vorhergehenden Versen erwähnt wird. An Pessach war das Land noch im Ruhezustand. Nirgends sonst in der Torah wird der Terminus „Schabbat“ auf ein Fest bezogen. Eine andere Möglichkeit wäre, daß es sich auf den Schabbat, der während des Pessach-Festes fällt, bezieht. Eine dritte Deutungsmöglichkeit wäre, „Schabbat“ auf den letzten Tag von Pessach zu beziehen.

Aus zwei Gründen war eine klare Festlegung nötig:

Es mußte bestimmt werden, wann die Getreideernte beginnen konnte und vor allem wie bald Getreide von der neuen Ernte gegessen werden durfte. Und es wurde das Datum von Schawuot (Wochenfest) festgelegt.

Unter den Anhängern verschiedener Richtungen gab es unterschiedliche Meinungen und folglich heftige Diskussionen: Eine Gruppierung unter den Sadduzäern ging davon aus, daß der wöchentliche Schabbat gemeint war und folglich Schawuot immer auf einen Sonntag fallen müsse. Die kleine noch existierende Gemeinschaft der Karäer, die sich als Nachfolger und Erben der Sadduzäer verstehen, begehen Schawuot immer noch am Sonntag.

Es gibt eine außertalmudische Quelle, die vorschlägt, Schawuot am 15. Siwan zu feiern, also das Omer-Zählen am letzten Tag von Pessach zu beginnen. Dieses Vorgehen wird auch in einer syrischen Übersetzung der Bibel in frühchristlicher Zeit erwähnt und führte dazu, daß die Falaschas, die schwarzen Juden Äthiopiens, ihr „Erntefest“ am 12. Tag des 3. Monats begingen.

Gegen diese beiden Auslegungen wandten sich die Pharisäer, und legten fest, daß mit „Schabbat“ der erste Tag von Pessach gemeint ist und folglich das Omer am folgenden Tag (16. Nissan) dargebracht werden muß.

Nach dem Auszug aus Ägypten wartete das jüdische Volk mit Sehnsucht darauf, die Torah zu empfangen, so daß es die Tage zählte. Dies war eine Art Vorläufe für die Anweisung des Omer-Zählens (Sefirat ha Omer), die es später am Sinai erhielt.

Der Midrasch sagt, daß das Omer-Zählen uns zeigt, wie freundlich Gott zu Seinem Volk ist. Als die Juden in der Wüste waren, gab Gott jedem einzelnen von ihnen jeden Tag ein Omer Manna. Nun, nachdem das jüdische Volk ins heilige Land gekommen ist, verlangt Gott ein einziges Omer vom ganzen jüdischen Volk. Sie mußten es auch nicht jeden Tag bringen. Einmal im Jahr war genug. Und Gerste, das Getreide und Grundnahrungsmittel der Armen, war genug für Gott.

Das Omer-Zählen ist immer eine Vorbereitung auf das Empfangen der Torah geblieben. Wenn die 49 Tage der Omer-Zeit zuende gehen, kommt Schawuot, wo wir die Gabe der Torah feiern, immer näher. Um auszudrücken, daß dies nicht nur eine kollektive Erfahrung ist, auf die wir uns beziehen, sondern jeder einzelne daran persönlich teilhat, ist jedes Individuum zum Omer-Zählen ( Sefirat ha Omer ) verpflichtet. (Dies steht im Gegensatz zu Geboten für das Schabbatjahr und das Jobeljahr, in denen das Gebot des Zählens dieser Jahre durch den Sanhedrin für ganz Israel praktiziert wurde).

Jedem einzelnem Individuum ist die Torah gegeben. Und für jeden gilt das Gebot, die Mizwot zu lernen und zu erfüllen. Das Omer-Zählen verdeutlicht:

Jeder Tag zählt!
Jeder Jude und jede Jüdin zählt!
Jede Mizwa zählt!

Wie wird gezählt?

Da die Anweisung in der Torah lautet: „Du sollst sieben Wochen zählen“ und „fünfzig Tage“ sollt ihr zählen. Sowohl Wochen als auch Tage sind erwähnt. Daraus folgt, daß beim Zählen sowohl die Zahl der Wochen als auch der Tage zu benennen ist.

Jeden Tag nach der Abenddämmerung und im Anschluß an das Abendgebet wird der folgende Segensspruch gesagt und direkt danach der Tag gezählt:

Baruch Ata Adonaj Elohejnu Melech haOlam ascher kideschanu beMizwotaw weziwanu al Sefirat haOmer.

Gepriesen seiest Du, Herr unser G’tt, König des Universums, der uns geheiligt hat mit Seinen Geboten und uns geboten hat, Omer zu zählen.

Dann wird folgendermaßen gezählt:

An den ersten 6 Tagen:
„Heute ist der … Tag des Omer“

nach sieben Tagen:
Heute ist der … Tag des Omer, das ist die … Woche (n) und … Tag (e)

Traditionelle Juden fügen eine Bitte um das baldige Wiedererstehen des Tempeldienstes hinzu:

HaRachaman hu jachasir lanu Awodat Beth haMikdasch liMkomah,
biMherah beJamejnu, Amen selah!

Wichtig: Man muß das Zählen in einer Sprache,
die man versteht, durchführen.

Bräuche

Ursprünglich hatte dieser Zeitraum einen festlichen Charakter, weil sowohl Pessach als auch Schawuot ihren Hintergrund in der Ernte hatten. Nach und nach wurde daraus aber eine Trauerzeit wegen der Erfahrung von Pogromen und anderen Äußerungen von Judenhaß. Deswegen finden während dieser Zeit keine Hochzeiten statt. In traditionellen Kreisen werden auch keine Haare geschnitten.

Eine Ausnahme ist der Lag ba-Omer, der 33. Tag nach Pessach. Der hebräische Buchstabe „L“ (lamed) steht für die Zahl 30 und der hebräische Buchstabe „G“ (gimel) steht für 3.
Die Tradition sagt, daß an diesem Tag der nationale jüdische Freiheitskämpfer Bar Kochba im Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht (132-135 n.d.Z.) einen Sieg über seine Feinde errang.
Eine andere Quelle erzählt, daß eine Seuche unter den Schülern des Rabbi Akiva (gest. 135 n.d.Z.) grassierte. Genau am 33. Tag nach Pessach kam die Seuche zum Stillstand.
Auch Rabbi Schimon bar Jochai ( gest. 150 n.d.Z.) soll an diesem Tag seine mystischen Lehren seinen Schülern enthüllt haben.
An Lag baOmer wird um ein Lagerfeuer gefeiert. Kinder sammeln in Israel schon Wochen vorher brennbares Material für ihre „medura“.
Bei sephardischen Juden und einigen chassidischen Gruppen ist es Brauch, daß Jungen, die 3 Jahre alt geworden sind, an diesem Tag ihren ersten Haarschnitt bekommen.

Bild: (c) Margrit Schmidt

Die sieben Wochen von Pessach bis Schawuot sind eine Entsprechung für die Zeit, die das jüdische Volk nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste verbrachte, wo Israel sich darauf vorbereitete, die Torah am Berg Sinai zu empfangen. Pessach steht für die physische Befreiung und Schwuot für die geistige. Der moralische Standard des jüdischen Volkes war in der Zeit der Sklaverei bei den Ägyptern auf ein niedriges Niveau gesunken. So ist die Zeit dazwischen als Zeit des Wachstums und der Weiterentwicklung zu sehen um überhaupt fähig zu sein, die Torah zu empfangen. Die 49 Tage der Omer-Zeit stehen auch für die 49 Tore der Umkehr. Außerdem besteht eine Entsprechung zu den 49 Buchstaben in den hebräischen Namen der 12 Stämme. Das Schawuot-Fest ist das 50. Tor.

Viele Juden und Jüdinnen lernen deswegen während dieser Zeit Pirke Awot (Sprüche der Väter), die „48 Wege zur Weisheit“ (Pirke Awot 6,6).

Zusammenstellung: Iris Noah

Die Torahtexte wurden nach der Übersetzung von Naftali Herz Tur-Sinai zitiert.

Omerzählung
Wie die fünfzig Tage zwischen Ostern und Pfingsten im Kirchenjahr so sind die fünfzig Tage zwischen dem Pessach- und dem Schawuotfest im Synagogenjahr eine besondere Zeit. Sie wird nach der ersten Garbe der neuen Ernte – hebräisch: „Omer“ – Omerzeit genannt und Tag für Tag feierlich abgezählt…

Lag Beomer
Der vorliegende historische Text erläutert Lag baOmer, die Gebräuche und den Hintergrund des 33. Tags der Omerzählung. Autor dieses 1906 in der Zeitschrift „Ost und West“ erschienenen Beitrags ist der Philosoph und Pädagoge Arthur Biram. Biram wurde 1878 in Bischofswerda geboren. Er studierte in Berlin und Leipzig, wo er 1902 promovierte. 1904 schloss er das Rabbiner-Seminar an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums ab. 1913 emigrierte er nach Palästina, wo er unter anderem die Hebräische Realschule Haifa leitete. Biram erhilt 1954 den Israel Preis für Erziehung. Er starb 1967 in Haifa…

Lag-Baomer im Bezalel
Der vorliegende historische Text widmet sich dem Lag baOmer Fest nur am Rande. Vielmehr stellt er die Arbeit einer bedeutenden Institution vor, die Lag baOmer als ihren Jahrestag gewählt hat. Die Rede ist von der 1906 von Boris Schatz in Jerusalem gegründeten Kunstakademie Bezalel. Der Autor beschreibt die Feierlichkeiten am zweiten Jahrestag der Schule, an Lag baOmer im Jahr 1908. Der Text erschien in „Palästina“, einer Zeitschrift für den Aufbau Palästinas, herausgegeben unter anderem Alfred Nossig, Felix A. Theilhaber und Adolf Böhm…