In den 1980er und 1990er Jahren ging mit dem Ableben der letzten Sabbatarier das letzte Kapitel einer sonderbaren jüdischen Geschichte in Siebenbürgen (Rumänien) zu Ende. Ihre Anfänge gingen auf die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück.
Von Franz Sz. Horváth
Siebenbürgen war seit dem Hochmittelalter Teil des Königreichs Ungarn. Die Niederlage des ungarischen Heeres am 29. August 1526 gegen die Osmanen in der Schlacht bei Mohács, bei der König Ludwig II. getötet wurde, besiegelte das Ende des Königreichs. Nachdem sich der Woiwode Siebenbürgens, János Szapolyai, im November 1526 zum neuen König krönen ließ, kämpfte er mit dem Erzherzog Ferdinand von Habsburg um die Macht in Ungarn. Keiner der beiden konnte sich jedoch durchsetzen. Szapolyais Sohn, Johann II., verzichtete schließlich im Vertrag von Speyer (16. August 1570) auf den ungarischen Thron, weshalb er die Bezeichnung „Fürst Siebenbürgens und Teilen Ungarns“ erhielt. Dies war die Geburtsstunde des Fürstentums Siebenbürgen, das bis 1691 bestand. Der Fürst und der siebenbürgische Landtag bestimmten in diesem Zeitraum die inneren Verhältnisse des Fürstentums und somit auch über die Voraussetzungen und die Ausgestaltung jüdischen Lebens in dem Gebiet. Das Fürstentum verfügte allerdings über keine volle Souveränität, der jeweilige Fürst musste sich stets um die Gunst des Sultans bemühen. Um diese zu erreichen, mussten in Konstantinopel häufig Gesandtschaften erscheinen und hohe Geldbeträge aufgewendet werden. Diese engen Kontakte sollten aber die Voraussetzung für das aufkeimende jüdische Leben im Fürstentum werden.
Die Reformation breitete sich in Siebenbürgen seit den 1530er Jahren aus: Sie erfasste zuerst die Siebenbürger Sachsen, danach auch die Ungarn. So entstanden innerhalb weniger Jahre lutherische, helvetische bzw. calvinistische und antitrinitaristische Bewegungen, die zusammen mit den Katholiken sowie den Orthodoxen das religiöse Bild der Region prägten. Diese Entwicklung führte allerdings (im Gegensatz zum Deutschen Reich) zu keiner Religionsverfolgung. Vielmehr wurde auf dem Landtag von Thorenburg 1557 ein Gesetz über die Anerkennung der Lutherischen Glaubenslehre verabschiedet, wonach „jeder den Glauben behalten könne, den er wolle“. Diese Anerkennung weitete der Landtag im darauffolgenden Jahrzehnt auf die Anhänger Calvins (1564) und die antitrinitarische Bewegung aus (1568), so dass es letztlich vier „anerkannte“ Konfessionen gab.
Dass sich der jüdische Glaube nicht unter diesen „anerkannten“ Richtungen befand, lässt sich mit der verschwindend geringen Zahl seiner Anhänger erklären. Jüdische Personen werden in siebenbürgischen Quellen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts nur sporadisch als Händler, Geldleiher und Durchreisende erwähnt. Somit ist es fraglich, ob von existierenden jüdischen Gemeinden gesprochen werden kann, auch wenn manche Quellen allgemein von (mehreren) Juden in einer Stadt sprechen.
In die zweite Hälfte der 1570er Jahre fallen die Anfänge einer judaisierenden Bewegung, der Sabbatarier, in Siebenbürgen. Die Ansichten des reformierten, den Antitrinitariern bzw. Unitariern nahestehenden Theologen Matthias Wehe-Glirius, begründeten die neue Glaubensrichtung. Zum geistig-religiösen Hintergrund der Bewegung gehörte im Zuge der Reformation auch ein Prestigezugewinn des Hebräischen, der Hebräischkenntnisse und ein positives Bild der Juden, mit deren Schicksal in der Zeit des auseinanderfallenden ungarischen Staats sich viele Ungarn identifizierten. Obwohl also die Siebenbürger kaum echte Juden kannten, besaßen sie ein sehr positives „Judenbild“. Bereits dem unitarischen Theologen Franz (Ferenc) Dávid, der Wehe-Glirius nach Siebenbürgen holte, warfen seine Gegner „judaisierende“ Tendenzen vor, doch trafen diese Vorwürfe auf seine Anhänger, von welchen manche die Juden als Gottes auserwähltes Volk gepriesen hatten, noch stärker zu. In den frühen Schriften (den Prosastücken wie auch den Gesängen) der Sabbatarier, der Name ging auf die Bevorzugung des Samstags anstelle des Sonntags zurück, kam das Wort „Jude“ überdurchschnittlich häufig vor. Andere Ausdrücke wie „heiliges Volk“, „dein Volk“, „das Volk Israels“ oder einfach nur „Israel“ drückten ebenfalls Verehrung für die Juden aus, während die christlichen Völker und Bekenntnisse als „Heidentum“ bezeichnet wurden. Die Sabbatarier leugneten das göttliche Wesen von Jesus Christus, lehnten die Taufe und das Abendmahl ab, erkannten nur das Alte Testament als heiliges Buch an. Sie bestritten die Schuld der Juden am Tode von Jesus, feierten den Sabbat und suchten stets die Nähe zu und die Gespräche mit Juden. Obwohl sie keine „rezipierte“, also offiziell anerkannte Religion war, konnte sich die Bewegung in den Folgejahren so stark ausbreiten, dass die Zahl ihrer Anhänger auf einige Tausend geschätzt wurde, manche Historiker gehen sogar von bis zu 30.000 Anhängern aus. Wohlhabende Bürger, Adlige und sogar Politiker aus dem Umkreis der siebenbürgischen Fürsten zählten zu den bekanntesten Sabbatariern, doch gehörten ihnen viele Handwerker, Händler und Landbesitzer an. Die Person Simon Péchis (1575-1642) ist bedeutsam, denn er war als Sekretär, Vertrauensperson, Ratsherr und Kanzler mehrerer Fürsten zwischen 1601-1621 eine einflussreiche Persönlichkeit. Er selbst trug nach seinem (aus politischen Gründen) erzwungenem Rückzug aus der Politik mit seinen Übersetzungen aus dem Hebräischen und seinen Kommentaren zur Verfestigung der sabbatarischen Glaubenslehre bei, die er inhaltlich zugleich stärker dem Judentum annähern ließ. Zum anderen wird die erste Privilegienurkunde eines siebenbürgischen Fürsten, des Gábriel Bethlen aus dem Jahre 1623, zugunsten der Juden, auch auf sein Wirken am Sultanshof zurückgeführt. Damit trug Péchi indirekt zur Entstehung der ersten neuzeitlichen jüdischen Gemeinden in Siebenbürgen bei.
Der Landtag Siebenbürgens beschloss bereits 1595, dass die neue Glaubensbewegung zu verbieten und zu verfolgen sei, worauf die Bücher der Sabbatarier verbrannt und viele ihrer Anhänger verfolgt und getötet wurden. Auch in den Folgejahrzehnten wurden von den Fürsten wiederholt Beschlüsse gegen die Sabbatarier gefasst, am weitreichendsten erwies sich die Verfolgung unter Georg Rákóczi I. Im Jahre 1638 wurde beschlossen, dass jegliche religiöse Neuerung wie auch das „Judaisieren“ den Verlust des Vermögens und des Lebens nach sich zieht. Die Sabbatarier verloren dadurch vor allem ihre wohlhabenden Eliten, doch schmolz die Bewegung insgesamt unter dem Druck der Behörden auf nur noch ein paar hundert Mitglieder zusammen. Offiziell hörte sie auf zu existieren, doch zogen sich die verbliebenen Mitglieder ins Verborgene zurück. Sie trotzten weiteren Verfolgungswellen (1670, 1717-1725), deren Dokumente teilweise erhalten sind und wichtige Informationen über den Glauben liefern. Viele verließen das Land, um im Osmanischen Reich ihren religiösen Überzeugungen gemäß leben zu können und die übrigen pflegten ihren Glauben klammheimlich weiter. Sie gaben ihren Glauben jedoch nie auf.
Als 1868 in Ungarn die Konversion zum Judentum offiziell möglich wurde, baten etwa 150 Anhänger der Bewegung offiziell und zum Befremden der ungarischen Behörden darum, den jüdischen Glauben annehmen zu dürfen. Da sie Jesus Christus mittlerweile längst nicht als Messias angesehen, aus ihren Liederbüchern christliche Texte ausgemerzt und sich inhaltlich insgesamt dem Judentum angenähert haben, war das allerdings nur der folgerichtige Schritt. Die ungarischen Behörden erlaubten, just zurzeit, als sich die jüdische Welt des Landes in die reformorientierten Neologen und die Orthodoxen spaltete, die Konversion der Sabbatarier zum Judentum. So entstand im Osten des Landes eine neue, konservative und relativ arme jüdische Gruppe, 111 Personen nahmen den jüdischen Glauben an. Die Männer wurden beschnitten, alle bekamen jüdische Vor- und Nachnamen (v.a. Abraham). Die meisten von ihnen lebten im Dorf Bözödújfalu (heute: Bezidul Nou in Rumänien). Sie erbauten sich eine Synagoge mit Mikwe, waren allerdings auf staatliche und private Unterstützung angewiesen. Die jüdische Welt Ungarns war gespalten hinsichtlich der Beurteilung der neuen Gruppierung: Während die Neologen ihnen positiv gegenüberstanden, verhielten sich die Orthodoxen, zu welchen sie am liebsten gehört hätten, eher skeptisch-ablehnend. Jüdische Organisationen unterstützten die neue Gemeinde vielfach mit Geld und Sachspenden.
Nach einem kurzen Intermezzo (1920-1940), in dem Siebenbürgen zu Rumänien gehörte, wurde es 1940 teilweise erneut ungarisches Territorium. Die ehemaligen Sabbatarier fielen unter die Geltung der sogenannten „Judengesetze“ Ungarns. Um diesen zu entgehen, boten ihnen die ungarischen Behörden an, zu konvertieren. Obwohl manche diese Möglichkeit nutzten, wurden die allermeisten 1944 im Zuge des „letzten Kapitels“ des Holocaust ghettoisiert und teilweise deportiert. Immerhin gelang es dem katholischen Pfarrer von Bözödújfalu, einen Teil der Juden durch seine Beziehungen vor der Deportation zu retten. Die anderen Juden teilten hingegen das Schicksal der etwa 130.000 Juden Siebenbürgens, die nach Auschwitz deportiert und überwiegend ermordet wurden.
Die Geretteten trugen den jahrhundertealten Schrecken der Verfolgung in sich und viele ertrugen ihn nicht mehr: Entweder konvertierten sie oder sie wanderten nach 1948 nach Israel aus. Damit ging in Siebenbürgen, das seit 1945 erneut zu Rumänien gehört, eine beinahe vierhundertjährige Geschichte des Judaisierens zu Ende. Sie fand in den 1980er Jahren ihren symbolischen Untergang als im Zuge des Plans des rumänischen Präsidenten Nicolae Ceauşescu zur Systematisierung der siebenbürgischen Dörfer ihr Heimatdorf geflutet wurde. Als stille Zeugen der Erinnerung an ein sonderbares Kapitel jüdischer Geschichte ragen seitdem nur noch die Hausdächer von Bözödújfalu aus dem Wasser heraus.
Bild oben: Synagoge von Bözödújfalu (Innen) mit mehreren Personen 1911, “Bözödújfalui zsinagóga belső képe emberekkel,” MILEV, (c) Hungarian Jewish Museum and Archives