Rechte(s) von A-Z

0
48

Folge 15: P bis Putin, Wladimir

Von Christian Niemeyer

Dieses Lexikon gibt Informationen in kompakter Form sowie weitergehende Literaturhinweise, basierend auf Forschungsliteratur sowie allgemein zugänglichen Nachschlagewerke, zumeist in Printversionen. Internetquellen, etwas das Belltower-Lexikon sowie Wikipedia, wurden konsultiert. Ersteres ist aber zu unspezifisch und im Übrigen schlecht aufgebaut und unvollständig. Letzteres ist zu spezifisch, mitunter unzuverlässig. Das Handbuch Rechtsradikalismus (2002) von Thomas Grumke & Bernd Wagner setzte in beiden Hinsichten neue Maßstäbe. Es hat nur einen Nachteil: es ist zu alt, im Vergleich zum im Folgenden dargebotenen Material (Redaktionsschluss: Juli 2021), das ab jetzt auf hagalil.com in mehreren Folgen erscheinen wird und dem Online-Anhang meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte (2021) entnommen wurde. Am Ende eines jedes Eintrags finden sich in eckigen Klammern in Fettdruck die Seitenzahlen, auf denen die jeweilige Person oder Sache in der Printversion erwähnt wird. Damit gewinnt dieses Lexikon den Charakter eines Sach- und Personenregisters im Blick auf jene Printversion. Literaturhinweise finden sich in jenem kostenlos auf der Homepage des Verlags Beltz Juventa (Weinheim) als Download verfügbaren Online-Material.

 

 

Paasche, Hans (1881-1920), aus Rostock. Sohn eines prominenten Politikers aus alt-rechtem Lager, Kapitänleutnant mit Verstrickung in die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands von 1905 und insoweit in den deutschen Kolonialismus à la Carl Peters (s. Essay Nr. 10.3), 1908 seinen Abschied nehmend, 1909 Hochzeitsreise ins östliche Afrika mit seiner Frau Ellen. aus jüdischem, politisch bedeutenden Elternhaus (mit Maximilian Harden als Verwandtem [Onkel der Braut]). Ertrag der Hochzeitsreise ist das ‚Kultbuch‘ der Jugendbewegung Lukanga Mukara (1912/13), seit 1912 Mitherausgeber des Vortrupp. Am Ersten Weltkrieg nahm P. als Freiwilliger teil, um schließlich, 1916 wg. seiner pazifistischen Einstellung unehrenhaft aus der Marine entlassen, seinen durch die Kriegsentwicklung vorangetriebenen Bruch mit Hermann Popert fortzusetzen und sich in Richtung eines Pazifisten und Linksintellektuellen zu entwickeln. Als solcher gedachte er 1917 mit auf seinem Gut arbeitenden französischen Kriegsgefangenen der Französischen Revolution, konnte dem anstehenden Hochverratsprozeß nur durch Hilfe seines Vaters – der ihn in eine Nervenheilanstalt einweisen ließ – entgehen, wurde am 9. November 1918 durch revolutionäre Matrosen befreit. P. geriet zur tragischen Figur, als er, nach dem frühen Tod (infolge der Spanischen Grippe) seiner Frau zurückgezogen mit seinen vier Kindern auf seinem Gut lebend, dort selbst vor deren Augen durch Mitglieder der Brigade Ehrhardt ‚auf der Flucht‘ erschossen wurde. (vgl. Lütgemeier-Davin 1981; Morris-Keitel 1988-92: 163) Ob bei seinem Tod, wie von Popert als auch von seinem späten Freund Walter Hammer angedeutet, auch die Folgen einer Syphiliserkrankung eine Rolle spielte, ist eine offene Frage, auch, ob Poperts Kultbuch Helmut Harringa als Schlüssel- wie Anti-Syphilis-Roman zu deuten ist. (vgl. Niemeyer 2019a: 228 ff.) [166-168, 312, 320-322, 329-333, 380, 589]

 

Pacelli, Eugenio, s. Papst Pius XII.

 

Papst Pius XI. (1857-1939), eigentl. Achille Ratti, aus Desio (Lombardei). Papst von 1922 bis 1939. Mit 25 Jahren Professor am Priesterseminar in Mailand. 1914 Präfekt der Vatikanischen Bibliothek. 1918 Gesandter in Polen, erlebte dort die Invasion der Roten Armee u. entwickelte von daher einen lebenslangen Abscheu vor dem Kommunismus resp. Bolschewismus, den er, dem Antisemitismus folgend, als jüdisch-bolschewistisch brandmarkte. (vgl. Goldhagen 2002: 108 ff.) Ratti war 1921 Kardinal und Erzbischof von Mailand, 1922 Nachfolger des verstorbenen Papstes Benedikt XV. (vgl. Kerzer 2016: 605 f.) Die Judenverfolgung in Deutschland allen Bitten um Stellungnahme zum Trotz – beginnend vom Schreiben der Nonne Edith Stein vom 12. April 1933 (vgl. Godman 2004: 60 f.; Wolf 2008: 208 ff.) – weitgehend ignorierend, erkennbar im Nachgang zum diesbezüglichen Nichthandeln seines Kardinalstaatssekretärs Pacelli (vgl. Wolf 2008: 216 f.), ließ Pius XI. eine den Rassismus und das ihm innewohnende (NS-) Verbot der Mischehe verurteilende Enzyklika von 1936 unveröffentlicht. (vgl. Godman 2004: Rückumschlag) Die im Wesentlichen von Pacelli stammende Enzyklika Mit brennender Sorge (1937) sprach die Judenverfolgung in Deutschland nicht an, die Enzyklika Divini redemptoris (1937) verurteilte den Kommunismus sehr viel deutlicher als den Nationalsozialismus oder den Faschismus. Im September 1936 rechtfertigte Pius XI. Francos Militärputsch, mit Mussolini schloss er einen unheilvollen Pakt. (vgl. Kertzer 2016) Zu den Nürnberger Gesetzen und den Novemberpogromen 1938 ist keine Reaktion erfolgt. Bereits gedruckt vorliegende Exemplar einer Papstrede, in der die deutsche Judenverfolgung kritisiert u. die ital. Rassengesetze vom Juli 1938 als Bruch des Italienkonkordats kritisiert wurde, ließ Pacelli nach dem Tod des Papstes (am 10. Februar 1939, nur einen Tag vor der geplanten Rede) einstampfen. (vgl. Wolf 2008: 235 ff.)

 

Papst Pius XII. (1876-1958), eigentl. Eugenio Pacelli, aus Rom. Papst von 1939 bis 1958. Apostolischer Nuntius in München 1917, danach in Berlin, 1929 Kardinal in Rom, 1930 Kardinalstaatssekretär, 1939 Nachfolger von Papst Pius XI. (vgl. Kerzer 2016: 604) Seiner Münchener Zeit (Räterepublik) wird die – ihn mit seinem Vorgänger als auch mit der Alten Rechten verbindende – Sorge vor einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung zugerechnet. (vgl. Wolf 2008: 93; Kertzer 2016: 165 ff.) Zurückhaltend war seine Reaktion auf den Einmarsch Mussolinis in Albanien am 7. April 1939, freundlich seine Glückwünsche zu Hitlers 50. Geburtstag zwei Wochen später (vgl. Kertzer 2016: 390). Auch das katholische Polen fand im Vorfeld des deutschen Überfalls vom 1. September 1939 wenig Unterstützung. Immerhin registrierte Alfred Rosenberg unter dem Datum des 8. Mai 1940 mit Sorge die Skepsis des Papstes gegenüber Mussolinis Schulterschluss mit Hitler sowie seine Wut ob der faschistischen Drohung, den Osservatore Romano, „das Zentrum aller Feinde [Deutschland]‘s u.[nd] der Gegner Mussolinis“ (zit. n. Seraphim 1956: 137), zu verbieten. Zurückhaltend war die Reaktion des Papstes auf die Euthanasie. Dass der Papst, wie der Karl-Brandt-Biograph Ulf Schmidt schrieb, am 2. Dezember 1940 „unmissverständlich den Mord an behinderten Patienten […] [verurteilte]“ (Schmidt 2009: 228), lässt sich so nicht halten. Selbst die Aktion T4, im Entwurf noch „als unmenschliches und frevelhaftes Verbrechen“ verurteilt, galt nach des Papstes Streichung dieses von ihm als polemisch verworfenen Passus nur noch als Verbrechen vom Typ „nicht erlaubte“ Morde. (vgl. Ahmann 2001: 204) Auch Auschwitz bzw. dessen Vorzeichen wurden nur unzureichend beachtet. Erst in seiner Weihnachtsansprache 1942, als eine der allerersten Mahnerinnen (vom April 1933), Edith Stein, längst eben dort getötet worden war,  redete der Papst verklausuliert, also ohne das Wort ‚Jude‘ in den Mund zu nehmen, von seiner Sorge ob Hunderttausender von Menschen, „die ohne eigene Schuld, zum Teil nur wegen ihrer Nationalität und Rasse dem schnellen oder langsamen Tod“ (zit. n. Wolf 2008: 206) ausgeliefert seien. Bei den im September 1943 einsetzenden Judendeportation aus Rom unter Herbert Kappler reagierte der Papst zögernd, gewährte beispielsweise Kredit zwecks Aufbringung der von Kappler zunächst geforderten 50 Kilo Gold (vgl. Sachslehner 2019: 152 f.), sah aber von lautstarkem Protest ab, so dass Tausende deportiert wurden und das schließlich doch noch gewährte allgemeine Kirchenasyl für diese jedenfalls zu spät kam. Alois Hudal konnte sich deshalb das von ihm als bekennenden Antisemiten zweifelhafte Verdienst anrechnen, den entscheidende Brief mit der Bitte um Einstellung der Judenrazzia verfasst zu haben. (ebd.: 159) Nach 1945 geriet dieser Vorgang durch Rolf Hochhuths Schauspiel Der Stellvertreter (1963) wieder ins Zentrum der Debatte, auch als Effekt eines Besuchs des Jungdichters bei Hudal im Herbst 1959. Denn Letzterer nutzte die Chance, gegenüber dem damals 28-jährigen unbekannten Verlagslektor mit Pacelli gleichsam post mortem abzurechnen. Zu diesem Zweck spielte er, der beim Vatikan als der „braune Bischof“ auf Distanz gehaltene Papst-Rivale, die Rolle dessen, der nun, gegenüber Hochhuth, „ein Panorama der römischen Judenverfolgung vom Herbst 1943“ entwarf, die sein eigenes Verdienst „in ein günstigeres Licht [stellte].“ (Sachslehner 2019: 255) [424, 434, 445, 454]

 

Passdeutscher. P., auch in der pejorativen, auf türkische Mitbürger wie Deniz Yücel bezogenen Variante „Pissdeutscher“, etwa bei Michael Klonovsky, in Gebrauch, aber auch bei anderen AfDlern gängig (s. Prolog Nr. 11), ist Teil einer diskriminierenden Rede vom Typ ‚zweierlei Menschenrecht‘ und rekurriert darin auf eine NS-Unrechtspraxis mit letztlich mörderischen Folgen. [107, 112, 446]

 

Patzelt, Werner (*1953), aus Passau. Politikwissenschaftler. Lange Jahre TU Dresden (seit 2019 Prof. i.R.), Pegida-Versteher mit eigenem Blog (Patzelts Politik), die P.s Hinwendung zur AfD dokumentieren, etwa in Gestalt von Zweitverwertungen etwa aus der Jungen Freiheit. Aber auch solche, die die eigene politische Bevormundung durch die TUD betonen oder die Verständnislosigkeit der Kritiker seiner Werke beklagen. [518]

 

Pazderski, Georg (*1951), aus Pirmasens. Vorm. Oberst, AfD Berlin seit 2013 mit islamfeindlicher Einstellung und aggressiver Rhetorik gegenüber Flüchtlingen. [86]

 

Pegida (= „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“). Ab 2014, in Dresden begründet von Lutz Bachmann, als Montagsdemonstration anfangs große Erfolge als flüchtlingsfeindliche Protestbewegung, die schließlich von der AfD aufgesogen wurde. Fatal für das Image Dresdens sowie alle Städte mit ähnlichen Bewegungen. [26, 35 f., 59, 69, 95, 99, 136, 203, 263, 271, 509-511, 513, 516, 518, 539, 632, 666 f., 701]

 

Peiper, Joachim (1915-1976), aus Berlin, Gatte der Untengenannten, Adjutant Himmlers, Kommandeur II. Bataillon Leibstandarte-SS Adolf Hitler (LAH), am 19.9.1943 beteiligt am Massaker in Boves/Piemont SS-Obersturmbannführer 1944, am 17. Dezember 1944 Malmedy-Massaker an 82 amerikanischen Soldaten. P. wurde am 16.7.1946 wg. Tötung von US-Kriegsgefangenen zum Tode verurteilt und am 22.12.1956 in Landsberg entlassen. Er erlag nach seiner Zeit bei Porsche am 13.7.1976 in seinem Haus im französischen Jura den Folgen eines Feuers, das angeblich durch Kommunisten ausgelöst worden war. (vgl. Eberle/Uhl 2005: 600; Westemeier 2014: 612 ff.) [144, 421, 425, 427 f., 430, 439, 448, 626, 785]

 

Peiper, Sigurd (1912-1979), aus Kiel, geb. Hinrichsen, Gattin des Vorgenannten. 1936 Sekretärin bei Himmler, wo sie, bald beste Freundin von Himmlers Privatsekretärin (und Geliebte) Hedwig Potthast, Joachim Peiper kennenlernte. 1939 Heirat in Berlin nach SS-Regeln, im November 1943 wg. der Bombenangriffe mit Kindern Umzug nach Rottach in einen ‚Himmlerbezirk‘ sowie in Potthast-Nähe. (vgl. Westemeier 2014: 122 ff.) Ihren Kindern vermittelte die Mutter stets das Bild des Vaters als Kriegshelden, „der, obwohl unschuldig, die Bürde des gesamten Volkes mit Stolz ertrage.“ (ebd.: 644) [144]

 

People of Color (PoC), „Menschen von Farbe“. Diskriminierungsfreie Bezeichnung für bevorzugt von Stigmatisierung und Rassismus Betroffene.

 

Péron, Juan Domingo (1895-1974), aus Lobos. Argent. Präsident (1946-1955; 1973), 1955 v. Militär gestürzt, Hitler-affin, heiratete am 24. Oktober 1945 in zweiter Ehe die Schauspielerin Maria Eva Durte („Evita“ [1919-1952]), gewann am 24. Februar 1946 die Präsidentschaftswahlen, 1947 legte Evita auf ihrer Europareise unter Einbezug des Vatikan („Regenbogentour“) die Grundlagen einer Nazi-freundlichen Einwanderungspolitik, als deren Ergebnis Argentinien 40.000 Kriegsverbrechern Unterschlupf bot. (vgl. Goni 2020) Spätfolge: Nach Pérons Sturz im September 1955 wandten sich viele gegen die nach der Kriegserklärung Argentiniens an Deutschland im März 1945 beschlagnahmten deutschen Eigentums in Argentinien mit dem Argument, es gäbe keinen Grund, einem Staat etwas zurückzugeben, aus dem NS-Täter stammten, die P. seinerzeit nur deshalb den Weg zur Macht ebneten, „um in Argentinien einen faschistischen Nachfolgestaat zu schaffen.“ (Conze et al. 2010: 595) [443, 446]

 

Pervitin. Rauschdroge aus der Gruppe der Methamphetamine, der auch Crystal Meth zugehört. Als wohl letztes Opfer muss der Boxer „Jupp“ Elze gelten (mein Kindheitsidol), der am 12. Juni 1968 in den Ring stieg, um Europameister zu werden, im P.-Rauch auch 15 Runden durchhielt, aber dann im Krankenhaus einer Gehirnblutung erlag.  (vgl. Härtel-Petri / Haupt 2017: 27) Danach versank P. in der Bedeutungslosigkeit u. machte der Empörung der Älteren über den Drogenkonsum der Studentenbewegung Platz – ein Szenario, das sich nicht gut vertrug mit dem Bekenntnis, man habe sich früher, im Krieg, selbst ganz schön zugedröhnt. Kurz: Das Schweigen über beides, über den Krieg, die eigene Schuld und auch über P. wurde gleichsam eines vom Typ ‚Staatsräson‘. Inklusive des Schweigens darüber, dass sich nach 1945 auf den Schwarzmärkten nicht zuletzt drogensüchtige Kriegsheimkehrer herumtrieben auf der Suche nach P. (ebd.: 25) Wer von derlei noch nie gehört hat, offenbart deutliche Schwächen im Prüfungsfach gehobener Literatur. Der (spätere) Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll beispielsweise gab seinen Eltern von der Front deutlich zu verstehen, wessen er dringlich entbehre: P. – wie Millionen deutscher Soldaten, die kaum anders den ihnen mit Beginn des ‚Polenfeldzugs‘ abverlangten „Gewaltmärsche über zig Kilometer“ inklusive „Hitze, Kälte und „alltägliche Gewaltexzesse“ (ebd.: 19) bewältigen konnten. Dass der ‚Blitzkrieg‘ also als „methamphetamingesteuert“ (so der Medizinhistoriker Peter Steinkamp; zit,. n. Ohler 2015: 103) zu gelten hat, steht außer Frage, Deutschland hatte gut vorgesorgt: Ab 1938 war P. in Deutschland im Handel, war zunächst, auch als „Hausfrauenschokolade“, nach Kriegsbeginn und dem (angeblichen) Bezug von 35 Millionen Tabletten durch die Wehrmacht (zwischen April und Juni 1940) (vgl. Neumann / Eberle 2009: 154) unter den deutschen Soldaten weit verbreitet, als „Panzerschokolade“, auch als „Hermann-Göring-Pille“ anerkannt, und je nach militärischer Lage zielgerichtet geordert, also etwa vor dem Frankreich- vor allem aber vor dem Russlandfeldzug. Wo der Stoff „auf dem Dienstweg an die Panzertruppen ausgeliefert worden [war], eine einzelne Heeresgruppe bezog in wenigen Monaten beinahe dreißig Millionen Tabletten.“ (Ohler 2015: 154) Suchterscheinungen waren die unvermeidbare Folge, mit Erich Udet (Suizid) als wohl prominentesten Opfer und Hitlers Generalfeldmarschall Walter von Reichenau (Schlaganfall) als zweitprominentesten. Die Dunkelziffer im Segment P.-süchtiger Offiziere ist hoch, zumal das Thema der Lobbyisten entbehrt und bei Militärwissenschaftlern, auf Erörterung von Kampftaktiken und Kriegstechnik konzentriert, nicht wirklich beliebt ist. Eingeräumt wird maximal, dass Joachim Peiper als drogensüchtig gilt. (vgl. Bremm 2018: 239) Dass er, konkret, P. konsumierte wie viele seines Schlages, etwa beim Malmedy-Massaker, liegt gleichwohl auf der Hand. Belegt ist auch der Drogenkonsum Otto Skorzenys sowie sein Besuch vom 30. März 1944 in Kiel bei Vizeadmiral Hellmuth Heye, wo er sich  eintausend Tabletten einer aus P. entwickelten neuen „Wunderdroge“ aushändigen ließ, um sie „in besonderem Einsatz“ (zit. n. Ohlen 2015: 264) zu testen. Entwickelt worden war diese neue Rauschdroge D-IX (m. 5 mg Oxycocon, 5 mg Kokain u. 3 mg. P.) vom Kieler Pharmakologen Gerhard Orzechowski (1902-1977) für den Einsatz in einer der von Hitler Anfang 1944 heftig geforderten neuen „Wunderwaffen“, etwa des Ein-Mann-Kampfboots N-Wort (genannt nach dem Entwickler Richard Mohr). (ebd.: 262) Es erwies sich allerdings infolge der Nebenwirkungen als eine Art Rohrkrepierer. Nicht so das Original: Begehrt war P. vor allem wg. der im Placebo-Vergleich nachgewiesenen, zuverlässig erwartbaren Wirkungen. So dämpfte P. das Angstgefühl, auch den Hunger u. das Kältegefühl, u. wurde deswegen in Stalingrad eingesetzt, auch im U-Boot-Krieg sowie bei Fallschirmjägern, etwa beim Unternehmen Merkur im Mai 1941, was das haltlose Agieren der Täter beim Kondomari-Massaker gem. des Orzechowski-Credos („Den Mann zum Raubtier machen“, zit. n. Ohlen 2015: 261) erklären könnte (s. Essay Nr. 13.3.4), ebenso wie jenes der Einsatzgruppen beim Gewehr-Holocaust sowie der SS-Wachmannschaften in Auschwitz und andernorts. Wg. der Nebenwirkungen (kurzfristig desorientiertes Verhalten, langfristig See- u. Bergkrankheit, verzögerte Rekonvaleszenz, Hirn- und Rückenmarksstörungen), die womöglich den auch von Sönke Neitzel (2020: 132) mit Kriegsbeginn in Polen konstatierten fog of combat erklären könnten, gab es P. ab Mitte 1941 nur noch auf Rezept. Kein Problem für Hitler, der P. ab 1942 mehrmals täglich gespritzt bekam, nach dem Zeugnis seiner Sekretärin Christa Schroeder (1985: 206 ff.) von seinem Leibarzt Theodor Morell nach eigener Mixtur (P. und Koffein) u. Herstellung, dies aber, so Ernst Günther Schenck (1989: 448 f.), Autor von Patient Hitler (1987), immer nur in Tablettenform, nie gespritzt. Hitlers rascher körperlicher Verfall habe, so Schenck, Pg. und deswegen in dieser Frage Partei, „andere Ursachen“ (ebd.: 449) – die indes nicht erläutert werden, so dass die Rede vom P.-Abusus im Spiel blieb. (vgl. Neumann / Eberle 2009: 153 ff.). P. wurde vielfach beforscht, etwa im KZ Dachau im Mai 1942, in der Regel endend, so sie überlebt hatten, mit dem Ergebnis der Tötung der Versuchsperson (vgl. Klee 2001: 225), auch im KZ Mauthausen durch Schenck, zuletzt von Dezember 1943 bis Ende Juli 1944 mit dem Ergebnis, dass von 370 Häftlingen 163 bzw. 164 starben. (vgl. Westemeier 2018a: 302) nach 1945 Autor einer oben bereits beigezogenen Krankengeschichte Hitlers. (vgl. Schenck 1989) Legendär ist auch die unter dem Stichwort „Pillenpatrouille“ bekannt gewordene Versuchsanordnung im KZ Sachsenhausen vom November 1944 mit „Kokainsalz und Kokainbase, jeweils zwanzig Milligramm im Kaugummi“ als Sieger im Vergleich zu „P. zwanzig Milligramm im Kaugummi“ (Ohler 2015: 273), gemessen am Durchhaltevermögen – und -dauer auf einer KZ-internen Laufstrecke. [60, 375, 403]    

 

Peters, Carl (1856-1918), aus Neuhaus/Elbe. Alt- wie neu-rechte Kolonialismus-Ikone mit sadistischen Zügen und Herrenmensch-Attitüde, unter Mordverdacht stehend (nicht nur an Eingeborenen). Werkausgabe in der NS-Zeit mitsamt eines Film-Heldenepos von Hans-Albers-Format nach einem Drehbuch der neu-rechten Ikone Ernst von Salomon. (s. Essay Nr. 10) [312, 316 f., 321, 326, 337 f., 341 f., 414]

 

Pfad, Friedrich (?). Autor rechtsextremer Bücher (s. Essay Nr. 13.3.5), mutmaßlich im Selbstverlag, Name ist wohl Pseudonym. [446 f.]

 

Pierce, William (1933-2002), aus Atlanta/Georgia. US-Publizist mit NS-Einstellung, Autor des (verbotenen) rassistischen Romans The Turner Diaries (1978), der Timothy McVeigh und andere Rechtsterroristen anregte. [130]

 

PI-News. Der Name PI (= Political Incorret) dieses 2013 von Stefan Herre gegründeten neu-rechten Blogs ist Programm, geboten werden, gern auch von Leser*innen stammend, „News gegen den Mainstream.“ (Schudoma 2018a: 141) Der Duktus ist aggressiv und erinnert an jenen von Udo Ulfkotte & Co. [50-52, 89, 130, 177]

 

Pirinçci, Akif (*1959), aus Istanbul/Tr. Schriftsteller und PEGIDA-Redner mit rechtsextremen, homophoben Ansichten, angesiedelt in Hate Speech mit Tendenzen zum Fäkalsprachlichen. (s. Essay Nr. 20; Glosse Nr. 6) [95, 179, 273, 508-511, 515, 666-668, 701, 705, 750]

 

Pleyer, Kleo[phas] (1898-1942), aus Eisenhammer b. Hluboka/Österreich-Ungarn. Historiker, „[s]eit seiner Jugend alldeutsch und antisemitisch im Sinne Georg von Schönere[r]s politisiert“ (Betker 2008: 478), Teilnehmer am Hitlerputsch 1923 (Haar 2000: 256 f.), von 1923 bis 1933 Mitglied im Bund Oberland, gründete 1930 die Bündischen Reichschaft, in deren Namen er die „neue Regierung“ (Hitlers) fragte, ob sie wirklich bereit sei zur „sofortigen Ausweisung aller seit dem 1.8.1914 zugewanderten Juden unter Enteignung ihres in Deutschland ergatterten Vermögens.“ (Ki III 1259) 1937 wurde P. Prof. f. Geschichte in Königsberg, um 1939 nach Innsbruck zu wechseln (Betker 2008: 479). Ende 1939 rechtfertigte P. in Schulungsheften des OKW den deutschen Überfall auf Polen, nahm 1940 als Kriegsfreiwilliger am Frankreichfeldzug teil, hatte großen Erfolg mit dem Kriegsbestseller Volk im Feld (1942) und gilt als „Prototyp des ‚kämpfenden Wissenschaftlers‘, als […] ein durch und durch nationalsozialistischer Historiker.“ (ebd.: 482) Viele der vorerwähnten Daten sucht man in der auf P. bezogenen Kurzbiographie der Kindt-Edition vergebens, wohl aufgrund der fürsorglichen Maßnahmen Theodor Schieders. (vgl. Niemeyer 2013: 32 f.) [151, 231, 369, 581, 583 f., 605-609, 614, 628 f.]

 

Ploetz, Adolf (1860-1940), aus Swinemünde. Begründer der deutschen Rassenhygiene, den Hitler 1936 zum Professor ernennen sollte, weil er „den Aufbau des Dritten Reiches in hohem Maße beeinflußt [habe].“ (zit. n. Klee 2003: 466) Wohl wahr, wobei an P. vor allem die für einen Arzt erstaunlich aggressive Rhetorik auffällig ist, zutage tretend schon im ersten Teil seiner Grundlinien einer Rassen-Hygiene (1895). So lesen wir hier vom „Ausmerzen der Neugeborenen“, etwa „bei Zwillingen“, aber „so gut wie immer und principiell bei allen Kindern […], die nach der sechsten Geburt oder nach dem 45. Jahr der Mutter, bezw. dem 50. Jahr des Vaters […] geboren werden.“ Des Weiteren plädierte P. für den Fall, „dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist“, für einen „sanften Tod […], sagen wir durch eine kleine Dosis Morphium.“ (P. 1895: 144 f.) Die Radikalität derartiger Vorstellungen vierzig Jahre vor Beginn der systematischen Politik der Euthanasie sowie der Zwangssterilisationen als deren Vorschein muss überraschen, gibt aber kaum mehr als ein weiteres Zeichen für die Bedeutung der Vorgeschichte des Nationalsozialismus, die in der völkischen Bewegung des Kaiserreichs gründet und in welche auch immer, wie am Fall P. zu belegen (s. Essay Nr. 7.1.5), Ideen Nietzsches Eingang fanden. [242, 273-275]

 

Poggenburg, André (*1975), aus Weißenfels. P. zeichnete 2015 zusammen mit Björn Höcke und Alexander Gauland für die von Götz Kubitschek verfasste Erfurter Resolution verantwortlich, in welcher die AfD im Geiste des (späteren) völkischen „Flügel“ definiert wird. Nachdem P., nun AfD-Chef in Sachsen-Anhalt, bei der Landtagswahl 2016 mit 31,6 % der Erststimmen in den Landtag eingezogen war, erklärte er acht Monate später im Landtag die „linksextreme Bedrohung“ für eine „Wucherung am deutschen Volkskörper.“ (zit. n. Bensmann/Hauptmeier/Röttger 2017: 108) Diesen Ton behielt er bei bis zum politischen Aschermittwoch 2018, als er in der Bundesregierung „arbeitsscheues Lumpenproletariat“ ausmachte und Deutschtürken als „Kümmelhändler“ und „vaterlandslose Gesellen“ bezeichnete. (zit. n. Schreiber 2018: 192) Seinen daraufhin, auch als Folge zahlloser parteiinterner Querelen, unvermeidlichen Austritt aus der AfD 2019 kommentierte er mit dem neu-rechten Standardargument: „Der Korridor des Sagbaren wird immer weiter verengt.“ (ebd.: 193) [35, 40, 112, 120, 140, 257, 261, 265, 275, 452, 648, 717]

 

Pohl, Oswald (1892-1951), aus Duisburg. SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS, 1942 Chef des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, verantwortlich für die Konzentrationslager u. damit für den Raub jüd. Vermögens u. die Ausbeutung jüd. Arbeitskräfte vor der Ermordung. Im Einzelnen: „Kleider, Schuhe, Brillen, selbst die Haare, die zur Herstellung von Filzschuhen dienten In Landsberg breit inszenierter Übertritt zum Katholizismus. (vgl. Steinacher 2008: 173) P. behauptete bis zuletzt, er sei „Unmenschlichkeiten, sofern ich von ihnen Kenntnis erhielt, nachweislich energisch entgegengetreten“ (zit. n. Klee 2003: 467), Todesurteil 1947, Hinrichtung am 8.6.1951 in Landsberg, Rechtmäßigkeit derselben (nebst anderer) wurde 2017 durch den neu-rechten Ideologen Erik Lehnert bezweifelt. (s. Essay Nr. 13.3.5) [275, 423 f., 434]

 

Political Correctness. In den 1970er Jahren in den USA um sich greifendes Streben nach diskriminierungsfreiem Sprachgebrauch. (vgl. Gießelmann 2016: 230) Von neu-rechten Ideologen wie etwa Thilo Sarrazin und Udo Ulfkotte gelesen als Einschränkung der Meinungsfreiheit, der es durch strategische Besetzung der Gegenposition – etwa mittels des Blogs Political Incorrect (= PI, auch PI-News), oder, à la Caroline Sommerfeld, durch demonstrative Nutzung des N-Worts (s. Prolog Nr. 15) – entgegenzutreten gelte. Tatsächlich steht diese anti-paternalistische, wenn nicht gar nur spätpubertäre Gegenaktion vorwiegend für das Streben, der eigenen Neigung zum Hate Speech bis hin zur Fäkalsprache à la Akif Pirinçci rechtsfreie Räume zu sichern. [148, 205, 210, 251, 275, 426, 705, 744, 746]

 

Popert, Heinrich (1871-1932), aus Hamburg. Amtsrichter und Vertreter des Allgemeinen deutschen Zentralverbandes zur Bekämpfung des Alkoholismus, Verfasser des Buches Hamburg und der Alkohol (1903) sowie des ‚Kultbuchs‘ Helmut Harringa (1910). Der dem Antisemitismus zuneigende Wandervogel Hans Blüher las dieses Roman des von der mehrheitlich völkischen Jugendbewegung als „Halbjude“ Angeprangerten noch Jahrzehnte später als Dokument eines „Mischlings namens P.“, dessen „törichter“ Roman möglicherweise aus diesem Grund einen Helden präsentiere, „der schlechterdings überhaupt keine negativen Eigenschaften hat und vor Tugend, Keuschheit, Ehrlichkeit, Alkoholabstinenz und Religiosität geradezu strotzt“, kurz: er las ihn unter der Headline: „der Mischling [will] nicht Jude sein.“ (ebd.: 363) Die hier verfochtene Lesart setzt einen anderen Akzent und deutet P’s Roman als Schlüsselroman im Blick auf P.s langjährigen Freund Hans Paasche, der durch seine Kolonialismus-Erfahrung (s. Essay Nr. 10.3) zum Pazifisten geworden war, aber sich wohl auch eine Syphilis einhandelte, auf welche P.s Roman, gelesen als Anti-Syphilis-Romans (vgl. Niemeyer 2019a: 237 ff.), anspielen könnte. [269 f., 310, 586]

 

Potthast, Hedwig (1912-1994), aus Köln. Himmlers Geliebte, mit dem sie zwei Kinder hatte, was nach germanischen resp. SS-Riten, Himmler zufolge, als Folge einer Zweit-Ehe legitim war. P. war die beste Freundin von Sigurd Peiper und hatte auch ein gutes Verhältnis zu deren Mann Joachim Peiper. P. lebte der Bombenangriffe wg. ab 1943 im ‚Himmlerkreis‘ in Rottach nahe Oswald Pohl lebend. (vgl. Westemeier 2014: 126 ff.) Nach der Geburt des zweiten Himmler-Kindes im Juni 1944 Umzug in die Nähe des Obersalzbergs, dort Freundschaft mit der Schwester von Eva Braun sowie mit Gerda Bormann. 1945 soll ihr der CIA eine neue Identität angeboten und eine Heirat arrangiert haben. Sie lebte in den 1950er Jahren gemeinsam mit Sigurd Peiper in einem Bungalow, wohlversorgt, angeblich ausgestattet mit Geldern aus Schweizer SS-Depots, sprach aber nie über die Verbrechen und die Schuld ihres Geliebten. (ebd.: 528) (s. Prolog Nr. 15) [144, 275]

 

Prepper. P., abgeleitet vom englischen „to be prepared“, verfechten eine spezifische Art von Verschwörungstheorie, die vom Schlimmsten ausgeht: den „Zusammenbruch der Zivilisation“ (SP Nr. 27/30.6.2018: 49), im Blick auf den sich P. mittels horten von Toilettenpapier, Lebensmittel und Waffen wappnen. Letztere werden entsprechend des von 3.500 Usern genutzten Internetforums Überlebensgruppe benötigt für den als „Endzeitschlacht“ gegen „Millionen Asylinvasoren“. Betrieben wird dieses Forum über den russischen Internetdienst VK, der „längst zum Treffpunkt auch für deutsche Verschwörungsideologen und Rechtsextreme geworden [ist], zum Hort der schier unbegrenzbaren Hetze.“ (SP Nr. 47/16.11.2019: 53) Anfällig für derlei sind mutmaßlich paranoid Schizophrene wie der Täter von Hanau, aber auch speziell Reichsbürger, inklusive eines Mitglieds der Identitären Bewegung aus Sachsen und eines weiteren aus der rechtsextremen Gruppe Der III. Weg. Zu beachten ist auch das in Mecklenburg-Vorpommern aktive, auch von Polizisten und Bundeswehrreservisten besuchte, von Marko Groß alias Hombre (vgl. Laabs 2021: 23 ff.) begründete P.-Netzwerk Nordkreuz, gegen das der Generalbundesanwalt ermittelt „wegen des Verdachts, sie hätten Überlegungen angestellt, am ‚Tag X‘ Linke zu internieren und umzubringen“ (SP Nr. 47/16.11.2019: 52) – ein ‚Tag X‘, auf den, mit analogen Absichten, sich offenbar auch der Verein Uniter vorbereitete. (SP Nr. 11/7.3.2020: 21) [67, 76, 421]

 

Priebke, Erich (1913-2013), aus Hennigsdorf. SS-Hauptsturmführer, wie Karl Haß beteiligt am Massaker an 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen in Rom vom 24.3.1944, 1946 Flucht aus alliierter Haft, 1948, nach „Entnazifizierung durch Taufe“ (Steinacher 2008: 166), dank Alois Hudal mit Pass des Roten Kreuzes als „Otto Pape“ (aus Lettland) nach Argentinien, 1996 in Rom freigesprochen, 1998 Militärgericht Rom lebenslänglich, umgewandelt in Hausarrest. P. empörte sich 2000 über eine „Inszenierung“ gegen ihn durch die Wiesenthal-Zentren und blieb uneinsichtig, geriet zum Idol von NPD sowie von Holocaustleugnern. (vgl. Klee 2003: 472 f.) [433, 435, 444, 453, 455]

 

Pross, Harry (1923-2000), aus Karlsruhe. Von 1968 bis 1983 Ordinarius für Publizistik an der FU Berlin, wohnte, über eigene leidvolle Erfahrungen in der Hitlerjugend verfügend (vgl. P. 1993: 39 ff.), als Pfadfinder und blutjunger Doktorand dem Pfingsten 1947 abgehaltenen Altenberger Konvent des Freideutschen Kreises bei und vertraute wohl der hier vorgetragenen Einsicht, „daß der Nationalsozialismus das Gedankengut und die Lebensformen der Jugendbewegung mißbraucht hat, um seinen brutalen Machtwillen mit dem gläubigen Idealismus der deutschen Jugend zu tarnen.“ (Mogge 1999: 417) Wenig später legte P. seine Heidelberger Dissertation zum Thema Nationale und soziale Prinzipien in der Bündischen Jugend (1949) vor, eine eigentlich harmlose, an politischen Orientierungen der Handlungsträger zumindest der Vorkriegsjugendbewegung eher desinteressierte Studie. Anders im achten, mit Bündische Jugend und Hitlerbewegung überschriebenen Kapitel: P. bereitete hier Material auf, das sich mit jener Altenberger Erklärung nicht vertrug und später von Arno Klönne als „außerordentlich interessant“ (Klönne 1955: 54) gelobt wurde. Dies war ein für Veteranen damals durchaus bedrohlicher Hinweis, zumal sich Klönne wegen der These, die bündische Jugend habe dem Nationalsozialismus „beträchtliche Handlangerdienste“ (Klönne 1953) geleistet, schon damals dem Tatvorwurf der ‚Brunnenvergiftung‘ ausgesetzt sah (vgl. Reulecke 1993: 170), festzumachen an dem Vorhalt, dass er in einer seiner ersten Veröffentlichungen Goebbels willigen Helfer, einen vormaligen Burschenschaftler, mit einem gleichnamigen, eher in Opposition zu Hitler befindlichen gleichnamigen Ringpfadfinder verwechselt hatte. (s. Glosse Nr. 22) Von hier ausgehend fällt die Hochrechnung in Sachen der ferneren Entwicklung im Fall P. nicht schwer: Aufgrund zahlreicher kritischer Veröffentlichungen, darunter Rundfunksendungen sowie die für die Jugendbewegung wenig schmeichelhafte Quellensammlung Die Zerstörung der deutschen Politik. Dokumente 1871-1933 (1959), schließlich durch die kritische Gesamtdarstellung Jugend – Eros – Politik (1964), gerann P. zum Schreckgespenst von Werner Kindt sowie anderer Mitarbeiter des Burgarchivs. Der Tenor der Gegenkritik an P. ist eindeutig und bekannt aus anderen, gedruckten Quellen: Kindt und seine willigen Helfer, darunter Armin Mohler, also das Idol des neu-rechten Ideologen Karlheinz Weißmann, lasteten P. unter der Rubrik „terrible simplificateurs“ (Mohler 1972: 152) in immer neuen Anläufen und durchaus im Stil einer Kampagne an, als Nichtfachmann („P. ist bekanntlich kein Historiker“; Wolf 1974: 163) und von außen gekommener Nestbeschmutzer an, der ‚goldenen‘ Legende der Jugendbewegung (aus der Feder der Zeitgenossen) eine ‚braune‘ entgegenstellen zu wollen. Diese Kritik wurde zunehmend auch auf die „willigen Nachfolger“ (Wolf 1976: 199) von P. ausgedehnt und von Karl Seidelmann (1975: 73) in den Kontext der (für ihn) unerquicklichen Debatte um den Präfaschismus der Jugendbewegung gerückt. Als Gegenmittel wurde so etwas wie embedded science erprobt, am Beispiel Jakob Müller geredet: Ihm, der zwischen 1963 und 1969, teils mit Gattin in Archivnähe wohnend, für seine 1971 erschienene Dissertation über die Jugendbewegung recherchierte, stellte Kindt schon früh (brieflich am 17. Oktober 1964; s. AdJB, NL Kindt) die Nachfolge des damals kränkelnden Archivleiters Hans Wolf in Aussicht, nebst Rat und Tat aller Beteiligten. Kaum überraschend bekam P. dann in Müllers Dissertation eine „unzureichende bis grundlegend falsche Behandlung der fundamentalen Realitäten“ (Müller 1971: 31) bescheinigt. Auch wurde Müller im Jahrbuch des AdJb von seinem Förderer Armin Mohler wegen seiner „immer wieder neu überraschenden geistigen Unbefangenheit“ (Mohler 1972: 153) begeistert gefeiert. Dank wusste auch Hans Wolf, der Müller flugs zum profiliertesten Historiographen der Jugendbewegung erklärte. (vgl. Puschner 2001: 137) Damit schließt sich der Kreis: Wolf reichte seinem vormaligen SS-Kameraden Mohler gleichsam am Grab P.s die Hand in Sachen des Einvernehmens beider, dass, eigentlich der Überbringer der Botschaft (= P.) erschlagen gehöre, das geistige Erbe selbst aber eigentlich in Ordnung sei und weiterhin tradiert gehöre – warum nicht, um in der Gegenwart anzukommen, durch den Mohler-Adepten Karlheinz Weißmann? [151, 163, 170, 288 f., 293, 298, 308, 352 f., 360, 467, 472, 476, 482, 485 f., 496, 567 f., 579, 584 f., 591, 609 f., 614, 617, 626 f.]

 

Protschka, Stephan (*1977), aus Dingolfing. Junge Union Bayern (1993-2010), 2013 AfD, 2017 AfD-MdB, seit Dez. 2017 Beisitzer im AfD-Bundesvorstand, dem Flügel zugehörend. Stellte Mitarbeiter aus dem rechtsextremen Umfeld ein, war Mitglied einer Facebook-Gruppe, in der Hitler glorifiziert und Holocaust-Opfer geschmäht wurden. 2019 Stiftung eines Kriegsdenkmals im polnischen Bytom zugunsten der Selbstschutzkämpfer in der NS-Zeit, die an der Ermordung zehntausender Polen und Juden beteiligt gewesen waren. Hetzte 2018 im NPD- resp. NS-Stil und ähnlich wie Alice Weidel, Heiko Heßenkemper, Jens Maier und Michael Klonovsky über „Passdeutsche“. (s. Essay Nr. 11) [112 f.]

 

Proud Boys. Rechtsradikale Miliz in den USA, ausschließlich (insgesamt schätzungsweise mehrere hundert) Männer, frauen- und fremdenfeindlich. Erkennungszeichen Logo, schwarz-gelbe Poloshirts. Bekannt geworden durch Donald Trumps Zuruf im Wahlkampf 2020: „Stand back and stand by!“ (SP Nr. 4/23.1.2021: 73) [129]

 

Pudelko, Alfred (1899-1981), aus Altwasser/Schlesien. Volks- und Realschullehrer, vorübergehend (1920-22) im Polizeidienst, trat 1922 den Adler und Falken und übernahm 1928 von Wilhelm Kotzde die Bundesleitung dieses völkischen Bundes und verfügte nun über ein eigenes Publikationsorgan mit dem Titel Der Führer. 1932 wurde P. Leiter der Grenzlandschule Reichenberg, 1933 erhielt er eine Abteilungsleiterstelle am Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht in Berlin (vgl. Harten/Neirich/Schwerendt 2006: 219). P. begrüßte die ‚Machtergreifung‘ der Nazis. Seine zahlreichen Aktivitäten als Mitglied der NSDAP (seit 25.09.1925) und der SS (seit 1.6.1933) wurden in der Kindt-Edition verschwiegen (s. Essay Nr. 21/2), auch, um ihn als Verfasser der Kurzchronik zu den Adler und Falken aus dem Schussfeld zu nehmen, das Walter Laqueur mit kritischen Hinweisen zu P.s SS-Zeit eröffnet hatte. (vgl. Laqueur 1962: 124) Ersatzweise konzentriert sich die Kindt-Edition auf Harmlosigkeiten. [151, 271, 604]

 

Pudor, Heinrich (1865-1943), aus Loschwitz b. Dresden. Pseudonym Heinrich Scham, Musiker, Reiseschriftsteller, völkischer Publizist mit (früher) Präferenz für Richard Wagner und die Idee einer „germanischen“ Musik. (vgl. Adam 1999: 186 f.) 1902 legte P. mit dem Buch Die neue Erziehung eine der frühesten Programmschriften der Reformpädagogik vor und behauptet hier, Julius Langbehns Rembrandt als Erzieher enthalte „Nietzschesche Wahrheit in ‚populärer‘ Form“ (Pudor 1902: 26). Dies war ein ebenso fehlgehendes wie folgenreiches Urteil zumal im Blick auf das Rezeptionsgebaren der völkischen Kreise der JB, denen P. in seiner zunehmend militanter werdenden lebensreformerischen sowie antisemitischen Ausrichtung näher trat (vgl. Ulbricht 1996: 290). In der Kindt-Edition wird P. nicht erwähnt. Armin Mohler verzeichnet ihn als eine „der bizarrsten Existenzen unter den Völkischen“, unter Hinweis auch auf den Umstand, dass P. sich aus, so Mohler, „antisemitischem Starrsinn“ (M: 358) von seiner (ersten) jüdischen Frau scheiden ließ. [303 f.]

 

Putin, Wladimir (*1952), aus Sankt Petersburg. Russ. Präsident mit diktatorischen Zügen und Vollmachten, völkerrechtswidriges Agieren in der Krim unter Einschluss des (wohl irrtümlichen) Abschusses eines holländischen Passagierflugzeuges (s. MH17), kriegerische Unterstützung des syrischen Diktators Assad, menschenrechtswidriges Agieren im eigenen Land mit sehr vielen Opfern bei rücksichtsloser Bekämpfung politischer Gegner unter Einschluss von Mordanschlägen (etwa auf Alexej Nawalny). Viele Freunde im rechtspopulistischen Lager, auch in Deutschland, bei der AfD mit der Folge einer Art „fünfte Kolonne“ unter maßgeblicher Beteiligung von Robby Schlund (AfD-MdB aus Gera) und stiller Duldung durch Putin-Freunde wie Gerhard Schröder (SPD). Joe Biden nannte P. auf Nachfrage „Killer“. (s. Prolog Nr. 10; Glosse Nr. 3) [90-92, 95, 120, 128, 316, 350, 352, 450, 660-662, 707, 759, 784, 788, ,2,3,4,5]

 

[Zum Autor: Christian Niemeyer, Prof. (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Zum Text: Dieses Lexikon wurde, wie die noch ausstehenden Folgen, wurde dem Online-Material (S. 21-106) meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz 1). Mit Online-Materialien. Weinheim Basel 2021 entnommen. Der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Beltz Juventa.]

Bild oben: Bild oben: Juan Domingo Perón; Vladimir Putin, (c) Kremlin.ru / CC BY 4.0; Akif Pirinçci, (c) Eckhard Henkel / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 DE