Jahrbuch für Antisemitismusforschung

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Mittlerweile liegt die 30. Ausgabe des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ vor. Es enthält 20 Aufsätze zu den Komplexen „Antisemitismus in der Sprache“, „Antisemitismus und Nationalsozialismus“ sowie „Erinnerungen an die Rettung von Juden“. Erneut ist ein beachtenswerter Band entstanden mit auch für die Forschung wichtigen Botschaften, etwa zur manipulierten Domarus-Edition von Hitler-Reden oder zum geringen Erklärungswert freudianischer Deutungen des Antisemitismus.

Von Armin Pfahl-Traughber

Mittlerweile liegen dreißig Ausgaben des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ vor, welche vom Berliner „Zentrum für Antisemitismusforschung“ zunächst von Wolfgang Benz und danach von Stefanie Schüler-Springorum herausgegeben wurden. Den damit einhergehenden Anspruch findet man immer auf dem Klappentext prägnant ausformuliert: „Das Jahrbuch für Antisemitismusforschung ist ein Forum für wissenschaftliche Beiträge zur Antisemitismus-, Vorureil- und Minderheitenforschung und will dieses disziplinär breite Spektrum bündeln. Es ist deshalb fächerübergreifend und international vergleichend ausgerichtet. Es veröffentlicht Arbeiten zur Geschichte der Judenfeindschaft, zur nationalsozialistischen Verfolgungspolitik, zum Holocaust, zu Emigration und Exil, zum Rechtsextremismus, zu Minoritätenkonflikten und zur Theorie des Vorurteils.“ Demgemäß geht es nicht nur um den Antisemitismus im engeren Sinne. Und auch wenn die meisten Autoren Historiker sind, kommen einige Beiträge aus anderen Disziplinen.

Das ist auch bei der neuesten Ausgabe so. Sie beginnt indessen mit Informationen zur institutionellen Neuausrichtung des „Zentrums für Antisemitismusforschung“, gehört dies doch nun mit zum „Forschungsinstitut für Gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Nach diesen Ausführungen in eigener Sache folgen dann aber zwanzig Aufsätze, die drei Themenschwerpunkten zugeordnet wurden. Dabei geht es erstens um „Die Sprache der Judenfeindschaft“: Zunächst behandelt Rodrigo Quezada Reed die Hebraistik des Gegenreformators Johannes Eck, der seine eigentliche Absichten mit judenfeindlichen Botschaften verband. Besondere Aufmerksamkeit verdient danach Peer Jürgens Analyse zu judenfeindlichen Darstellungen in romantischen Märchen, wobei er die Judenfiguren bei den Brüdern Grimm und Clemens Brentano systematisch untersucht. Dabei nutzt der Autor ein interessantes Raster im systematischen wie vergleichenden Sinn, bezogen auf Agieren, Eigennamen, Erscheinungsbild, Figurenzeichnungen und Sprache.

Nachdem dann Rolf-Harald Wippich noch die Judenfeindschaft unter den Deutschen in Meiji-Japan thematisiert hat, folgen Beiträge zu „Antisemitismus und Nationalsozialismus“. Stefan Scholl analysiert antisemitische Diskurselemente in Eingaben an Behörden und Parteiinstanzen während der NS-Zeit. Dem folgend kritisiert Anthony D. Kauders heftig die freudianischen Deutungen des Antisemitismus in der kritischen Theorie, womit es sich um einen Beitrag handelt, der sicherlich Reaktionen auslösen dürfte. Gleiches gilt für Wolfram Meyer zu Uptrups Blick in die Dokumentation von Hitler-Reden durch Max Domarus, der offenbar bewusste und manipulative Auslassungen in den Texten vornahm, welche den Antisemitismus als bloßen „Judenkomplex“ erscheinen lassen sollten. Und dann folgt in dieser Rubrik noch eine Abhandlung zu H. G. Adlers Positionen zu Judentum und Zionismus in der frühen Nachkriegszeit, wo der bekannte frühe Holocaust-Forscher beachtenswerte Positionen zu den Konflikten um die israelische Staatsgründung formulierte.

Und schließlich gibt es noch die Rubrik „Neue Ansätze zur Rettung von Jüdinnen und Juden während des Holocaust“, worin sich Aufsatzvarianten einer dazu durchgeführten Konferenz finden. Mordecai Paldiel erinnert an die in Israel gegenüber Oskar Schindler ausgesprochenen Würdigungen und deren seinerzeitige Hintergründe und Meron Medzini an den in Deutschland kaum bekannten „japanischen Schindler“ Sugihara Chiune als Retter von um die 6.000 Juden. Michael Berkowitz thematisiert Kennet Clarks Rettung des Hamburger Warburg Instituts. Und die Rettung der griechischen jüdischen Bevölkerung wird anhand von künstlerischen und literarischen Darstellungen von Anna Maria Droumpouki thematisiert. Und schließlich geht Julia Sahlström den Narrativen über die Rettung in der jüdisch-schwedischen Presse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach. In der Gesamt liegt erneut eine beachtenswerte Jahrbuchausgabe vor. Manche Aufsätze sind sehr detailfixiert. Die Beiträge von Jürgens, Kauders und Meyer zu Uptrup sollten breite Reaktionen auslösen.

Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 30,Berlin 2021 (Metropol-Verlag), 302 S., Bestellen?