Antisemitismus gegen Israel als „postnazistischer Antisemitismus“

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Thomas Haury und Klaus Holz legen eine gemeinsame Monographie vor, welche die Besonderheiten und Konturen des genannten Phänomens herausarbeiten will. Dabei liefern die Autoren eine Fülle an Interpretationen, welche mal mehr, mal weniger zugestimmt werden kann. Gleichwohl lohnen die Reflexionen darüber.

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus äußert sich heute insbesondere in einer Feindschaft gegen Israel. Da judenfeindliche Auffassungen öffentlich diskreditiert sind, findet dabei eine „Umwegkommunikation“ statt. Denn Einwände gegen die israelische Politik sind legitim, dahinter stehende antisemitische Motive indessen nicht. Die bisherige Debatte stellte häufig eine besondere Frage in das inhaltliche Zentrum: Wo liegen die Grenzen zwischen einer antisemitischen und einer nicht-antisemitischen Position? Darum geht es indessen Thomas Haury und Klaus Holz nicht. Die ausgewiesenen Antisemitismusforscher, beides Soziologen, hatten bereits vor Jahren grundlegende Studien zum Themenkomplex vorgelegt: „Antisemitismus von links“ im ersten Fall und „Nationaler Antisemitismus“ bei Holz. Nun taten sie sich zu einer gemeinsamen Analyse zum „Antisemitismus gegen Israel“, so der schlichte Buchtitel, zusammen. Beide wollen darin das Gemeinte hinsichtlich seiner Konturen klar bestimmen und in seiner Spezifik vergleichend untersuchen.

Ihre Darstellung setzt indessen bei der Geschichte des Zionismus ein, wobei auf dessen Ambivalenzen und Fraktionen sowie die an ihm geübte innerjüdische Kritik verwiesen wird. Bereits hier stellt sich aber die Frage, inwieweit diese Gesichtspunkte für das eigentliche Thema relevant sind. Denn der analysierte Antisemitismus bezieht sich ja nicht auf die Entwicklungen vor 1948 und dann meist auch nicht auf reale Ereignisse unmittelbar danach. Die folgenden Ausführungen widmen sich dann den Formen der Judenfeindschaft nach der Shoah, wofür „postnazistischer Antisemitismus“ als konkrete Bezeichnung dienen soll. Es geht dabei zunächst um den „Antisemitismus von links“, etwa bezogen auf die DDR und die westdeutsche Linke. Danach findet der „islamistische Antisemitismus“ gesonderte Aufmerksamkeit. Hierbei fällt auf, dass von einem importierten Antisemitismus in den arabischen Raum ausgegangen wird, wobei die auch im christlichen wie im islamischen Glauben angelegten traditionellen Prägungen doch unterschätzt werden.

Die diesbezügliche Bedeutung der Identitätspolitik steht danach im Zentrum. Ihr folgt eine Auseinandersetzung mit antijudaistischen Bekundungen im Christentum, ein häufig für die Gegenwart unterschlagener Gesichtspunkt. Und dann fällt noch der Blick auf die Einstellungen in dem, was die AfD darstellt und hier etwas schief „Neue Rechte“ bezeichnet wird. Die Autor konstatieren bilanzierend: „Wir haben Antisemitismus gegen Israel in der ganzen Breite der Judenfeindschafft seit dem späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart gefunden. Er ist pränazistisch, nazistisch und postnazistisch im klassischen Antisemitismus ebenso festzustellen wie im christlichen Antijudaismus und Islamismus, im stalinistischen Antisemitismus ebenso wie im neurechten“ (S. 351). Dafür liefern die Autoren zahlreiche Belege, wobei auch eigene analytische Einschätzungen vorgenommen werden. Denn sie formulieren dezidiert den Anspruch, die bisherige Forschung mit ihren neuen Interpretationen zu konfrontieren und hier inhaltliche Verbesserungen voranzutreiben.

Dies gilt für allgemeine wie detaillierte Aspekte, die größeren Raum in gesonderten Reflexionen einnehmen müssten. Mal kann den Ausführungen mehr, mal kann ihnen weniger zugestimmt werden. Dazu seien einige Beispiele aufgeführt: So wenden Haury und Holz sich gegen die „Typologisiererei“: „Denn diese schlägt falsche Besonderheiten vor und findet für das Allgemeine nur karge Worte“ (S. 355). Indessen sind die meisten Ansätze idealtypisch gemeint und verleugnen gar nicht reale Mischformen. Eine antisemitische Israelfeindschaft ist von jahrhundertealten Stereotypen geprägt, was die Auffassungen von unterschiedlichen Typen gar nicht unterschlagen. Mitunter werden bei den Autoren besondere Deutungen behauptet, die gar nicht so besonders in der Forschung sind. Es gibt auch häufig sehr differenzierte Einschätzungen, etwa zur BDS-Kampagne und deren Hintergründen. In der Gesamtschau liegt ein reflexionswürdiges Werk vor. Auch da, wo begründet Einwände formuliert werden können, lohnt die inhaltliche Kontroverse.

Klaus Holz/Thomas Haury, Antisemitismus gegen Israel, Hamburg 2021 (Hamburger Edition), 419 S., Bestellen?