Rechte(s) von A-Z

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Folge 3: C bis Curio, Gottfried

Von Christian Niemeyer

Dieses Lexikon gibt Informationen in kompakter Form sowie weitergehende Literaturhinweise, basierend auf Forschungsliteratur sowie allgemein zugänglichen Nachschlagewerke, zumeist in Printversionen. Internetquellen, etwas das Belltower-Lexikon sowie Wikipedia, wurden konsultiert. Ersteres ist aber zu unspezifisch und im Übrigen schlecht aufgebaut und unvollständig. Letzteres ist zu spezifisch, mitunter unzuverlässig. Das Handbuch Rechtsradikalismus (2002) von Thomas Grumke & Bernd Wagner setzte in beiden Hinsichten neue Maßstäbe. Es hat nur einen Nachteil: es ist zu alt, im Vergleich zum im Folgenden dargebotenen Material (Redaktionsschluss: Juli 2021), das ab jetzt auf hagalil.com in mehreren Folgen erscheinen wird und dem Online-Anhang meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte (2021) entnommen wurde. Am Ende eines jedes Eintrags finden sich in eckigen Klammern in Fettdruck die Seitenzahlen, auf denen die jeweilige Person oder Sache in der Printversion erwähnt wird. Damit gewinnt dieses Lexikon den Charakter eines Sach- und Personenregisters im Blick auf jene Printversion. Literaturhinweise finden sich in jenem kostenlos auf der Homepage des Verlags Beltz Juventa (Weinheim) als Download verfügbaren Online-Material.

 

Camus, Renaud (*1946), aus Chamalières/Fr. Schriftsteller, Philosoph, Politiker, Vordenker des rechtsextremen Front Nationale. In seinem Buch Le grand replacement (2011; dt.: Der große Austausch, erschienen 2016 bei Antaios in Schnellroda, übersetzt von Martin Lichtmesz) postuliert C., in einiger Analogie zu Jean Raspail sowie Thilo Sarrazin, eben dies, mit großer Resonanz bei der Identitären Bewegung sowie bei Terroristen wie Brenton Tarrant, die durch Tötung möglichst vieler der Gegenseite offenbar Sand ins Getriebe des „Großen Bevölkerungsaustausches“ zu werfen beabsichtigen. (s. Essay Nr. 7.1.2) [676]

 

Carell, Paul (1911-1984), eigentl. Paul Schmidt, ab 1984 Paul Schmidt-Carell, aus Kelbra. Journalist, Sachbuchautor, Diplomat. 1931 NSDAP u. SA. Konzipierte als Student in Kiel die „Aktion wider den deutschen Geist“ und legt damit den Grund für die Bücherverbrennungen. 1936 Dienststelle Ribbentrop, 1938 SS, 1940 SS-Obersturmbannführer sowie Pressesprecher Ribbentrops. (vgl. Conze et al. 2010: 148 ff.) Profiteur der Arisierung, Propaganda für den Holocaust, Ideen, jenen an den ungarischen Juden 1944 als Gegenwehr zu rechtfertigen. Im Mai 1945 verhaftet, zweieinhalb Jahre interniert, Zeuge der Anklage gegen Reichspressechef Otto Dietrich, 1965 Ermittlungen wg. Mordes an ungar. Juden, 1971 eingestellt. Zwischendurch beim Spiegel, langfristig (1958-1979) bei Axel Springer (Die Welt), 1979 Gründungsmitglied des Studienzentrum Weikersheim. In seinen Kriegsdarstellungen, etwa in seinem 3-Millionen-Bestseller Unternehmen Barbarossa (1963), sucht er, beraten von ehemaligen SS-Führern (vgl. Westemeier 2014: 566), das Bild der sauberen Wehrmacht zu etablieren, erwähnte die Juden nicht mit einem Wort (vgl. Littell 2008: 23), leugnete, auch in seinen anderen Werken, systematisch die dt. Kriegsverbrechen. Deswegen ist die Nutzung von C.-Texten in der Bundeswehr seit 2009 untersagt. Das einzig Gute über ihn findet sich bei Sönke Neitzel: Seinen von Verbrechen und Vernichtung absehenden „Heldenerzählungen“ eigne doch immerhin die Wirkung, als „wichtige Hebel zur Integration der Wehrmachtveteranen in die Gesellschaft und den neuen Staat“ fungiert und damals, in den 1960er Jahren, dabei geholfen zu haben, „rechtsradikale Parteien in die Bedeutungslosigkeit abzudrängen.“ (Neitzel 2020: 259) Dem mag schon so sein, für damals. Heute allerdings gilt eher das Umgekehrte: C.s Texte erfreuen sich gerade wg. ihrer die Geschichte des II. Weltkriegs und zumal, wie bei Thorsten Hinz (2008: 162 f.) erkennbar, die Geschichte des Beginns desselben als eines Hitler zutiefst schockierenden Geschehens bei neu-rechten Ideologen äußerster Beliebtheit. (s. Essay Nr. 13.5) [430 f.]

 

Cato, neu-rechtes Zweimonatsmagazin, seit 2017 mit einer Auflage von angeblich 50.000 Expl., mitbegründet von Karlheinz Weißmann, redigiert von Andreas Lombard, zu den Autoren gehört seit 2020 auch Hans-Georg Maaßen. [174]

 

Chamberlain, Houston Stewart (1855-1927), aus Portsmouth/GB. Sein Hauptwerk Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1898) wollte die Rassenlehre Gobineaus sowie den vorherrschenden Antisemitismus jener Epoche im Geiste Richard Wagners – Ch.s Schwiegervater – sowie des Bayreuther Rassegedankens und des (späteren) Nationalsozialismus reformulieren. (Schüler 1971: 252 ff.) Ch., der in den Jahren 1899 bis 1909 in Wien lebte, beeinflusste auch die Jugendbewegung und insbesondere die Deutsche Hochschulgilde Thule (vgl. Thums 1972: 93 ff.). Auch in der zwischen 1926 und 1933 erschienen bündischen Zeitschrift Die Kommenden wurden „die Gedanken und Werke Ch.s“ zu den „Grundlagen der völkischen Bewegung“ (zit. n. Breuer/Schmidt 2010: 296) erklärt. (s. Essay Nr. 7.1.4; Nr. 22.3) [269-273, 308 f., 462, 520, 535 f., 547, 568, 578, 635]

 

Chrupalla, Tino (*1975), aus Weißwasser. Seit 2015 AfD, von Pegida herkommend, setzte sich als MdB-Kandidat 2017 mit 32,4 % gegen Michael Kretschmer (CDU) durch, gab 2018 Nikolai Nerling ein Interview. Seit 2019 neben Jörg Meuthen AfD-Parteivorsitzender. Ch. fällt immer wieder mit rechtsextremen Vokabeln und Gedanken auf, die er nicht getätigt haben will. Orientiert sich, was die Opferzahlen der Dresdner Bombenangriffe vom Februar 1945 angeht, an den Zahlen von Goebbels, liest Migration als Genozid an den Deutschen, dementiert diese aber, distanziert sich von Christian Lüths’ Vergasungsvorschlag (s. Prolog Nr. 8), dem er allerdings zuvor im kleinen AfD-Kreis zugestimmt habe soll. Ch. wurde 2020 beim Versuch der Löschung des Brandes infolge eines Brandanschlags auf sein Auto leicht verletzt. [409, 648]

 

Claß, Heinrich (1868-1953), aus Alzey. Antisemit und Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes (1908-1939) (s. Essay Nr. 10.1) [319 f.]

 

Compact. 2010 von Jürgen Elsässer gegründetes neu-rechtes Monatsmagazin (auch Online), definiert, unter der Losung „Mut zur Wahrheit“, als „das scharfe Schwert gegen die Propaganda des Imperiums.“ (zit. n. Schudoma 2018a: 140) Für Qualität bürgen neu-rechte Verschwörungstheoretiker und Geschichtsrevisionisten wie der ehemalige Verfassungsschützer Helmut Roewer. (vgl. Hemmerling 2019: 291 f.) 

 

Curio, Gottfried (*1960), aus Berlin. Mathematiker, Physiker, Musiker, AfD (seit 2014), Mitglied Abgeordnetenhaus Berlin seit 2016, mit abstrusen Einlassungen zum Amoklauf in Hanau sowie Warnungen vor einem „Geburten-Dschihad“. (s. Prolog Nr. 9) [58 f., 78, 648]

 

[Zum Autor: Christian Niemeyer, Prof. (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Zum Text: Dieses Lexikon wurde, wie die noch ausstehenden Folgen, wurde dem Online-Material (S. 21-106) meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz 1). Mit Online-Materialien. Weinheim Basel 2021 entnommen. Der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Beltz Juventa.]

Bild oben: V.l.: Renaud Camus, (c) Autoportrait de Renaud Camus, CC BY 2.0 / Tino Chrupalla, (c) TC2021, CC BY-SA 4.0 / Gottfried Curio, (c) Sandro Halank, CC BY-SA 4.0