Gleise in den Tod – Holocaust

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Erst nach dem Krieg will Karl Wolff vom Massenmord an der jüdischen Bevölkerung erfahren haben. Er hatte keine Ahnung, man habe ihn getäuscht. Diese Behauptung wiederholte er 1964 als Angeklagter vor dem Münchner Landgericht wieder und wieder.

Zeuge um Zeuge, Dokument um Dokument, das von der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurde, sowie vom Gericht bestellte Sachverständige ließen diese Behauptung immer unglaubwürdiger, ja absurd erscheinen. Denn Karl Wolff, General der Waffen-SS und SS-Obergruppenführer, war Heinrich Himmlers persönlicher Adjutant und sein Verbindungsoffizier zu Adolf Hitler. Er hatte zum engsten Führungskreis des NS-Regimes gehört, an streng geheimen Verhandlungen teilgenommen, zahllose einschlägige Dokumente waren durch seine Hände gegangen.

Daran konnte sich Wolff nicht erinnern. Und in den Aussagen der von der Verteidigung vorgeladenen Zeugen, die selbst hohe Funktionen in SS und Wehrmacht bekleidet hatten, wiederholte sich das: Dem Münchner Gericht wurde ein „Festival meisterhafter Vergesslichkeit“ geboten.

Roman Cílek hat diesen Prozess in einer fesselnden Gerichtsreportage dokumentiert – doch mehr als das.

Im Lichte der Schicksale dreier Überlebender des Holocaust, mit denen Cílek in persönlichem Kontakt stand, tritt die unfassbar grausame Dimension des Menschheitsverbrechens drastisch vor Augen, das Gegenstand des Münchner Verfahrens war. Die Lebensgeschichten der Tschechen Richard Glazar, der am Aufstand im Vernichtungslager Treblinka beteiligt war, und František Kraus, der Theresienstadt, Auschwitz und Blechhammer überlebte, und schließlich der Ungarin Ema Stern, die Auschwitz, Ravensbrück und einen Todesmarsch durchleiden musste, hinterlassen den Leser entsetzt und fassungslos.

Arnošt Lustig schrieb in einem Begleitwort: „Es ist ein zutiefst menschliches, ehrliches und gutes Buch. Es gehört zum Besten, was über den Zweiten Weltkrieg geschrieben worden ist und kommt auf seinem Gebiet der Perfektion nahe. Beim Lesen war ich tief ergriffen und beim Schreiben dieser Zeilen läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Es ist ein wunderbares Buch über abscheuliche Dinge, deren Zeugen wir auf den Gleisen der Geschichte in den Tod geworden sind.“

Als Autor von über fünfzig historisch-politischen Sachbüchern sowie Kriminalromanen gehört Roman Cílek zu den bekanntesten und erfolgreichsten tschechischen Schriftstellern der Gegenwart. Nun legt der Historiker Werner Imhof die Übersetzung seines wohl wichtigsten Buches ins Deutsche vor.

Roman Cílek, Gleise in den Tod: Holocaust, Verlag tredition, Hamburg 2021. Übersetzung Werner Imhof. 300 Seiten, mit 29 Abbildungen, Bestellen?