Antisemitismus auf Coronademonstrationen prägend

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Im Zuge der massiv wachsenden Anzahl von Versammlungen mit Bezug zur Coronapandemie kommt es auch immer wieder zu antisemitischen Äußerungen.

Der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) wurden seit dem 1. Dezember 15 antisemitische Vorfälle mit Bezug zur Pandemie bekannt, 11 davon fanden im Rahmen solcher „Coronademos“ statt, zwei weitere am Rande bzw. danach durch Teilnehmende. Da zurzeit sehr viele Versammlungen stattfinden, ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen.

Die dokumentierten Fälle sind überwiegend dem Post-Schoah-Antisemitismus zuzuordnen. Hierbei handelt es sich um eine Form des Antisemitismus, der sich inbesondere in einer Verhöhnung der Opfer der Schoah äußert, etwa durch eine Gleichsetzung der (tatsächlichen oder vermeintlichen) Coronamaßnahmen mit der Verfolgung und Ermordung der Juden im Nationalsozialismus.

„Die Demonstranten fühlen sich durch den Zuwachs der Kundgebungen und das häufige Gewährenlassen durch die Polizei immer weiter ermächtigt. In diesem Zusammenhang sind auch die zahlreichen antisemitischen Vorfälle zu sehen“, sagt RIAS-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpacı.

„Es zeigt sich eine verfolgende Unschuld: Die Menschen imaginieren sich an die Stelle der Opfer der Schoah. Die Maßnahmen und eine eventuelle Impfpflicht erscheinen als zweiter Holocaust. Manche geben in antisemitischer Manier die Schuld an dieser angeblichen Verfolgung geheimen, mächtigen und als jüdisch markierten Instanzen. Das steht in einer deutschen Tradition der Schuldabwehr, sich als Opfer der Opfer zu sehen. Die antisemitischen Inhalte werden auf der Straße aktiv von relativ wenigen Personen verbreitet, es gibt aber keinerlei Distanzierung davon von anderen Teilnehmer:innen. Dass es meist nicht die auch anwesenden Rechtsextremen sind, die diese Botschaften verbreiten, zeigt einmal mehr, wie sehr Antisemitismus als ‚Alltagswissen‘ in allen Bevölkerungsschichten verankert ist.“

Eine Auswahl an antisemitischen Äußerungen:

4.12., Neumarkt: Eine Teilnehmerin zeigt ein Schild mit der Aufschrift „Holocaust 2.0 Geniales Ablenkungsmanöver einer korrupten Versagerpolitik und ihrer Lügenpresse“.

7.12., Günzburg: Ein Redner und eine Rednerin zitieren zustimmend Berichte „aus Amerika“ darüber, dass dort der Immunologe Dr. Fauci mit dem KZ-Arzt Josef Mengele verglichen würde.

8.12., München: Es werden Schilder mit den Aufschriften „Impfen macht frei“, „Spritzenholocaust“, „Neue Weltordnung? Nein danke!“ sowie ein gelber Stern mit der Inschrift „ungeimpft“ gezeigt. Eine Teilnehmerin gibt „Rockefeller, Rothschild und Co“ – antisemitische Chiffren für „die Juden“ – Schuld an der Pandemie und den Maßnahmen.

11.12., Aschaffenburg: Ein Mann trägt eine gelbe Armbinde mit der Aufschrift „ungeimpft“, ein weiterer eine gelbe FFP2-Maske mit dem gleichen Text am Arm. Auf einem Transparent werden „Juden“ mit „Hexen“ und „Ungeimpften“ in eine Reihe gestellt.

11.12., Neumarkt: Ein Mann ruft über ein Megafon: „Keine Konzentrationslager für Ungeimpfte“.

13.12., Straubing: Eine Person trägt eine Armbinde mit einem sogenannten „Judenstern“ mit der Inschrift „ungeimpft“.

13.12., Weilheim: Auf einem Schild ist zu lesen: „Juden und Ungeimpfte dürfen jetzt also nicht mehr zum Einkaufen“.

15.12., München: Ein Mann zeigt ein Schild mit einem Foto vom Eingangstor zum ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt. Die Inschrift „Arbeit macht frei“ über dem Tor ist in „Impfen macht frei“ abgeändert worden. Auf dem Schild einer Frau steht: „Es fing nicht mit Gaskammern an.“

15.12., Nürnberg: Auf einem ausgelegten Flyer wird das antisemitische Narrativ der „Lügenpresse“ bedient. Ein Passant ruft in Richtung der Kundgebung: „Impfpflicht jetzt!“, ein Teilnehmer antwortet: „Möchtest du die Juden auch verfolgen und vergasen?“

Zudem wurden häufig geschichtsrevisionistische Motive verbreitet, etwa indem behauptet wird, die Impfungen seien ein „medizinischer Menschenversuch“ und würden gegen den Nürnberger Kodex verstoßen. Dieser war aus den Nürnberger Ärzteprozessen hervorgegangen, in denen Ärzte für pseudowissenschaftliche Versuche unter anderem in Konzentrationslagern verurteilt wurden.

RIAS Bayern nimmt Meldungen über antisemitische Vorfälle auf und unterstützt Betroffene von Antisemitismus in Bayern. Die Stelle ist beim Verein für Aufklärung und Demokratie (VAD) e.V. angesiedelt und wird vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.

Antisemitische Vorfälle, auch solche unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, können unter www.rias-bayern.de oder per Telefon unter 089 122 234 060 gemeldet werden.

1 Kommentar

  1. Woher kommt dieser so weit verbreitete bayerische Antisemitismus?

    Er ist die Folge eines sehr beschränkten Wissens um die eigene Geschichte bei sehr vielen Bayern und einer Mentalität, die nicht gewohnt ist, Fragen zu stellen.
    Man glaubt stillschweigend, was einem vorgesetzt wird. Eigene Recherchen oder Hinterfragen von Unklarheiten im eigenen Geschichtsbild sind nicht üblich. Und, es ist unpopulär, die eigene weißblaue Geschichte gut zu kennen.

    So wissen viele Bayern z.B. nicht, dass es ohne ihr Bayern mit großer Wahrscheinlichkeit den Nationalsozialismus und den Holocaust gar nicht hätte geben können. Denn als Hitler nach Bayern kam, sprach er einen bayerisch-österreichischen Dialekt, mit dem er im Rest Deutschland nur Gelächter geerntet hätte. Erst intensiver Deutschunterricht, erhalten in München von „Wohlmeinenden“, versetzte ihn in die Lage auch außerhalb der südöstlichen Bauernregion verstanden zu werden.

    Eigene Umfragen in Bayern ergaben, dass von über 200 Befragten nur etwa 5 % wusste, dass der Nationalsozialismus in Bayern entstanden ist.

    Bayerische Geschichtsbücher haben sich bis etwa zur Jahrtausendwende häufig geweigert, diese Tatsache zu benennen.

    In einem aktuellen Geschichtsbuch zum Bayern der letzten zweihundert Jahre der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildung (Publikation A95) von 2006 findet man auf zwei – 120 Seiten auseinanderliegenden Halbsätzen – diesen Tatbestand genannt. Nur dem sehr aufmerksamen Leser des umfangreichen Buches werden sie auffallen.

    Ganz dementsprechend hat Bayern, wie Umfragen der Friedrich-Ebert-Stiftung 2006-2010 und eine weitere der Leipziger Uni von 2015 belegten, den höchsten Satz Antisemiten aller Bundesländer!
    Die TAZ titelte nach Bekanntgabe der Resultate vollkommen berechtigt „Bayern antisemitischer als der Osten“. Traurigerweise war dies den Bayern mehrheitlich egal, weder Medien noch Staatsregierung sahen sich daraufhin veranlasst, für mehr Bildung zu sorgen.

    Somit ist es summa summarum keineswegs verwunderlich, was in Bayern geschieht.

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