Desinteresse an einer bestimmten Minderheit

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Die Identitätslinke will sich für diskriminierte Minderheiten engagieren. Antisemitismus und Juden kommen dabei meist nicht vor. Dafür gibt es problematische Gründe…

Von Armin Pfahl-Traughber

Die Identitätslinke will sich für diskriminierte Minderheiten engagieren. Dies sind Diverse, Muslime oder PoC. Indessen fällt auf, dass eine bestimmte Minderheit bei den vielen Minderheiten fehlt: die Juden. Warum geht es nicht auch gegen Antisemitismus, denn Juden werden nach wie vor bedroht? Man muss nicht auf Anschlagsgefahren wie in Halle hinweisen, auch im Alltagsleben gibt es immer wieder einschlägige Herabwürdigungen und körperliche Angriffe. Doch warum ist das bei der Identitätslinken kein relevantes Thema?

Dafür gibt es wohl unterschiedliche Gründe. Bei den letztgenannten Fällen waren es besondere Täter: arabischstämmige Muslime. Damit gehören sie auch einer diskriminierten Minderheit an. Indessen macht dieses Fallbeispiel deutlich: Angehörige einer benachteiligten Gruppe können auch selbst diskriminierend gegenüber Angehörigen einer anderen Gruppe wirken. Diese Einsicht passt indessen nicht in das identitätslinke Weltbild. Denn dort gibt es eine Dominanzkultur der Weißen, wovon dann die Diskriminierung von Minderheitenangehörigen ausgeht. Und insofern kann es aus dieser Denkperspektive auch keinen Rassismus von Schwarzen gegen Weiße geben.

Doch wie steht es um die Angriffe in den genannten Fällen? Denn die erwähnten Juden waren auch Weiße. Gehörten sie damit ebenfalls einer Dominanzkultur an? Wie würde man diese Dominanzkultur benennen? Oder sollte sich in den Gewalthandlungen nur eine überspitzte „Israelkritik“ artikulieren? Und gehörten die betroffenen Juden irgendwie zu diesem Kollektiv? Waren sie gar individueller Bestandteil eines „zionistischen Kollektivs“? Man könnte derartige Gedanken noch weiter spinnen, um die Absurdität mancher identitätslinker Denkungsarten zu veranschaulichen. Deutlich machen die Ausführungen aber schon hier: Es geht nicht grundsätzlich um Diskriminierung und Minderheiten.

Durch die empirische Forschung in europäischen Ländern ist bekannt, dass antisemitische Einstellungen unter Muslimen überdurchschnittlich stark präsent sind. Sie liegen gegenüber den befragten Christen zwei- bis dreifach höher. Doch warum ist das in der Identitätslinken kein Thema? Eine Antwort lautet: Die Einsicht in diese Fakten stört ein simples Weltbild. Es orientiert sich an diskriminierten Gruppenidentitäten, nicht an universellen Menschenrechten. Ansonsten würde man Benachteiligungen nicht nur durch Individuen der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch durch Individuen der Minderheitsgesellschaften kritisieren. Doppelstandards stehen nicht für Glaubwürdigkeit.

Foto: Im April 2018 attackierte ein junger Araber einen vermeintlichen Juden in Berlin mit Gürtelschlägen, Foto: Screenshot

1 Kommentar

  1. Sehr geehrter Herr Professor Pfahl-Traughber,

    „Es besteht auch keine klare Ideologie, es gibt kein entwickeltes Programm. Ein Chefideologe ist ebenso wenig präsent wie ein Denkzirkel. Gemeint ist vielmehr ein Diskurskonstrukt, also eine Bezeichnung für bestimmte Positionen, die eine öffentliche Wirkung entfalten wollen.“ von Ihnen hpd

    Warum nun zu der anscheinend nicht vorhandenen Gruppierung beim Diskurskonstrukt keine Vertreter gegen den Antisemitismus gehören sollen, erschließt sich mir persönlich nicht.

    Eigentlich entnehme ich diesem Artikel und denen der hpd: Es gibt eine Identitätslinke, die keiner so nennt, die kein Progamm hat, über keine Struktur verfügt; deren Positionen dadurch natürlich nicht definierbar sind, sondern je nach Betrachter ausgelegt werden.

    Für mich wirkt eigentlich die überraschende Ähnlichkeit der Namensgebung mit den Identitären, die durchaus nicht nur über eine Struktur verfügen.

    Aber das ist wohl nur ein Zufall!

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