Neues „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“ erschienen

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Die neue Ausgabe des „Jahrbuchs für Antisemitismusforschung“ enthält fast zwanzig Beiträge zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten, wobei es nicht nur um Antisemitismus, sondern auch andere Vorurteile geht. Erneut ist es gelungen, einen inhaltlich und methodisch interessanten Band zusammenzustellen, man kann sich daraus die jeweils besonders interessierenden Beiträge als Rosinen herauspicken, es gibt genügend davon…

Von Armin Pfahl-Traughber

Das „Jahrbuch für Antisemitismusforschung“ erschien bereits mit der 29. Ausgabe. Es versteht sich als wissenschaftliches Forum, worin nicht nur Aufsätze zur Antisemitismusforschung im engeren Sinne, sondern auch zu anderen Formen der Minderheitenforschung ihren Platz finden. Darüber hinaus definiert man sich als interdisziplinär und international, wobei indessen deutsche Historiker und Sozialwissenschaftler die Verfasserriege dominieren. Die vorliegende Ausgabe enthält fast 20 Aufsätze, die unterschiedlichen Schwerpunktthemen zugeordnet wurden. Am Beginn steht ein längerer Block, der Abhandlungen zu visuellen Medien enthält und damit ein unterentwickeltes Forschungsfeld ins inhaltliche Zentrum rückt. Als Beispiel für einen solchen Beitrag sei der von Markus Wurzer genannt, der ein Album mit Fotos aus einem Kolonialkrieg untersucht. Auch wenn es nur ein Album ist, kann der Autor durch analytische Deutungen interessante Erkenntnisse über koloniale Wahrnehmungen präsentieren.

Ähnlich geht auch Ulrich Prehn vor, der Aufnahmen deutscher Fotoamateure während des Zweiten Weltkriegs untersuchte. Auch hier hat man es mit Einzelbeispielen zu tun, welche aber für zeitbedingte Deutungen des „Eigenen“ und „Fremden“ standen. Antisemitismus im Alltag ist danach ein Thema bei Juliane Wetzel, die eine judenfeindliche Karnevalstradition im belgischen Ort Aalst untersucht. Berechtigt macht sie darauf aufmerksam, dass antisemitische Ressentiments auch durch angeblich bloße Spaßkultur gefördert werden können. Ein weiterer Block enthält Aufsätze, die auf Juden und Muslime in Europa bezogen sind. Beachtung verdient hier der Beitrag von Philipp Henning, der die arabischsprachige Rundfunkpropaganda NS-Deutschlands als Hasstransfer untersucht. Dies geschieht anschaulich und detailliert auf breiter Quellengrundlage. Bedauerlich ist indessen, dass andere Deutungen wie die von Matthias Küntzel zum Thema etwas zu pauschal negiert werden. Hier hätte man sich eine ausführlichere Begründung gewünscht.

Es gibt auch eine vergleichende Analyse von Farid Hafez, der Antisemitismus und „Islamophobie“ in der Ersten und Zweiten Republik Österreichs bei Parteien untersucht. Dabei arbeitet er mit dem doch diffusen und umstrittenen Begriff der „Islamophobie“, ohne auch hier genau erklären zu können, was damit als analytischer Terminus gemeint sein soll. Er sieht außerdem eine Gemeinsamkeit von „Islamisierung“ und „Verjudung“ als konspirationsideologischen Vorurteilen. Indessen gilt islamistischen Gruppen eine „Islamisierung“ der Gesellschaft sehr wohl als Ziel, während eine „Verjudung“ der Gesellschaft durch jüdische Gruppen eben nicht als Ziel belegbar ist. Doron Rabinovici, der einen bedeutenden Sammelband zum „Neuen Antisemitismus“ mit herausgegeben hat, blickt auf den Antisemitismus in Österreich. Er fragt dabei, wie die globale Debatte sich dort in den öffentlichen Diskursen niedergeschlagen hat.

Und schließlich findet man noch einige historische Detailstudien in dem Jahrbuch: Frank Jacob widmet sich etwa der Darstellung von Kurt Eisner in den Printmedien der Weimarer Republik, wobei die üblichen antisemitischen Zerrbilder auszumachen waren. Annette Grohmann-Nogarède erinnert an das transnationale Netzwerk, das um die Exilzeitschrift „Die Zukunft“ zwischen 1938 und 1940 von jüdischen Intellektuellen bestand. Isidora Randjelovic problematisiert die Erinnerung an Leni Riefenstahl, eine bewusste NS-Propagandistin, die sich im Nachkriegsdeutschland gern als unpolitische Künstlerin gab. Warum aber von ihr als Akteurin eines „weißen Feminismus“ die Rede sein muss, erschließt sich von der Sache her nicht notwendigerweise. Bilanzierend ist es der Herausgeberin Stefanie Schüler-Springorum und ihren Mitarbeitern erneut gelungen, einen interessanten Band mit Erörterungen zu den unterschiedlichsten Themen zusammenzustellen. Dabei geht es nicht nur um reine Darstellungen, auch die Forschungsmethoden sind interessant.

Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29, Berlin 2020 (Metropol-Verlag), 484 S., Bestellen?