Es stinkt gewaltig

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Fast die gesamte Küstenlinie Israels ist von einer Umweltkatastrophe betroffen, wie sie das Land noch nie erleben musste. Über die Verursacher wird derzeit noch spekuliert. Zugleich befeuert die Ölpest eine Debatte über den Stellenwert des Umweltschutzes in Israel sowie den Umgang mit der Natur…

Von Ralf Balke

Am Anfang war ein toter Baby-Finnwal. Als vor über einer Woche der riesige Meeressäuger unweit der Hafenstadt Aschkelon an den Strand gespült wurde, rätselte man zuerst, woran das 17 Meter lange Tier, das laut der Israel Nature and Parks Authority noch recht jung war, verendet war. Doch als weitere Fische, Schildkröten und andere Tiere sowie massenweise Teerklumpen an zahlreichen Abschnitten entlang der knapp 200 Kilometer langen Mittelmeerküste gefunden wurden, dämmerte es den Verantwortlichen langsam, das man es wohl mit eine Umweltkatastrophe zu tun hatte. Das zuständige Ministerium in Jerusalem begann von einem „Teer-Vorfall“ zu sprechen, was sich wie ein Euphemismus anhörte. Kurz darauf, am Donnerstag den 18. Februar, klang das alles bereits eine Spur dramatischer: Es würde ihr „Herz brechen“, so Umweltministerin Gila Gamliel. Sie sprach von einem „Verbrechen gegen die Umwelt und das Ökosystem“. Einen Tag später dämmerte es allen langsam, mit was man es da wirklich zu tun hatte: „Das ist eine Desaster in einem Ausmaß, wie wir es seit Jahren nicht mehr gesehen haben“, erklärte Gamliel. „Wir unternehmen jetzt alles, um die Verantwortlichen für diese Katastrophe zu finden. Zudem wollen wir uns auf die schwierige Aufgabe konzentrieren, die Strände wieder zu reinigen und die Tierwelt vor weiterem Schaden zu bewahren.“

„Wir haben es mit dem größten Desaster für die Umwelt seit einem Jahrzehnt zu tun“, betonte am Samstag Shaul Goldstein. Denn jetzt zeigte sich das ganze Ausmaß der Verschmutzung. Fast die gesamte Küstenlinie war mittlerweile betroffen. „Unter den Auswirkungen dürften wir wohl noch Jahre zu leiden haben“, so der Direktor der Israel Nature and Parks Authority. Unmittelbar zu spüren jedenfalls bekamen es neben der Tierwelt bald auch manche der rund 2.000 Freiwilligen, die sofort nach Bekanntwerden der Katastrophe damit begonnen hatten, die Strände zu reinigen und Tiere zu retten. Sie klagten über Übelkeit und Unwohlsein, einige wurden sogar mit Vergiftungserscheinungen in Krankenhäuser eingeliefert. Denn der angespülte Teer produziert toxische Dämpfe und kann auch Hautreizungen auslösen. Daraufhin wurde allen der Zutritt zu den Stränden, auch denen vor Tel Aviv oder Haifa, auf unbestimmte Zeit untersagt. Zu gefährlich könnte ein Aufenthalt dort sein – angesichts der Lockerungen nach einem wochenlangen Lockdown keine guten Nachrichten für all diejenigen, die jetzt gerne ein paar Stunden mit der Familie oder Freunden am Meer verbringen wollten.

Auch die vielen Helfer wurden gewarnt: „Im Moment bitten wir die Öffentlichkeit, nicht auf eigene Faust zu den Stränden zu kommen, um dort aktiv zu werden“, so Goldsteins Behörde in einer Erklärung. „Ohne geeignete Schutzausrüstung und andere Vorsichtsmaßnahmen könnte das die Gesundheit gefährden.“ Und am Mittwoch dann gab das Gesundheitsministerium die Order raus, dass keine Fische oder Meeresfrüchte aus dem Mittelmeer zur Zeit verkauft werden dürfen. Man befürchtet, dass ihr Genuss zum Risiko werden könnte. Wie lange das Verbot gelten soll, wurde nicht gesagt. Erst sollen Laboruntersuchungen Gewissheit verschaffen. Zudem darf sich Israel jetzt mit der Entsorgung des kontaminierten Abraums beschäftigen. Dieser wird wohl – vorsichtig geschätzt – ein Volumen von 1.200 Tonnen Teer, verseuchtem Sand, Algen sowie anderen Rückständen bestehen, die teilweise in mühevoller Handarbeit von den Felsen gekratzt werden müssen.

„Wir befinden uns mitten in einer der größten ökologischen Katastrophen seit der Gründung des Staates“, lautete ebenfalls die Einschätzung dazu von Herzliyas Bürgermeister Moshe Fadlon, einer jener Städte, deren Küstenabschnitt besonders betroffen ist. „Ich habe für Herzliya den Notstand ausgerufen. Von Ashkelon im Süden bis Rosh Hanikra im Norden sind Hunderte von Tonnen Teer an unsere Strände gespült worden.“ Er appellierte an die Regierung, auch die nötigen finanziellen Mittel für die Bewältigung der Ölpest freizugeben. Am Dienstag dann bewilligte das Kabinett als eine erste Maßnahme 45 Millionen Schekel, umgerechnet rund 11,5 Millionen Euro, die aus einem staatseigenen Fond stammen, der vor 40 Jahren einmal für genau solche Fälle angelegt wurde. Die Stadtverwaltung von Herzliya selbst mobilisierte alle ihre Angestellten, um der stinkenden Pest irgendwie Herr zu werden. Auch die Armee will mithelfen. Generalstabschef Aviv Kochavi versprach tausende Soldaten, die mithelfen sollen, das Schlimmste zu beseitigen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sowie Staatspräsident Reuven Rivlin zeigten sich gleichfalls entsetzt von dem Umweltdesaster.

Doch die Suche nach den Verursachern erweist sich als nicht ganz einfach. Erst hieß es, dass das Öl von einem griechischen Frachter namens Minerva Helen stammen würde, was von dessen Eignern aber sofort dementiert wurde, weil dieses ohne Fracht unterwegs gewesen sein soll. Umweltkatastrophen wie die in Israel entstehen immer wieder, wenn Schiffe zu nah an der Küste einfach ihre Tanks auswaschen. Die Abwässer werden zusammen mit dem Restöl dann einfach ins Meer geleitet, was selbstverständlich illegal ist. Aber außerhalb der Hoheitsgewässer eines Staates sind solche Praktiken schwer zu kontrollieren oder zu ahnden. Reedereien würden sich schlichtweg kriminell verhalten, weil sie sich weigern, internationale Abkommen zum Schutz vor Meeresverschmutzung einzuhalten, wie Dr. Elyakim Ben Hakoun, Forscher für maritime Wirtschaft und Umwelt am Technion, ergänzt.  Seit dem Jahr 2020 sind Schiffe ab einer bestimmten Tonnage dazu verpflichtet, Treibstoffe mit weniger Schwefelgehalt zu verwenden, um die Luftverschmutzung zu reduzieren. Infolgedessen sind diese deutlich teurer geworden, was manchen Schiffsbesitzer dazu verleitet, Kosten zu sparen, in dem beim Reinigungen von Tanks einfach alles anschließend im Meer verklappt wird. Die Tatsache, dass solche Ölteppiche an der Oberfläche schwimmen und auch größere Entfernungen zurücklegen können, erschwert zudem eine Identifizierung der Schuldigen. Als Unterzeichner des Barcelona-Abkommens zum Schutz des Mittelmeers vor Umweltverschmutzungen kann Israel aber auf Informationen des Satellitennetzwerks Copernicus der European Space Agency (ESA) zurückgreifen, um den Tätern auf die Schliche zu kommen. Ein Dutzend Schiffe kommen daher jetzt als Verursacher in Frage.

Zugleich verweist der aktuelle Vorfall auf Versäumnisse in der Vergangenheit. Seit über zwölf Jahren bereits geistert eine Gesetzesvorlage durch diverse parlamentarische Instanzen, auf deren Basis man sich besser auf derartige Umweltkatastrophen vorbereiten will – nur ist sie nie verabschiedet worden. Darüber hinaus kritisieren Umweltverbände seit einer gefühlten Ewigkeit die mangelnde finanzielle Ausstattung, beispielsweise der Israel Nature and Parks Authority, sowie die generelle Vernachlässigung des Themas in der israelischen Politik. Besonders prestigeträchtig war der Posten des Umweltministers in Israel nie, weshalb dort eher die zweite Garde der Politiker saß.

Last but not least gibt es schon lange eine Debatte über einen nachhaltigen Umgang mit der Küste. Denn nur noch wenige Abschnitte sind reine Natur. Und ihre Fläche schrumpft weiter. So nimmt der Plan, den sogenannten Hof Hatchelet südlich von Herzelya, einen der größten unbebauten Strandbereiche überhaupt, zu erschließen immer mehr an Gestalt an. Von 11.500 Wohneinheiten sowie Hotels und Bürogebäuden ist die Rede. Das Projekt würde sich bis an das Areal von Sde Dov, dem kürzlich stillgelegten ehemaligen Stadtflughafen von Tel Aviv, erstrecken, das gleichfalls baulich erschlossen wird. Immer wieder gab es dabei Ideen, vor der Küste nach dem Vorbild der Vereinten Arabischen Emirate diverse künstliche Inseln aufzuschütten, um noch mehr Fläche für Wohnungen zur Verfügung zu haben, die preislich dann alle eher im Luxussegment angesiedelt sind. Verwirklicht wurde davon bis dato keine.

Ein weiteres Problem sind in den Augen der Umweltschützer die zahlreichen Jachthäfen, den sogenannten Marinas, die sich mittlerweile wie eine Perlenkette die Küstenlinie entlang ziehen. Acht davon existieren bereits, sie alle wollen aber ihre Kapazitäten massivst erweitern. Zudem sind sechs weitere in der Pipeline. Das Umweltministerium hat einmal ausgerechnet, dass jeder dieser neuen Jachthäfen für sich allein zwischen 500 bis 700 Meter Küstenlinie für sich beansprucht. Von den kapp 50 Kilometer langen öffentlichen Stränden, an denen diese alle errichtet werden sollen, würden also mindestens sechs Prozent für diese Projekte geopfert werden. Unabhängig davon, dass ihr Bau massive Eingriffe in die Umwelt mit sich bringen wird, nur um Platz für Freizeitboote zu schaffen, ginge das alles auch auf Kosten der Allgemeinheit, weil so der Zugang zum Meer blockiert wird. Nicht nur die Society for the Protection of Nature in Israel läuft daher gegen diese Bauvorhaben Sturm. Aber bei Umweltkatastrophen wie der aktuellen Ölpest, werden auch diese nicht verschont.

Bild oben: Ein Teerklumpen, der von Freiwilligen aufgesammelt wurde, (c) Niv, wikicommonsCC BY-SA 4.0