Antisemitische Hintergründe der kursierenden QAnon-Verschwörungsideologie

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Auch bei der Erstürmung des Kapitols waren QAnon- Verschwörungsanhänger dabei. Doch worum geht es bei der damit gemeinten Bewegung und inwieweit bestehen dort antisemitische Hintergründe?

Von Armin Pfahl-Traughber

Auch bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 waren QAnon-Verschwörungsanhänger dabei. Man erkennt sie leicht auf Fotos durch das genutzte Q-Symbol, das sich als Buchstabe auf Kleidungsstücken oder Transparenten findet. Doch worum handelt es sich eigentlich bei dieser Bewegung und welche Positionen werden dort vertreten? Antworten vermittelt die indessen in vielen Details noch unklare Entstehungsgeschichte: 2017 tauchte auf dem Imageboard 4chan ein anonymer Nutzer Q auf, welcher interne Kenntnisse über geheime Regierungsunterlagen nahelegte. Dabei arbeitete dieser damals wie später nur mit Andeutungen, die aber in der Gesamtschau folgendes Narrativ vermittelten: Demnach bestehe eine geheime satanistische Elite von mitunter prominenten Personen, welche die Diktatur einer „Neuen Weltordnung“ etablieren wollten. Dabei würden auch Kinder entführt und gefangen gehalten, um aus deren Blut geeignete Mittel für eine Verjüngungswirkung zu gewinnen.

Über das Internet finden derartige Konspirationsauffassungen heute schnell Verbreitung, müssen aber nicht eine digitale und reale Bewegung von gesellschaftlicher und politischer Relevanz prägen. Genau dies geschah indessen mit QAnon. Dabei war auch die Einstellung zu US-Präsident Trump bedeutsam. Denn er wurde von den Anhängern derartiger Auffassungen als „mutiger Kämpfer“ gegen einen „deep state“ angesehen. Es gab dabei auch gewisse Anknüpfungspunkte, hatten doch schon im Präsidentschaftswahlkampf 2016 einige Trump-Anhänger ähnliche Verschwörungsideologien propagiert. Dabei wurden prominenten Demokraten unterstellt, sie unterhielten einen Kinderhändlerring zur Prostitution. Insofern konnten die QAnon-Gläubigen auch an derartige Vorstellungen anknüpfen. Wer nun der angebliche Q ist, blieb bis heute unbekannt. Er stellte aber immer wieder Andeutungen auf Internetseiten und forderte zu weiteren Recherchen in diesem Sinne auf. So entwickelten sich auch die Inhalte der gemeinten Verschwörungsauffassung immer weiter.

Gesellschaftliche Akzeptanz und bestehende Gewaltpotentiale

Da es dabei aber noch nicht einmal den Ansatz eines Belegs gab und diese Konspirationsauffassung auch gegenüber anderen Verschwörungsvorstellungen völlig absurd wirkt, könnte man sie als bloßen Irrsinn bei Seite schieben. Indessen fanden derartige Auffassungen binnen weniger Jahre immer mehr Sympathisanten, wovon die Anzahl einschlägiger Blogs, Foren, und Telegramm-Kanälen zeugt. Betrachtet man dazu noch die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die unter US-Bürgern im Oktober 2020 durchgeführt wurde, dann bekannten sich fast zehn Prozent zu derartigen Verschwörungsvorstellungen. Es waren gar 20 Prozent der Trump-Unterstützer. Von allen Befragten hielt ein Drittel die Konspirationsauffassung, die von einem geheimen Eliteprojekt zum erwähnten Kindesmissbrauch ausgeht, für in der Sache glaubwürdig. Und fast zwanzig Prozent meinten, Corona sei auf einen geheimen Plan zurückzuführen, welcher die Etablierung einer diktatorischen „Neuen Weltordnung“ vorantreibe.

Ein besonderes Ergebnis bezog sich auf die Gewaltakzeptanz, meinten doch über 80 Prozent der QAnon-Anhänger, Gewaltanwendung sei um derartiger Konspirationsvorstellungen willen legitim. Dass dies nicht nur eine abstrakte Einstellung ist, sondern sie auch mit Handlungen einhergehen kann, veranschaulichen diverse Vorkommnisse. Es gab zahlreiche Drohungen und Gewalttaten, die auf QAnon-Anhänger zurückgehen. Dabei handelte es sich meist um Lone Actor. Zwar führten sie ihre Körperverletzungen oder Morde allein durch, waren aber über einschlägigen Internetkonsum zu einer derartigen Radikalisierung motiviert worden. Diese Fallbeispiele machen eine besondere Gefahrendimension deutlich, die auch in Deutschland bei zwei Fällen nachweisbar ist. Betrachtet man sich die Auslassungen der Einzeltäter, die in Halle und Hanau zusammen zwölf Menschen töteten, so lassen sich bei ihnen Anspielungen auf die QAnon-Verschwörungsvorstellungen finden. Auch sie deuteten an, dass eine angebliche Elite eine geplante Kindesmisshandlung umsetzen wollte.

Derartige Beispiele veranschaulichen, dass auch in Deutschland einschlägige Konspirationsgläubige mittlerweile aktiv sind. Der Blick auf Demonstrationen gegen die Pandemiepolitik der Regierungen veranschaulicht dies. Auch dort können auf Kleidung und Plakaten immer wieder einschlägige Symbole entdeckt werden, welche mitunter nur in dem schlichten Buchstaben „Q“ bestehen. Da die Demonstranten sich selbst als „Querdenker“ bezeichnen, gibt es hier auch eine Mehrfachnutzung von „Q“. Gleichwohl befördert all dies die Akzeptanz der erwähnten Konspirationsvorstellungen aus den USA. Und mittlerweile können deutschsprachige Akteure mitunter sechsstellige Follower-Zahlen auf entsprechenden Telegram- oder YouTube-Kanälen vorweisen. Insofern gibt es auch hier einen Anstieg des Glaubens an derartige Verschwörungsvorstellungen, die insbesondere im Dunstkreis derartiger „Querdenker“ eine zunehmende Verbreitung finden. Einer von vielen Gründen dafür dürften einschlägige ideengeschichtliche Kontinuitäten sein.

Antisemitische Hintergründe der Verschwörungsvorstellungen

Und damit soll auf den latenten Antisemitismus in diesen inhaltlichen Kontexten verwiesen werden. Denn nur selten werden ausdrücklich „die Juden“ als angebliche Verschwörer genannt. Dominanter sind Anspielungen auf Begriffe oder Personen, die aber gegenwärtig wie historisch in antisemitischen Diskursen kontinuierlich einschlägige Inhalte vermittelten. So werden etwa die Bankiersfamilie Rothschild oder der Investor George Soros als Verantwortliche genannt. Die Ersteren bilden jahrhundertelang ein antisemitisches Feindbild, gegenwärtig hat diese Funktion Soros in den judenfeindlichen Zerrbildern inne. Es ist auch immer wieder von der „Hochfinanz“ die Rede, wobei auf die angebliche „jüdischen Hochfinanz“ angespielt wird. Die Formulierung „jüdisch“ muss gar nicht genutzt werden, bei einschlägig Eingestellten kommt sie automatisch auf. So kann man durch Andeutungen latente Dispositionen zu manifesten Feindbildern werden lassen. Dafür gibt es in der ideen- und realgeschichtlichen Entwicklung der Judenfeindschaft eine lange Tradition.

Dies gilt auch für das Kernnarrativ der QAnon-Verschwörungsideologie: die Behauptung, eine satanistische Elite halte Kinder gefangen, um aus deren Blut ein Verjüngungsmittel zu erlangen. Diese Aussage erinnert nicht zufällig an die mittelalterlichen „Ritualmord“-Vorwürfe. Bekanntlich unterstellte man damals den Juden, sie würden heimlich Kinder entführen und töten, um mit ihrem Blut religiöse Praktiken umzusetzen. Die Juden sollten dabei mit dem Satan kooperieren. Die Auffassungen der QAnon-Konspirationsanhänger entsprechen genau diesem jahrhundertealten Schema. Da nicht bekannt ist, wer die Behauptungen erstmals mit welchen Motiven propagierte, lässt sich auch nicht sagen, ob man es mit einer bewussten Erneuerung oder zufälligen Renaissance solcher Verschwörungsvorstellungen zu tun hat. Gleichwohl gilt wie bei vielen Konspirationsbehauptungen: Eine antisemitische Aufladung ist fast nur eine Frage der Zeit. Der ideengeschichtliche Blick veranschaulicht diese historische Kontinuität.

Bild: Ein QAnon-Anhänger demonstriert in Peoria (Arizona), 25. Oktober 2020. Der auch als „QAnon-Schamane“ bekannte Mann nahm am 6. Januar 2021 in derselben Aufmachung am Sturm auf das Kapitol teil. Foto: wikicommons