Ein Rabbiner und ein Imam gegen Judenhass

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Rabbiner Elias Dray und Imam Ender Cetin gehen in Berliner Schulen, sobald dort Fälle von antisemitischen Beleidigungen, Mobbing oder Gewalt bekannt geworden sind. In den mehrheitlich muslimischen Schulklassen stoßen sie auf viel Hass-Potenzial…

Von Igal Avidan
Erscheinen in: Deutschlandfunk, Aus der jüdischen Welt, 27.11.2020

An der Christian-Morgenstern-Grundschule im Berliner Stadtteil Spandau wirbt Karina Jehniche seit fast sechs Jahren im Rahmen des das Projektes „Meet2Respect“ für gegenseitigen Respekt zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen.

„Und als ich an diese Schule kam, gab es das Projekt auch schon … und wir haben es, solange ich hier an der Schule bin, jedes Jahr an der fünften und sechsten Klasse gehabt und haben mit dem Projekt wirklich sehr gute Erfahrungen gemacht.“

Morddrohung nach Schweigeminute

Die rund 570 Kinder hier stammen aus fast 50 Nationen. Über 80 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund, auch das Kollegium ist international zusammengesetzt. Da es unter den Kindern häufig an deutscher und damit verbindender Sprache für eine Diskussion fehlt, eskalieren Auseinandersetzungen oft in körperliche Gewalt.

An der Spandauer Schule mussten Rabbiner Elias Dray und Imam Ender Cetin Anfang November reagieren, obwohl sie an Grundschulen in der Regel Präventivarbeit leisten. Sie nahmen an einer Schweigeminute zum Andenken an den brutal ermordeten französischen Lehrer Samuel Paty teil. Dieser wurde in Paris enthauptet, weil er in einer Unterrichtsstunde zur Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Imam Ender Cetin erinnert sich, dass sie es zeitlich nicht schafften, die Kinder vor der Schweigeminute aufzuklären. Das taten sie unmittelbar danach, wie Rabbiner Elias Dray bestätigt.

„Es waren 25 Schüler und dann hat eben ein Schüler gesagt, dass jemand, wenn er den Propheten beleidigt, dann könnte man ihn auch töten.“

Frieden heißt Frieden

Imam Ender Cetin widersprach dieser Aussage des elfjährigen muslimischen Schülers vor der Klasse sofort: „Wir haben darüber gesprochen, dass keine Religion das gutheißen kann, wenn jemand beleidigt wird, dass man mit Gewalt antwortet. Im Gegenteil: Dass man in Frieden, wie auch unser Gruß auch ist, Salam oder Schalom, dass das ‚Frieden‘ bedeutet.“

Schulleiterin Karina Jehniche zeigt sich von der Arbeit überzeugt: „Der Sozialarbeiter, der beim Projekt war, hat mir auch gesagt, dass der Imam begründet hat, dass das nichts mit Religion zu tun hat dieses Verbrechen. Im Nachhinein hat er auch verstanden.“

Doch eine Woche später bedrohte der Elfjährige seiner Lehrerin vor der ganzen Klasse massiv. Die Schule kontaktierte dessen Mutter, woraufhin auch der Imam mit ihr sprach. Mittlerweile kümmern sich ein Schulpsychologe und ein Sozialarbeiter um das Kind.

Berührungsängste müssen überwunden werden

Die Resonanz der Berliner Schulen auf das Projekt „Meet2Respect“, vor allem von Brennpunktschulen, wo derartige Vorfälle schon passiert sind, ist gewaltig. Der Rabbiner und Imam werden inzwischen von acht, neun Helfern aus beiden Religionen unterstützt und leisteten im Jahr 2019 160 Unterrichtsbesuche, wobei sie manchmal zwei bis drei Klassen in einer Schule besuchten. Manchmal nehmen Schulklassen auch ihr Angebot an, gemeinsam eine Moschee und eine Synagoge zu besuchen.

Imam Ender Cetin: „Ablehnung habe ich erlebt bei Synagogenbesuchen, dass dann doch einige gefehlt haben, oder in dem Moment, wo sie dann doch in die Synagoge rein wollten, doch keine Kippa aufsetzen wollten zum Beispiel.“

„Die Kippa ist die Sache“, sagt Rabbiner Elias Dray. „Ein Mädchen müsste sich nicht ändern und eine Kippa aufsetzen und manche Kinder habe keine Kopfbedeckung und müssen eine Kippa aufsetzen und das ist dann für Jungs sozusagen die Frage: Aufsetzen, würden sie was falsch machen? Da ist dann halt öfters diese Frage, dass sie sagen, ich gehe nicht in die Synagoge, ich ziehen keine Kippa an, das geht nicht. Wir sagen dann, es ist okay, es ist eine Kopfbedeckung genauso wie Muslime eine Kopfbedeckung setzen und sie werden dadurch nicht automatisch jüdisch. Es ist gar nicht so einfach jüdisch zu werden – mit der Kippa alleine geht das nicht bei uns.“

Das Interesse für „Meet2Respect“ wächst auch außerhalb von Berlin, zum Beispiel in Brandenburg. Sachsen-Anhalt und Bayern. Deshalb wurde das Projekt im Frühjahr zu einer eigenständigen Gesellschaft.

Künftig planen Imam Cetin und Rabbiner Dray Besuche in jüdischen Schulen und sogar interreligiöse Klassenreisen nach Israel oder Marokko, woher Rabbiner Drays Vater stammte.

Stolz ist der Rabbi auf gegenseitige Besuche Mitglieder beider Religionsgemeinden an Feiertagen: „Herr Cetin war mal bei uns für die Chanukkafeier, hier bei der Louder Foundation, war da mit dabei.“

Vorurteile auch selbstkritisch begegnen

Solche Begegnungen helfen, Vorurteile abzubauen, mit denen beide Geistliche konfrontiert werden, und das, obwohl sowohl Rabbiner Dray als auch Imam Cetin von ihrer Umgebung überwiegend positive Reaktionen bekommen:

„Es ist so, dass es auf jüdischer Seite Leute gibt, die das dann kritisch sehen. Die Kritiker sagen, dass, wenn es Antisemitismus geben sollte, dann ist es vielleicht ein Problem der Muslime. Warum sollen wir uns ins Korn legen als wäre es unser Problem?“

„Aber auch in meinem Umfeld merke ich manchmal, dass Israel und Judentum sehr stark vermischt wird und jede Kritik die ganze Religion in die Richtung geht. Bei den Kindern merken wir ja auch in den Schulen, dass der Begriff ‚Jude‘, Jahudi, negativ assoziiert wird.“

Laut Schulleiterin Janine Jehniche wollen ihre Kollegen künftig an Studientagen für Lehrer von „Meet2Respect“ teilnehmen. Denn vom Judentum wissen auch sie sehr wenig, sagt sie: „Ich denke immer: Je mehr man weiß, umso toleranter kann man miteinander umgehen, umso weniger Vorurteile gibt es.“

Bild oben: Logo Meet2Respect