Paraschat haSchawua: Vajeschew

0
31

Als man nach der Babylonischen Gefangenschaft daranging, die vorhandenen Geschichtsschriften zusammenzufassen, waren Pergament-Rollen die Substanz, auf der man aufbauen konnte. Wichtige Beiträge zu dieser Kompilation waren die Schriften, die von Priestern der Königreiche Judäa und Israel verfasst worden waren, die ihrerseits konträre Einstellungen und Absichten verfolgten. Dies kam mit der kritischen Bibelforschung zutage, die bereits Mitte des 19. Jhd. Julius Wellenhausen einleitete…

Genesis, Kap. 37-39; Parascha Vajeschew Schabbat 12. Dez. 2020
(der Inhalt bezieht sich hauptsächlich auf die Parascha der vorigen Woche)

Eine in ihrer Fantasie sehr beeindruckende Demonstration der antiken literarischen Erzählkunst finden wir in dem Leiter-Traum von Jaakow, als er von seinem Bruder Essaw flieht. Als nun Jaakow von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, Jahwe ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Und er sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinaltar und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel (Gen. 28).

Diese anschauliche Geschichte wurde zweifellos von einem Autor des Königreichs Israel verfasst. Bethel (wörtlich Haus Gottes) war die Hauptstadt des Königreichs Israel. Die Priester und die Könige von Israel waren bestrebt, die Anziehungskraft von Jerusalem, der Hauptstadt von Judäa zu verringern. Die Menschen sollten nicht nach Jerusalem pilgern, sondern in Bethel (nicht weit von Jerusalem entfernt) ihre heilige Hauptstadt sehen, dorthin ihre Geschenke und Opfergaben bringen. Mit dieser Torastelle sollte die Stadt Bethel, die unter der Himmelspforte und mit der Verbindung zu Gott stand, zur heiligen Stadt werden.

Dem Königreich Israel schien besonders wichtig gewesen zu sein, seine Vormachtstellung in Verbindung mit dem Erzvater Jaakow zu bringen. Vor dem Wiedersehen mit Essaw überquert Jaakow mit seinem Hab und Gut den Bach Jabbok, und bleibt allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis zur Morgenröte. Als er sah, dass er ihn nicht überwältigen konnte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte und verrenkte es. Der Fremde sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jaakow antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Der Fremde sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jaakow. Dann sprach er: Du sollst nicht mehr Jaakow heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast es bestanden. Und Jaakow fragte ihn: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jaakow nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet (Gen. 32).

Es ist eine merkwürdige Erzählung, die unvermittelt einen Kampf zwischen Jaakow und einem wohl himmlischen Wesen konstruiert, damit am Ende der Geschichte Jaakow als Sieger auch im Kampf gegen Engel dastehen und deshalb fortan Israel heißen soll. Der Name Isra-el soll Kampf gegen Gott bedeuten.

Nach meinen Sprachkenntnissen ist es weit hergeholt und entsprich mehr der Tendenz des Autors als der hebräischen Grammatik. Und es stellen sich noch mehr Fragen: Welchen Sinn hatte der Kampf? Wollte der Engel die Kraft Jaakows prüfen? Hatte der Engel einen Auftrag Gottes? Oder war es der Schutzengel Essaws, der Jaakow schwächen wollte, wie ein Kommentator der alten Weisen erklärt? Und wenn Jaakow den Kampf nicht bestanden hätte? Es ergäben sich noch mehr Fragen und Deutungen.

Hätten sich die Redaktoren der Tora die Fortsetzung des Buches aufmerksamer angesehen, hätten sie den Gläubigen viel Rätselraten erspart, denn ein Kapitel weiter (Gen. Kap. 35 Vers 10) spricht Gott selbst zu Jaakow und kein Gesandter von IHM: Dein Name ist Jakob. Dein Name soll jedoch nicht mehr Jakob lauten, sondern Israel soll dein Name sein. ER gab ihm also den Namen Israel.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.de heraus.

Zu den Wochenabschnitten