Preis der Verständigung und Toleranz in Berlin

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Einige Monate bereits ist Hetty Berg neue Direktorin des Jüdischen Museums in Berlin. Interessante Positionen hat sie in Amsterdam verlassen, um das Jüdische Museum in Berlin zu leiten…

Von Christel Wollmann-Fiedler, Berlin

In Funk und Television und auf Podien hat sie bereits Interviews gegeben, in der Fasanenstraße im Veranstaltungsraum der Jüdischen Gemeinde in Berlin – Charlottenburg erzählt sie aus ihrer Amsterdamer Zeit und über ihre Pläne hier im Jüdischen Museum der Stadt. Lea Rosh unterhält sich mit ihr und wir neugierigen Gäste erfahren viel über die neue Bürgerin Berlins. Corona beherrscht bereits die Welt, mit Mundschutz und großen Abständen findet der Abend statt.

Zum jüdischen Neujahrsfest im September verschickt Frau Berg Grüße mit einem grünen Blatt aus Papier. Ein Wunschblatt ist es. Mit unseren Wünschen dürfen wir dieses Blatt im Jüdischen Museum an einen Baum hängen. Eine schöne Idee, doch noch immer liegt das Blatt auf meinem Schreibtisch. Die Türen der Museen sind geschlossen, das kulturelle Leben findet ein wenig schleppend hin und wieder per „Livestream“ über unseren häuslichen Bildschirm statt.

Weiter geht das Jahr, die Seuche nimmt kein Ende, Veranstaltungen werden abgesagt. Eigentlich eine ziemlich verzweifelte Situation für uns wissbegierige, Kulturinteressierte. Über „Livestream“ (Echtzeitübertragung) werden wir eingeladen bei der Übergabe des „Preises für Verständigung und Toleranz“ am 31. Oktober 2020 dabei zu sein. Zum ersten Mal in meinem recht langen Leben sitze ich an meinem Bildschirm, schaffe es, mich in die Veranstaltung des Museums einzu“loggen“ (anmelden). Der Preis für Verständigung und Toleranz wird vergeben am 31. Oktober 2020, alljährlich und nun zum 19. Mal.

Dr. Madeleine Albright flieht als Kind mit ihrer Familie vor den Nazis aus Europa und findet in Nordamerika ihre Heimat. Eine der beeindruckendsten und interessantesten Persönlichkeiten unserer Zeit ist sie für mich. Die Jury hat sie für den Preis ausgewählt und Igor Levit, den Pianisten, dessen Familie aus der Sowjetunion ausreist und in Niedersachsen eine neue Heimat findet. Er ist nicht nur Musiker, Pianist und Professor, bekannt ist er als heftiger Kritiker gegen Rassismus und Antisemitismus, sich einmischt, wobei er kein Blatt vor den Mund nimmt. Joschka Fischer, der ehemalige Außenminister der Bundesrepublik Deutschland hält die Lobrede auf Madeleine Albright, der ehemaligen Außenministerin der Vereinigten Staaten von Amerika. Als Laudatorin von Igor Levit ist die Journalistin und Fernsehmoderatorin Dunja Hayali zu hören. Sie alle sind aus ihren Wohn- oder Arbeitszimmern zugeschaltet. Hetty Berg, die Direktorin ist im Jüdischen Museum zu sehen und spricht über die Preisverleihung. Igor Levit spielt zum Abschluss. Schöne Reden, schöne Reden des Lobes, doch es fehlt etwas, es fehlt das Publikum, es fehlt die menschliche Wärme, der Applaus, das Weinen vor Freude oder Traurigkeit. Es fehlen die strahlenden oder feucht werdenden Augen und das Spüren der Gedanken des Publikums.

Gerne erinnere ich mich an die gleiche Veranstaltung am 16. November 2019. Der Rote Teppich ist ausgerollt, die Aufregung rundherum ist zu spüren. Wir warten auf das Publikum, auf die geladenen Gäste aus der Politik, der Wirtschaft, dem Mäzenatentum und andere wichtige Personen der Gesellschaft, mehrere Hundert stehen auf der Liste. Sie posieren vor den Fotografen, sie lachen uns an, wollen gerne abgelichtet werden. Bekannte und weniger bekannte Gäste schreiten in festlicher Kleidung über den wichtigen Teppich, sie schreiten zum Glashof. Dort sind die Tische wunderbar festlich gedeckt und laden zum Dinner ein, ein schöner und interessanter Abend soll es werden. Bundesaußenminister Heiko Maas und der berühmte Nachkriegskünstler Anselm Kiefer werden geehrt mit dem Preis für „Verständigung und Toleranz“.

Großer Applaus, stehende Ovation für den zurückgetretenen letzten Direktor Professor Dr. Peter Schäfer. Schade, dass er nicht dabei ist! W. Michael Blumenthal der Gründungsdirektor dieses Museums, der als Junge  aus Berlin vor den Nazis fliehen musste, sich über Shanghai in die Neue Welt retten konnte ist aus den USA zur Verleihung des Preises gekommen. Einige Jahre ist er US-Finanzminister unter Präsident Carter von 1977 bis 1979. Er hält aus freien Stücken mit dreiundneunzig Jahren eine sehr verbindliche Rede. 2015 wird ihm der Preis für Verständigung und Toleranz überreicht und Bundespräsident Joachim Gauck hält damals die Laudatio. Martin Michaelis, der Direktor ad interim und Monika Grütters, die Staatsministerin für Kultur und Medien stehen ebenfalls mit Grußworten in der Einladung und auf dem Podium. Im Saal ist Atmosphäre zu spüren. Carolin Emcke, die bekannte Publizistin wird vor drei Jahren mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet und hält heute Abend die Laudatio auf Heiko Maas, zum Laudator für Anselm Kiefer wird Dr. Alexander Kluge, der Altmeister des Deutschen Films, Schriftsteller und Rechtsanwalt sprechen. Mit persönlichen Worten und Reden danken die Preisträger den Laudatoren.

„Ich habe bisher einen Preis erhalten, der mir wirklich viel bedeutet. Die „Gabe der Erinnerung“, 2015 verliehen vom Internationalen Auschwitz Komitee. Einen Preis von Auschwitz-Überlebenden zu bekommen, fühlt sich für mich noch immer wie ein unverdientes Geschenk an“. Zwei kurze, aber sehr wichtige Sätze aus der Rede des Außenministers Heiko Maas. Doch weiter… „Heute kommt der zweite Preis dazu, der mir etwas Besonderes ist – der des Jüdischen Museums in Berlin: diesem atemberaubenden Ort, dieser unvergleichlichen Institution. Ich möchte mich dafür bedanken. Es ist mir eine Ehre!“ Im weiteren Text steht „Und seit einigen Jahren erleben wir, wie sich auch unsere Gesellschaft immer weiter polarisiert. Die Ränder werden radikaler, Meinungen prallen unversöhnlich aufeinander. – An den Polen entstehen absolutistische Wagenburgen, die andere Meinungen grundsätzlich ablehnen und jeglichen Diskursversuch mit Prinzipienlosigkeit gleichsetzen. Kompromiss ist ein Schimpfwort geworden. Welch eine fatale Entwicklung! – Die Demokratie braucht Kompromisse – und ohne Kompromisse gibt es keinen Fortschritt.“ Unendlich wichtig wären weitere Absätze, um die Meinung des Bundesaußenministers Heiko Maas in Gänze zu verstehen.

In der Preisträgerrede des wichtigen und hoch anerkannten Künstlers Anselm Kiefer höre und lese ich: „Mein Dank geht an Martin Weil, der mich in den achtziger Jahren nach Jerusalem einlud, um dort im Israel-Museum eine Ausstellung meiner Bilder zu zeigen. Ich erinnere mich, wie er mich am Freitag in das orthodoxe Viertel in Jerusalem mitnahm, wo alles stillstand, wo eine feierlich sprechende Stille über dem Viertel war und die Männer sich zum rituellen Bad begaben. Ich bin katholisch erzogen und kannte ebenso feierliche Momente beim Kirchgang am Sonntag. Aber hier war das ganze Viertel eine einzige Kirche, ein Raum, der sich für einen Tag in der Woche in einen heiligen Ort verwandelte. Martin Weil war es auch, der mich auf dem Umweg über Walter Benjamin mit den Gedanken Gershom Scholems vertraut gemacht hat. Seitdem sind die Theorien und Begriffe Bestandteil meiner Arbeit geworden. ( …) Deutschland hat sich durch seine Gräueltaten im Dritten Reich nicht nur isoliert, sondern es hat sich kulturell zur Hälfte amputiert. Was ist der deutsche Geist ohne Heine, Mendelssohn, Benjamin, Schönberg und die vielen anderen? Erst von ihrem Gegenpol, der Intoleranz, versteht man richtig, dass Toleranz aktiv sein muss und auf genaue Wahrnehmung und Anerkennung des anderen zielt. Wahrnehmung und Erinnerung, das ist der kleine Beitrag, den meine Bilder leisten können, damit Deutschland vielleicht wieder vollständiger wird.“

Nur Sätze, nur kleine Fetzen aus den Reden, sind zu wenig. Die gesamten Texte erst geben eine Einheit.