Paraschat haSchawua: Chaje-Sarah

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Gleich zu Anfang dieser Parascha wird vom Ableben der Mutter von Isak berichtet. Die Tatsache, dass vom Tode Sarahs im Anschluss an den Versuch Gottes berichtet wird, Abrahams Treue in seiner Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern zu prüfen, legt die Vermutung nahe, dass Sarah davon im Nachhinein erfahren hatte und ihr Herz dem Schreck nicht standhielt…

Genesis, 5. Perikope – Chaje-Sarah Schabbat, 14. Nov. 2020

Dieser Gedanke, vermute ich, ist nicht besonders originell und sicherlich haben sich bereits viele Kommentatoren in diesem Sinne geäußert. Nun aber erzählt uns der Midrasch hierüber eine merkwürdige Geschichte. Zwar wissen wir, dass der Midrasch im Prinzip eine fabulierende Exegese ist (so haben wir es definiert), jedoch enthält er in der Regel einen nachvollziehbaren, meistens auch sinnvollen, Gedanken. Hier ist er nicht zu erkennen.

Der Midrasch erzählt Folgendes: „Zu jener Zeit erschien der Satan bei Sarah in der Gestalt von Isak. Da sie ihn sah, fragte sie ihn, mein Sohn, was hat dir dein Vater angetan? Da sagte er ihr: Mein Vater nahm mich mit, führte mich über Berge und Täler hinunter, und führte mich auf die Spitze eines Berges und baute einen Altar und legte darauf das Holz und fesselte mich darauf und nahm das Messer, um mich zu schlachten, und wenn der liebe Gott ihm nicht gesagt hätte, lege deine Hand nicht an den Knaben, dann wäre ich bereits geschlachtet. Kaum, dass er damit fertig war, verließ sie ihre Seele“.

So intensiv ich auch über den Sinn dieses Midrasch nachdachte, eine plausible Erklärung fand ich nicht. Da ich nicht Besseres über diese Exegese zu sagen vermag, will ich die Aufmerksamkeit auf einen großen Gelehrten im 12. Jhd., Rabbi Abraham Ibn Esra (1089 – 1164), richten. Besonders bemerkenswert zu verzeichnen wäre, dass zu so früher Zeit ein Gläubiger und Gelehrter in seinem Kommentar zur Bibel rational und vorurteilsfrei vorging. Die üblichen Kommentatoren, die in der Bibel ihre eigenen Meinungen und Einstellungen zu finden versuchten, ob es nun Mystiker, Eiferer, Phantasten oder Wundertäter waren, verhöhnte er, indem er ihre eigenen Meinungen zitierte. Sein Vorgehen bei der Kommentierung war analytisch und rational, er versuchte den Text aus sich selbst zu verstehen, seine Methode basierte auf grammatikalischer Erforschung der einzelnen Begriffe im gegebenen Zusammenhang.

Seine Methode wurde in letzter Zeit besonders von neueren israelischen Bibelforschern entdeckt und wird angewandt. Auch ein Archäologe wie Professor Finkelstein fand gerade in diesen Tagen eine Grabungsstätte nahe Jerusalem, bei der der biblische Text ihm zum Verständnis der Ausgrabung verhalf, wobei er meinte, dass die Ausgrabung und der Text sich gegenseitig bestätigten würden. Er meinte dazu, man müsse den Text einfach wörtlich, ohne die seit Jahrhunderten produzierten exegetischen Deutungen wahrnehmen.

Der Midrasch verfolgt nun ganz andere Ziele, er versucht durch das Fabulieren Lehren aus dem biblischen Text zu entnehmen, die meistens ethisch-moralischen Charakter haben und nicht unbedingt im Text selbst zu finden sind. Man könnte diese Art mit den Fabeln von La Fontaine oder mit denen von Ivan Krylov vergleichen. Die Midrasch-Literatur geht noch weiter; der Fantasie der verschiedenen Autoren und Prediger sind kaum Grenzen gesetzt. Trotzdem kann ich den Sinn der obigen Geschichte mit dem Satan nicht erkunden, weshalb ich sie als unsinnig bezeichne. Auch wenn die Midrasch-Literatur eine originelle und bedeutende Gattung der Literatur ist, so muss man leider feststellen, dass sich so manche Geschichten hineingeschlichen haben, die nicht nur als unsinnig, sondern gar als schwachsinnig (das ist meine persönliche Meinung; wie man heute so zu sagen pflegt) bezeichnet werden können.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.de heraus.

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