Leon Kahane: „Jerricans to Can Jerry“

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Ein Veranstaltungstipp für den neuen Nationalfeiertag am 3. Oktober in Berlin…

Von Martin Jander

Wer den kleinen Ausstellungsraum in der Leipziger Strasse 61 (10117 Berlin) betritt, sieht zunächst nicht viel: einen Bildschirm und einen größeren Stapel von Benzinkanistern. In dem kleinen Film, der in einer Endlosschleife läuft, erzählt Zeitzeuge „Colonel Jerrycan“ die Geschichte des in Coburg, von der Firma Max Brose hergestellten Wehrmachts-Einheitskanisters.[1]

Zur Produktion des Kanisters waren in Coburg, unter Aufsicht der Wehrmacht, neben dem Firmengelände ca. 200 sowjetische Kriegsgefangene kaserniert worden. Die Angestellten seines Unternehmens wies der Eigentümer damals an, „Humanitätserscheinungen“ gegenüber den Kriegsgefangenen seien „keineswegs am Platze“. Später gelangte der Kanister auch an die britische Armee, wo er den Spitznamen „Jerrycan“ erhielt[2] und eine nicht unwesentliche Rolle bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus spielte.

Dass Leon Kahane[3] die Geschichte des Zeitzeugen „Colonel Jerrycan“ in der Leipziger Strasse 61 zeigt, hat mit der „Julia Stoschek Collection“ direkt neben an in der Leipziger Strasse 60[4] zu tun. Stoschek ist nämlich die Urenkelin von Max Brose und eine bekannte Sammlerin von Medienkunst. Weder Frau Stoschek noch die Firma Brose Fahrzeugteile[5] haben sich nach der Niederlage des Nationalsozialismus wirklich damit hervorgetan, die Geschichte Broses und der Bedingungen der Herstellung des Wehrmachtseinheitskanisters zu erzählen, geschweige denn sich irgendwie verpflichtet gesehen, die nur auch mit Max Broses Zuarbeit möglichen deutschen Verbrechen materiell zu entschädigen.

Brose Erbe Michael Stoschek[6], der Vater von Julia Stoschek, beauftragte zwar einen Historiker, der die Biografie seines Großvaters und der Firma aufschrieb (Gregor Schöllgen: brose – Ein deutsches Familienunternehmen 1908–2008). In dem Buch wird jedoch Brose weitgehend von Schuld frei gesprochen und damit für die Gegenwart von Verantwortung entlastet.[7] Inzwischen ist es der Familie sogar gelungen, den Stadtrat Coburgs von der Einrichtung einer Max Brose Strasse zu überzeugen.[8]

Aus all diesen Gründen hat Leon Kahane seine kleine Ausstellung in der Leipziger Strasse 61 aufgebaut. Sie bildet ein Lehrstück ab, ein Lehrstück darüber, dass der Nationalsozialismus zwar militärisch besiegt wurde und in vielen Sonntagsreden ein „nie wieder“ proklamiert wird. Die früheren Förderer des Nationalsozialismus und ihre Nachfahren lassen aber bis heute keine Gelegenheit ungenutzt, die Beteiligung ihrer Eltern und Großeltern, wie ihre eigene Verantwortung und Haftung abzustreiten. Zeitzeuge „Colonel Jerrycan“ – und mit ihm der Künstler Leon Kahane – sprechen gegen diesen Chor der Leugner und Verharmloser an. Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Oktober zu sehen.

Das müssen Sie liebe Leser unbedingt sehen und hören! Mirna Funk sagt das übrigens auch.[9] Auch Timo Feldhaus ist für die Zeitung „der Freitag“ überzeugt, dass Sie da hingehen müssen.[10] Zum Beispiel jetzt am kommenden Samstag, dem neuen Nationalfeiertag. Das passt doch, oder?

BERLIN, LEIPZIGER STRASSE 61 – Leon Kahane „Jerricans to Can Jerry“. Immer Samstags 12 – 16 Uhr. Nur noch bis zum 9. Oktober.

[1] Siehe den Wikipedia-Eintrag zu Max Brose: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Brose
[2] Siehe den Wikipedia Eintrag zu „Jerrycan“ https://en.wikipedia.org/wiki/Jerrycan
[3] Siehe den Artikel über Leon Kahanes künstlerisches Schaffen: (https://www.sueddeutsche.de/…/grossformat-missbrauchte…
[4] Siehe den Internetauftritt der Julia Stoschek Collection: https://www.jsc.art/visit/
[5] Siehe den Internetauftritt der Firma: https://de.wikipedia.org/wiki/Brose_Fahrzeugteile
[6] Siehe den Wikipedia Eintrag zu Michael Stoschek: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Stoschek
[7] Siehe dazu ein Interview mit dem Historiker: https://www.sueddeutsche.de/…/umstrittener-nazi…
[8] Siehe dazu einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/…/entscheidung-in-coburg…
[9] Siehe dazu den Artikel von Mirna Funk: https://www.monopol-magazin.de/leon-kahane-kanisterkoenig….
[10] Siehe seinen Artikel im „Freitag“: https://www.freitag.de/autoren/timofeldhaus/grandios-unnuetz