Trauriger Rekord

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Die Zeiten als Israel mit seinem effektiven Vorgehen gegen das Corona-Virus Schlagzeilen machte, sind längst schon vergessen. Derzeit schlägt das Land den traurigen Rekord, weltweit die wöchentlich höchste Zahl von Neuinfektionen per capita zu verzeichnen, mehr als die USA, mehr als Brasilien…

Mit täglich weit über 2000 Neuinfektionen, und auch die 3000-Marke wurde schon geknackt, besteht wenig Grund, auf Änderung zu hoffen. Derzeit werden in den Krankenhäusern des Landes 439 Patienten in schwerem Zustand betreut, 128 davon müssen beatmet werden. Am Samstag Abend waren insgesamt 1007 Tote zu verzeichnen. 

Zu Beginn der Pandemie zeigte sich Premierminister Netanyahu sehr entschlossen im Kampf gegen das Virus. Die neuen Maßnahmen verkündete er gerne in Pressekonferenzen zur besten Sendezeit. Seit einiger Zeit ist das Vorgehen seiner Regierung deutlich zögerlicher und auch Pressekonferenzen gab es schon länger nicht mehr. 

Die Regierung hatte mit Prof. Ronnie Gamsu einen „Corona-Projektor“ eingesetzt, der ein Ampel-Modell vorschlägt, das die Kommunen in Israel in rot, orange, gelb und grün unterteilt, die jeweils unterschiedliche, der Situation angepasste Beschränkungen haben. Es hatte allerdings fast einen Monat gedauert, bis sich die Regierung dazu entschlossen hatte, dieses Ampel-Modell auch anzunehmen. Dabei hatte Gamsu immer eindringlicher gewarnt, dass die Krankenhäuser bald überlastet sein werden und das Land jeden Monat Hunderte Tote verzeichnen würde. Das scheint keineswegs übertrieben, schließlich war der Stand der Todesopfer Ende Juli noch bei 500, also nur halb so viel wie heute. 

Der Direktor des Gesundheitsministeriums Chesi Levi betonte in verschiedenen Interviews am Wochenende, dass ein mehrwöchiger  landesweiter Lockdown wohl nicht zu vermeiden sei, wenn die Zahlen in der kommenden Woche nicht deutlich sinken. Zunächst wurde allerdings endlich das Ampel-Modell berücksichtigt. Am kommenden Montag wird ein Teil der insgesamt 32 „roten“ Kommunen mit starken Beschränkungen belegt. Nur noch Lebensmittelgeschäfte dürfen geöffnet sein, die Bewohner müssen sich im Umfeld von 500 Metern von Zuhause aufhalten, die Schulen schließen. Welche Einschränkungen im Detail für welche Kommunen gelten werden ist derzeit noch nicht klar. Zu den „roten“ Kommunen gehören u.a. Nazareth, Bnei Brak, Tiberias, Umm al-Fahm, Elad, Beit Jann, Jaljulya, Jatt, Daliyat al-Karmel, Taibe, Tira, Kafr Qassem, Lakiya, Maale Iron und Kfar Aza.

Die betroffenen Kommunen sind überwiegend arabische Orte oder Orte mit vorwiegend ultraorthodoxen Einwohnern. Zusammen stellen diese beiden Gruppen etwa die Hälfte aller Corona-Fälle. Trotz der eindeutigen Zahlen gibt es vor allem aus den ultraorthodoxen Gemeinden, die sich diskriminiert fühlen, Proteste. So forderte auch Innenminister Arie Deri von der ultraorthodoxen Shas-Partei einen landesweiten Lockdown, die Beschränkung auf die roten Kommunen sei nicht hilfreich. In der vergangenen Woche sorgte eine Äußerung von Rabbiner Chaim Kanievsky, einem der führenden und wichtigsten Rabbiner der ultraorthodoxen Gesellschaft in Israel, für Aufsehen. Er sagte, seine Jeschiwa Schüler sollten sich nicht auf Corona testen lassen, das verschwende nur die kostbare Zeit des Torah-Studiums und würde andere Schüler in Quarantäne bringen. Prof. Ronnie Gamsu kritisierte diese Äußerungen scharf und wies auf die Gefahren für die ultraorthodoxe Gemeinschaft hin. Gestern traf Gamsu bei einer Besprechung mit Führern der arabischen Gemeinschaft zusammen, um dort den Ernst der Lage zu erklären.

Ob die Beschränkungen in den „roten“ Kommunen effektiv genug sein werden, um einen landesweiten Lockdown zu umgehen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Bis dahin muss Israel mit diesem Damokles-Schwert leben. Neuer Ärger ist im Übrigen auch dann schon vorprogrammiert, denn die ultraorthodoxen Minister haben bereits angedroht, die Regierungskoalition zu verlassen, wenn es an den hohen Feiertagen einen Lockdown geben sollte.

Bild oben: Prof. Ronnie Gamsu bei einer Besprechung in Daliyat el-Karmel, Screenshot CAN 11