„Streitfall Antisemitismus“

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Antisemitismus gebe es doch gar nicht bei vielen Einwänden gegen die israelische Politik, es handele sich dabei um politische Unterstellungen – das meinen jedenfalls die Autoren des von Wolfgang Benz herausgegebenen Sammelbandes „Streitfall Antisemitismus“, der breite Beachtung fand, aber auch inhaltliche Kritik verdient…

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus-Debatten werden in Deutschland meist mit viel Emotionalität und Polarisierung geführt. Dabei lassen sich zwei Extrempositionen konstatieren: Während auf der einen Seite gelegentlich kritische Statements zur israelischen Politik als antisemitische Positionen gelten, ignoriert die andere Seite den antisemitischen Hintergrund mancher israelfeindlicher Orientierungen. Derartige Fehlwahrnehmungen hängen auch damit zusammen, dass mit einem diffusen und unsystematischen Antisemitismus-Verständnis gearbeitet wird. Diese Beobachtung ist Grund genug, auch von wissenschaftlicher Seite gegen derartige Verzerrungen an zu argumentieren. Dabei sollte aber der kritische Blick in beide Richtungen geworfen werden. Dies ist indessen bei dem von dem Historiker Wolfgang Benz herausgegebenen Sammelband „Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen“ gerade nicht so. Er richtet sich nur gegen die Auffassung, wonach hinter vielen Formen der Israelfeindlichkeit doch eine Judenfeindschaft stecke.

Benz wählt dafür scharfe Worte, spricht von „Eifer“ oder „Impertinenz“ (S. 8), wobei diese Eigenschaften seinem Text auch eigen sind, nur eben mit einer anderen inhaltlichen Richtung. Bereits dadurch gerät das Projekt auf schiefe Wege, gilt doch auch hier die Gesinnung mitunter mehr als die Sachkunde. Der Herausgeber spricht etwa über die „das Existenzrecht Israels nicht bedrohende Boykottbewegung BDS“ (S. 10). Indessen haben sich führende Repräsentanten von ihr sehr wohl in diesem Sinne geäußert. Nach einer Einleitung folgen dann 14 Aufsätze, welche die unterschiedlichsten Themen behandeln. Das genaue Antisemitismus-Verständnis wird dabei aber nur in einem Fall näher thematisiert. Gemeint ist der Beitrag von Michael Kohlstruck, der dann eine problematische Deutung einer Gewaltattacke auf einen Kippa-Träger mit „Jude, Jude“-Rufen vornimmt: Hier handele es sich eher um ein „jungmännertypisches Macht-und Selbstdarstellungsgebaren im politischen Kontext des Nahost-Konflikts“ (S. 142). Da wird ein deutlicher Antisemitismus relativiert.

Andere Beiträge gehen auf die erwähnte Boykott-Bewegung, den Fall Mbembe, den Konflikt um das Jüdische Museum Berlin oder Karikaturen in der „Süddeutschen Zeitung“ ein. Dabei wird jeweils betont, dass es sich um Antisemitismus-Unterstellungen handele. Indessen mangelt es häufig an einer systematischen Beweisführung, die durch Differenzierung und Genauigkeit geprägt ist. Eine Ausnahme ist der Beitrag von Gert Krell zur Mbembe-Kontroverse, wo systematisch unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten erörtert werden. In anderen Abhandlungen finden sich mitunter erstaunliche Faktenfehler. So schreibt etwa Alexandra Senfft über die Antisemitismus-Definition der IHRA: „Demnach wird jegliche Kritik an Israel als Bedrohung für das jüdische Leben weltweit definiert …“ (S. 277). Bei allen Defiziten dieser Definition, das genaue Gegenteil wird dort ausgesagt. Und dann gibt es auch historische Gleichsetzungen in polemischem Sinne. Daniel Bax sieht etwa in einer FAZ-Kritik ähnliches wie in einem „stalinistischen Schauprozess“ (S. 114).

Auch Micha Brumlik schreibt über „‘Israelsolidarität‘ als Islamophobie – Formen eines neuen McCarthyismus“, wo die Ebenen gleich mehrfach durcheinander geworfen werden: „Islamophobie“ ist ein wissenschaftlich umstrittenes Schlagwort, und selbst auf die BDS bezogene Überreaktionen können seriös wohl kaum mit den früheren antikommunistischen Verschwörungsvorstellungen gleichgesetzt werden. Allein diese Beispiele machen deutlich, dass viele Autoren mehr durch Polemik motiviert waren. Es bedarf auch eines seriösen Stils für den öffentlichen Vernunftgebrauch. Und gerade daran mangelt es nicht wenigen Autoren, die dadurch auch ein zutreffendes Sachargument selbst diskreditieren. Bedenklich sind darüber hinaus viele Aussagen mit Hinweisen auf gezielte Kampagnen. Dabei lässt man die angeblichen Akteure häufig im Dunkeln. Was Benz damit meint, dass „Aktivisten“ auf das „Verfolgen und Unschädlichmachen von Antisemitismus und Antisemiten“ (S. 11) abzielten, erschließt sich bezogen auf diese Wortwahl nicht.

Wolfgang Benz (Hrsg.), Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen, Berlin 2020 (Metropol-Verlag), 328 S.