Paraschat haSchawua: Nasso

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Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden (4. Moses Kap. 6, 22 ff)…

Wochenabschnitt Nasso; 4. Moses Kap. 4,21 – 7 Schabbat, 6. Juni 2020

Dieser traditionell genannte Dreiersegen hat einen wichtigen Stellenwert in der Religion und in der Tradition gewonnen. In Kriegszeiten war es wichtig, das Volk und die Kämpfenden mit einem Segen Gottes zu stärken, und auch in Friedenszeiten tat es den Menschen gut zu wissen, dass Gottes Segen sie begleitet. Bis zum heutigen Tag wird dieser Segen jeden Samstag von den Priestern (die Nachkommen der Priester, die meistens Cohn heißen) über die Gemeinde gesprochen. Außerdem ist es in frommen Familien Brauch, dass der Vater am Vorabend des Schabbats bei der Rückkehr vom Abendgebet und vor dem feierlichen Abendessen die Kinder einzeln segnet.

So wundert es nicht, dass sich im Laufe der Zeit der Glaube verbreitet hat, dass ein Mensch (Priester, Prophet oder Heiliger) einen Menschen in Gottes Namen segnen (evtl. auch verfluchen) kann, wie es auch bei den heidnischen Völkern der Brauch war, was in der Bibel auch reichlich dokumentiert ist. Nicht zu vergessen, dass manche Stämme und Völker, besonders in Afrika, auch heutzutage einen institutionellen
Zauberer haben, der seine Aufgaben ohne materiellen Gewinn ausübt.

Dagegen wetterte bereits der große Bibelkommentator RaSCHBaM (Rabbi Schlomo ben Meir 1080-1160): „Nicht Ihr segnet aus Eurem Munde, wie ein Mensch, der einen anderen segnet, sondern betet zu mir (Gott), dass ich sie segne“. Und er beruft sich auf die Torastelle des Dreiersegens, wo es ausdrücklich heißt: So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne. Allerdings wird es den Menschen ewig verborgen bleiben, wen Gott segnen wird, wann und wie.

Die Warnung des RaSCHBaM und anderer weiser Gelehrter hat nur mäßig gefruchtet. Ob es an demText des Dreiersegens liegt, der so poetisch ist und eine zauberhafte Suggestivkraft besitzt und die Menschen in seiner Schönheit gefangen nimmt, oder ob es vielmehr das „heidnische“ Verlangen nach einem Zauber ist, der dem Menschen aus einer angeblich ausweglosen Situation heraushilft.

Wie ist es zu verstehen, dass in Israel die Wunderrabbi, die „Heiligen“, Kabbalisten und Mystiker einen solchen Zustrom an Gläubigen wie auch an Säkularen haben, die von ihnen einen Segen erwarten, der ihnen einen Ehegatten, ein Kind oder Einkommen, sogar Glück bei Aktienspekulationen beschert oder die Heilung einer unheilbaren Krankheit verspricht? Einige dieser „Wundertäter“ haben richtige
Höfe entwickelt, wie die großen Höfe der Rabbis im 16. bis 19. Jh., mit dem Unterschied, dass die Segenssprecher heutzutage es nicht nur zur Berühmtheit und sogar zu politischem Einfluss gebracht, sondern sogar Reichtümer erworben haben.

Man muss leider zugeben, dass zwischen Glauben und Aberglauben ein schmaler Grat besteht. Nicht jeder Jude in Israel kann diesen leicht erkennen und begehen. Obschon man sich andererseits vor Augen halten sollte, dass die Visionäre und die Gründer des neuen jüdischen Staates eine moderne, fortschrittliche, im Sinne des europäischen Liberalismus agierende Gesellschaft vor Augen hatten.

Schabbat Schalom

Dr. Gabriel Miller absolvierte umfangreiche rabbinische und juristischen Studien, war Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Außerdem gibt er die bei den Lesern von haGalil längst gut bekannte Website juedisches-recht.deheraus.

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