Von Wien nach Ramat Gan – Hakoah feiert

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Am 17.12.19 wurde auf Initiative aktiver Fans von Hakoah Maccabi Ramat Gan und einiger ehemaliger Spieler in festlichem Rahmen drei wichtiger Ereignisse der Vereinsgeschichte gedacht: der Gründung der Hakoah Wien 1909, der Vereinigung von Hakoah Tel Aviv und Maccabi Ramat Gan zu Hakoah Maccabi Ramat Gan 1959 und dem ersten Pokalsieg von Hakoah Maccabi Ramat Gan 1969…

Autorenkollektiv Kaduregel Groundhopping Israel

Den Auftakt der Feier machte eine bewegende Präsentation, die die Erfolge von Hakoah Wien und Hakoah Maccabi Ramat Gan in Bildern veranschaulichte. Hakoah Wien war 1923 die erste kontinentaleuropäische Mannschaft, die ein englisches Team auf der Insel schlagen konnte und gewann 1925 die österreichische Meisterschaft. Nach dem tragischen Ende von Hakoah Wien 1938 gründeten ehemalige Spieler und Funktionäre, denen die Flucht nach Palästina gelungen war, dort Hakoah Tel Aviv. Der Verein hatte seine Clubräume in einer Wohnung in der Dizengoff Strasse 112 und erfüllte als Anlaufstelle für junge Flüchtlinge aus Wien und anderen Orten in Mitteleuropa eine wichtige soziale Funktion.  

Kurz nach der Staatsgründung vereinigte sich der Hakoah Tel Aviv unter Beibehaltung seines Namens mit dem Verein “Shahar Kfir“ aus dem Shapira Viertel im Süden von Tel Aviv, das hauptsächlich von jüdischen Einwanderern aus Saloniki und Zentralasien bewohnt war und schaffte damit eine spannende kulturelle Mischung, die für Hakoah bis heute typisch ist. Nach der Vereinigung mit Maccabi Ramat Gan 1959 wurde Hakoah Mitglied im Maccabi Verband und hatte mit dem Galei Gil ein eigenes Stadion im Norden von Ramat Gan. Dort gelang Hakoah Maccabi Ramat Gan, wie der Verein nach der Fusion hieß, 1962 der Aufstieg. In den folgenden eineinhalb Jahrzehnten war Hakoah Maccabi Ramat Gan eines der stärksten Teams im israelischen Fussball und gewann zwei Mal die israelische Meisterschaft und zwei Mal den israelischen Landespokal. 

Verantwortlich für die Präsentation, die viele historische Bilder und Kurzvideos enthielt, waren Dudu Shuruk und Miron Gerstmann, die sich sehr um die Pflege des Andenkens an die Vergangenheit von Hakoah kümmern. 

Der stellvertretende Bürgermeister von Ramat Gan richtete einige Worte an die Gäste und kam dabei auch kurz auf die aktuelle Situation von Hakoah Maccabi Amidar Ramat Gan, wie der Verein seit einer weiteren Fusion 2005 heißt, zu sprechen. Auf Platz eins in der 3. Liga Süd stehen die Chancen für eine Rückkehr in den israelischen Profifussball nicht schlecht. Im Hintergrund gibt es allerdings eine Auseinandersetzung zwischen einem Teil der Fans und dem Besitzer des Vereins und der Vereinsführung. Der feierlichen Stimmung an dem Abend tat dies keinen Abbruch.

Die österreichische Botschafterin Hannah Liko überraschte die mehreren Hundert Gäste mit einer Rede auf Hebräisch, in der sie neben den Erfolgen der Hakoah an deren tragisches Ende erinnerte und die Namen der in der Shoa umgekommenen Sportler und Funktionäre von Hakoah verlas. Im Anschluss betonte sie unter Standing Ovations die Verantwortung ihres Landes bei der Bekämpfung von Antisemitismus, einschließlich des israelbezogenen Antisemitismus. 

Botschafterin Hannah Liko, Foto: Benny Cnaan

Oliver Vrankovic, einem aus Deutschland stammenden Fan von Hakoah, der in Ramat Gan lebt, wurde die Ehre zu Teil, nach der Botschafterin etwas über die Eckpunkte der Geschichte der legendären Hakoah Wien und die direkte Verbindung zu Hakoah Tel Aviv zu sagen, eine Geschichte, die sowohl faszinierend, großartig wie auch tragisch ist. 

Hakoah heißt Stärke und bezieht sich auf die von Max Nordau auf dem zweiten Zionistenkongress 1898 formulierte Forderung nach Schaffung des Muskeljudentums. Erster Präsident von Hakoah Wien war Fritz Löhner-Beda, ein überzeugter Zionist, der in seiner Jugend leidenschaftlich gerne Fußball gespielt hat. Mit Fußball kamen er und seine Freunde erstmals 1896 in Berührung, als sie Engländer in Wien haben Fußball spielen sehen. Nachdem sie ihren eigenen Ball hatten, fingen sie selbst an zu spielen. Es war eine Zeit des Antisemitismus und einer der schlimmsten Antisemiten war der Wiener Bürgermeister Karl Lueger. Die Gründung eines jüdischen Fußballvereins war die Antwort.

Hakoah-Spieler trugen blau-weiße Hemden mit einem aufgestickten Davidstern auf der Brust und wurden von mehreren rivalisierenden Anhängern als „jüdische Schweine“ bezeichnet. Zum Schutz vor Antisemiten stellte der Verein seine Boxer und Ringer als Leibwächter ein. Der Verein wollte das weit verbreitete antisemitische Vorurteil entkräften, dass Juden körperlich unterlegen seien.

Ein weiteres Anliegen von Hakoah war es, diejenigen, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten, körperlich so auszubilden, dass sie den Anforderungen der Pionierarbeit genügen. Fußball stand damit im Dienst der zionistischen Bewegung und der Gründung des Staates Israel.

Die größte Ära von Hakoah Wiens war unter der Präsidentschaft von Dr. Ignatz Kerner und unter Trainer Arthur Baar unter denen 1923 der 5-0 Sieg gegen Westham in London und 1925 der Gewinn der österreichischen Meisterschaft gelang.

Hakoah Wien wurde zu einer Quelle des Stolzes für Juden auf der ganzen Welt. Hakoah war zeitweise der Sportverein mit den meisten Mitgliedern weltweit und Fußball war nur ein Teil. Aus der Schwimmsektion stammte die österreichische Meisterin Judith Deutsch, die Sportlerin des Jahres 1935 wurde und die die Olympischen Spiele in Berlin wegen der Nationalsozialisten boykottierte.

Hakoah Wien wurde von den Nationalsozialisten unmittelbar nach dem Anschluss 1938 zerschlagen. Ein Großteil der Funktionsträger und Sportler, darunter Löhner-Beda, kamen im Holocaust ums Leben. Unter den Wiener Juden, die nach Palästina entkommen konnten, waren Arthur Baar und Dr. Ignatz Kerner, die Hakoah Tel Aviv gegründet haben. Baar war später Trainer der Nationalmannschaft und nach Dr. Kerner wurde der U21 Landespokal benannt. Viele junge Leute aus Wien und anderen Orten Europas, die zumeist alleine ins Land kamen, fanden bei Hakoah Halt. Unter diesen jungen Leuten befand sich Leo Galia. Ein ausgezeichneter Fußballer, der bei der Maccabi Auswahl gespielt hat und Manager von Hakoah war, als die Mannschaft in die erste Liga aufstieg. Auch der Vater von Miron Gerstmann, Heinz Gerstmann, knüpfte bei Hakoah Tel Aviv seine ersten Kontakte in der neuen Heimat. Genauso, wie der Vater von Itzik Pozmantir, der Hakoah in den 1990er und 2000er Jahren als Vorstandsvorsitzender für kurze Zeit zurück ins Oberhaus führte. 

Die Hakoah Wien Stars Egon Polak, Louis Hess, Nemes, Häußler und Torhüter Willie Berger stießen in Palästina zu Maccabi Tel Aviv, Richard Fried zu Hapoel Haifa. Torhüter Willie Berger spielte vor seinem Rücktritt bei Hakoah Tel Aviv, ebenso wie andere hervorragende Spieler aus Mitteleuropa, wie Perri Neufeld und Gaul Machlis.

Der von den Nationalsozialisten gefasste Hakoah Wien Superstar Bella Guttman, dem die Flucht gelang, gewann als Trainer mit Benfica Lissabon 1961 und 1962 den Pokal der Landesmeister. Viele Jahre zuvor war er einer der Gründer von Hakoah New York, ein Team, das nach Fusionen, Auflösung und Wiederbelebung zu New York Hakoah wurde und drei Mal hintereinander die US-Meisterschaft gewann.

HaKoah ist damit der einzige Fußballverein der Welt, der in drei verschiedenen Ländern auf drei verschiedenen Kontinenten Meister wurde und auch in Australien gewann Hakoah Sydney zahlreiche Meisterschaften.

Nach den Ausführungen über die Geschichte  gehörte die Bühne den Vertretern von Hakoah Będzin aus Polen – Adam Szydłowski , Bartosz Broen und Jakub Komenda. Der Präsident des Vereins Adam Szydłowski, Historiker und stellvertretender Bezirksvorsteher des Distriks Będzin, sorgte für Gänsehaut, als er die Wiederbelebung des Vereins beschrieb. 1913 gegründet und schon seit 1914 mit einem eigenen Stadion, galt Hakoah Będzin in den 1930er Jahren als bestes Fussballteam im Dąbrowa-Becken. Das Aufeinandertreffen mit Hakoah Wien 1924 ging 1:7 verloren, der Torschütze für das jüdische Team aus Polen war Moniek Birencwejg. Am 11. November 1938 trennte sich Hakoah Będzin in der Zweiten polnischen Liga 2:2 von  Sarmacja Będzin. Im Juli 1938 spielte das Team sein letztes Spiel gegen Czarni Sosnowiec. Am 8. September 1939 steckten Angehörige von SS und Wehrmacht die Synagoge in Będzin in Brand und ermordeten dabei etwa 20 Menschen, die das brennende Gebäude nicht verlassen durften. Ab 1942 wurden die Juden von Będzin in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Umschlagplatz war das Hakoah Stadion.

Am 80. Jahrestag der Zerstörung der Synagoge in Będzin spielten jüdische und nicht-jüdische Aktivisten, denen die Erinnerung an das jüdische Leben in Będzin ein großes Anliegen ist, das „Rückspiel“ Hakoah Będzin gegen Sarmacja Będzin. Dazu trugen die Spieler Trikots, die an die Trikots von 1938 angelehnt waren, mit den Namen der Spieler, die 1938 auf dem Platz standen, auf dem Rücken. Im Anschluss an das Spiel begaben sie sich an den Ort, an dem die Synagoge stand, um Blumen niederzulegen und das Kaddish zu sprechen. Bei seinem Vortrag in Ramat Gan trug Szydłowski das Trikot von Birencwejg aus dem Erinnerungsspiel, das gleichzeitig den Neuanfang von Hakoah Będzin bedeutete.

Seither spielt Hakoach Będzin als einzig ehemaliges jüdisches Team in der polnischen Retro-Liga, einer Liga ehemaliger Mannschaften. Adam Szydłowski ‎sagt, dass es bei Hakoah Będzin nicht nur um Geschichte geht, sondern auch darum etwas Neues zu schaffen.

Nach einem Vertreter von Hakoah Negba wurden drei sehr alte Herren auf die Bühne gebeten, die in ihren jungen Jahren bei Hakoah Tel Aviv bzw. Maccabi Ramat Gan gespielt haben – Itzik Ashkenazi, Josef Heine und Michael Aminov. Ashkenazi, der 1958 von Hakoah Tel Aviv zu Hapoel Haifa gewechselt ist und dort Kapitän wurde, darf als israelische Fußballlegende gelten. Ebenso Heine, der 1956 von Hakoah Tel Aviv zu Maccabi Netanya gewechselt ist und dort fast ein Jahrzehnt lang Star der Mannschaft war. Aminov spielte in der Zeit der Fusion für Maccabi Ramat Gan  und erzählte wie diese zu Stande kam und welche Vorteile sie brachte.

Den Höhepunkt der Feier bildete die Erinnerung an den 50. Jahrestag des ersten Pokalsieges – 1:0 gegen Maccabi Sha’arayim. Dazu wurden die Pokalsieger an den Ehrentisch gebeten und an diejenigen erinnert, die nicht mehr dabei sein konnten. Darunter Torhüter Lufa Kadosh, der Hakoah Maccabi Ramat Gan wie kein anderer Spieler geprägt hat und nach dem heute die U21 des Vereins benannt ist.

Richtig emotional wurde die Feier als Yehuda Sharabani, Torschützenkönig von 1972 und größter Feldspieler von Hakoah Maccabi Ramat Gan aufgerufen wurde, ein paar Worte zu sprechen. Unter „Yuda’le, Yuda’le“ Sprechchören erinnerte Sharabani an die großen Erfolge des Teams. Nach ihm ergriff der Torschütze im Pokalfinale 1969, Chico Farkas, das Wort. Er rief in Erinnerung, wie die Mehrheit der Fans im Finale für Sha’arayim war und wie Hakoah nach der frühen Führung destruktiv verteidigt hat und die Mannschaft nach dem Spiel unter Polizeischutz aus dem Stadion geleitet werden musste.

Die Liste berühmter ehemaliger Fußballer, die an dem Abend in der Zismann Halle in Ramat Gan waren zu vervollständigen, würde sehr viel Platz einnehmen, beispielhaft seien noch Shaul Albocher, der noch bei Hakoah Tel Aviv gespielt hat und mit Hakoah Maccabi Ramat Gan 1965 Meister wurde, genannt und Roni Shuruk, der Bruder von Dudi Shuruk, der 1970 bei der WM in Mexiko spielte. 

Im Anschluss wurde von Sharabani, Farkash und anderen ehemaligen Spielern und Fans von Hakoah ganz offiziell der Verein Hakoah Galei Gil Ramat Gan vorgestellt, ein Verein von Fans, der bereits ein Team in der Seniorenliga hat und nächstes Jahr ein Team im regulären Ligabetrieb anmelden möchte. An berühmten Referenzen für diesen Schritt fehlt es nicht. So wurde der Verein Hapoel Katamon von Fans von Hapoel Jerusalem gegründet, die sich mit ihrer Vereinsführung überworfen haben und Rubi Shapira Haifa aus dem gleichen Grund von Hapoel Haifa Fans. Ein weiteres Beispiel ist die Gründung von Hapoel Ussishkin durch Hapoel Tel Aviv Basketball Fans.

Man darf gespannt sein, wie sich dieses Kapitel in der langen wundersamen Geschichte der Ableger von Hakoah Wien ausspielt. Sicher ist: Dem Andenken an Hakoah Wien wird bei Hakoah Galei Gil Ramat Gan viel Platz eingeräumt werden.

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Alle Fotos im Beitrag: O. Vrankovic, Bild oben: Hakoah Wien, 1925