Umweltbewusstsein in Israel

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Ein Interview mit Schulamith Wolffs Mariuma, Senior Projektmanagerin der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer…

Erschienen bei: Re-levant, 26.11.2029

Biografisches

Schulamith Wolffs Mariuma lebt seit 33 Jahren in Israel und feierte kürzlich ihr 25-jähriges Dienstjubiläum bei der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer (AHK Israel), wo sie u.a. das Ressort “Nachhaltigkeit, Ressourcen- und Energieeffizienz” leitet. Zu diesem Thema war sie mehrfach Gastgeberin von deutschen Delegationen mit Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik in Israel und begleitete auch einige Reisen israelischer Delegationen nach Deutschland.

Schula lebt in Ramat Gan, ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern, einem Sohn und einer Tochter. Das Interview fand bei ihr zuhause statt.

Re:Levant: Schula, was hat dich eigentlich nach Israel gebracht?

Schula: Geboren und aufgewachsen bin ich in Duisburg, doch bei uns zuhause wurde Hebräisch gesprochen. Nach dem Abi kam ich dann zum Ulpan (Hebräisch-Sprachkurs) nach Israel, weniger aus ideologischen Gründen, sondern vielmehr, um mal etwas Neues auszuprobieren, Tapetenwechsel zu haben. Dort verliebte ich mich in Land und Leute, vor allem in einem Menschen namens Moshe. And the rest is history. (Moshe ist seit 33 Jahren ihr Lebenspartner, Ehemann und Vater ihrer Kinder)

Re:Levant: Wie bist du zur Handelskammer gekommen und was hat dich zum Thema Nachhaltigkeit gebracht?

Schula: Wir schrieben das Jahr 1994. Nach der Geburt meines Erstgeborenen wollte ich wieder ins Arbeitsleben einsteigen. Und wie es der Zufall so wollte, suchte die AHK Israel – die damals noch keine offizielle Auslandshandelskammer war, sondern eine Privatinitiative von Israelis und Deutschen aus der Wirtschaftswelt – gerade eine Halbzeitkraft, vor allem für die deutschsprachige Korrespondenz. 1995 erhielten wir von Deutschland die Anerkennung als offizielle AHK, es kamen neue Kollegen und Kolleginnen hinzu, doch ich bin mittlerweile die Dienstälteste.

Mit dem Thema Nachhaltigkeit bin ich bereits in Deutschland aufgewachsen, schon von zuhause: Anfang der 80er Jahre war Mülltrennung zwar auch dort noch in den Kinderschuhen, doch wir haben zuhause getan, was wir konnten. Und daß man das Licht ausmacht, wenn man ein Zimmer verläßt, oder wie man vernünftig mit der Heizung umgeht, war bei uns zuhause selbstverständlich. Tschernobyl 1986 und die Folgen, der damals so viel besprochene Saure Regen beispielsweise, waren auch für mich ein Riesenschock. Umwelt war schon früh ein Thema, das mich beschäftigt hat.

Nach Israel kamen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Mülltrennung und dergleichen mit viel Verspätung an, da die Hauptsorge der Menschen hier in Israel seit jeher die Sicherheitssituation ist. Allerdings markierten die Jahre 2009-2011 eine Wende, als diese Begriffe auch hier endlich ein großer Trend wurden. Stellt euch vor, 2011 habe ich zum ersten Mal das Wort Energieeffizienz auf Hebräisch gehört. Und man denke nur an den Industrietrend mit Startups in Bereichen wie Wasserwirtschaft (z.B. Tropfbewässerung, Meerwasserentsalzung), Solarenergie und interessanten Formen der Energieerzeugung, um nur einige Beispiele zu nennen.

Als mein persönliches Steckenpferd auch in der Industrie ein Thema wurde, das sowohl für Deutschland als auch für Israel – und damit für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen – relevant war, entstand in der AHK Israel das Ressort “Nachhaltigkeit”, das ich seither leite.

Re:Levant: Wie lässt sich der Bereich Nachhaltigkeit in Deutschland und Israel vergleichen und wo kann Deutschland von Israel lernen, wo umgekehrt? 

Schula: Der Unterschied liegt bei den Trendsettern: In Deutschland wird das Thema “Nachhaltigkeit” von Regierungsstellen angetrieben und durch gesetzliche Regelungen und Maßnahmen geregelt, wie beispielsweise die TA Luft, und natürlich die Energiewende. In Israel hingegen ist es die Privatwirtschaft, die sich dem Thema widmet, z.B. Startups mit bahnbrechenden Technologien. Firmen wie SolarEdge (Anbieter für photovoltaische Energiegewinnungs-, optimierungs- und Monitoringsysteme), IDE (weltweit führendes Unternehmen in Meerwasserentsalzung) oder Ormat (das überall auf der Welt jedem, der mit Geothermie zu tun hat, ein Begriff ist) zeigen, dass Nachhaltigkeit nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft sein kann.

Natürlich gibt es, teils zu Recht, Kritik an der deutschen Methode, wo oft von “Greenwashing” die Rede ist. Und israelische Firmen sind auch nicht immer erfolgreich: so wurde mit dem Scheitern von “Better Place” auch die Hoffnung enttäuscht, dass Israel Vorreiter für ein Land mit elektrisch betriebenen Autos würde.

Re:Levant: Was sind die großen Trends bei der Nachhaltigkeit in Israel, und welche Problematiken werfen sie auf?

Schula: Die zwei großen Trends der Energiegewinnung sind Erdgas, seit der Entdeckung eigener Vorkommen im Mittelmeer, und Sonnenenergie.

Erdgas ist natürlich für die Umwelt um vieles besser als beispielsweise Kohle, ist jedoch trotzdem ein fossiler Brennstoff und daher nicht ganz unproblematisch. Zudem gibt es die politische Komponente der unheilvollen Allianz von Reichtum und Macht, wenn Wirtschaft und Politik einander “Freundschaftsdienste” erweisen.

Photovoltaik auf Dächern, vom Energieministerium als “Revolution der Solardächer” beworben, stellt einen weiteren, sehr großen Trend dar: Hier kann jeder Hausbesitzer zum “Prosumer” (Produzent und Konsument) werden, indem er mittels Photovoltaikpanelen auf seinem Dach Strom selbst produziert, aber auch konsumiert und den Überschuss an die Stromgesellschaft verkaufen kann. Die Regierung fördert dies mit einer starken Entbürokratisierung des Genehmigungs- und Installationsprozesses. Das Stromnetz wird hier vor einige Herausforderungen gestellt werden.

Es gibt natürlich auch hierzulande noch andere Formen der Erzeugung erneuerbarer Energien, wie z.B. Waste-to-Energy und Windenergie. Deren Beitrag zum Energiemix ist jedoch peripher.

Re:Levant: Ein abschließender Satz zum Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz in Israel?

Schula: Umweltbewusstsein ist in Israel noch ausbaufähig. Erziehung und Aufklärung sind das Gebot der Stunde. Doch immerhin sehe ich, wenn ich aus dem Haus gehe, die orangen Recycling-Tonnen in ihrer vollen Schönheit…

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