Rechtsextremismus in Deutschland

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Der Soziologe und Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber legt ein neues Buch zu Rechtsextremismus in Deutschland vor. Das Überblickswerk zeigt Handlungsstile und Organisationsformen im deutschen Rechtsextremismus, stellt zentrale Akteure vor und zeigt aktuelles Gefahrenpotenzial…

Von Andrea Livnat

Nach verschiedenen Veröffentlichungen zur Neuen Rechten, der AfD und Linksextremismus, legt Pfahl-Traughber dieses gut strukturierte Überblickswerk vor, das, und das sei voran geschickt, keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und beispielsweise keine Fragen nach Gegenstrategien und Präventionsarbeit stellt. Es ermöglicht aber dem Leser die heutigen Strukturen des deutschen Rechtsextremismus zu verstehen und stellt sie die Grundlage für weitere Debatten.

Zu Beginn stellt der Autor den Forschungsstand vor und widmet sich eingehend der Definition von Extremismus und Rechtsextremismus. Pfahl-Traughber unterscheidet idabei vier verschiedene Ideologielemente: die Überbewertung der ethnischen Zugehörigkeit, eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, ein Eintreten für den politischen Autoritarismus und die Idee einer identitären Gesellschaftsvorstellung. Daneben teilt er den Rechtsextremismus in fünf Gruppen von Ideologiefamilien, Deutschnationale, Jungkonservative, Nationalrevulotionäre, Nationalsozialisten und Völkische.

Vier chronologisch geordnete Kapitel widmen sich der rechtsextremen Parteienlandschaft, von der SRP (Sozialistische Reichspartei) Anfang der 1950er Jahre, über die „alte“ NPD von 1964 bis 1996, Parteien wie DVU, Republikaner und die „Pro“-Parteien, die NPD seit 1996 bis schließlich zur AfD. Im Anschluss analysiert Pfahl-Traughber die „geistige Heimat“ des deutschen Rechtsextremismus, also Medien, Verlage und Organisationen, aber auch einzelne intellektuelle Vordenker.

Der Darstellung der Neonazi-Szene, vor 1990 und schließlich nach der Wende ist ein gesondertes Kapitel zu den „Identitären“ angeschlossen, die Pfahl-Traughber als Repräsentanten der Neuen Rechten „auf der Straße“ bezeichnet. Im Anschluss wird der „organisationsförmige Rechtsextremismus“ vorgestellt, also Interessensgruppen und Vereine wie Frauenorganisationen, Jugendorganisationen und Hochschulorganisationen, die über politische Lager hinaus in die Mehrheitsgesellschaft hinein zu wirken versuchen. 

Unter der Überschrift „Subkultureller Rechtsextremismus“ stellt Pfahl-Traughber die Skindhead-Bewegung, ihre Ursprünge in Großbritannien und die Entwicklung in der BRD und der DDR, sowie im vereinten Deutschland dar. Ein weiteres Kapitel widmet sich Hooligans und Pegida, dem „bewegungsförmigen Rechtsextremismus“.

Mehrere Kapitel zeigen den rechtsextremen Terror in Deutschland, stellen die unterschiedlichen Gruppen vor, darunter auch den NSU, sowie Konzepte und Praxis von rechtsextremen Terroristen. Über sog. Einzeltäter, deren Gefahrenpotenzial im Buch ausführlich erläutert werden, sprachen wir mit dem Autor nach dem Attentat in Halle.

Die letzten Kapitel fassen nochmals rechtsextremistische Agitations- und Handlungsfelder, wie u.a. Antiglobalisierung, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungsvorstellungen, zusammen und zeigen die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung anhand von Umfrageergebnissen und Studien seit den 1950er Jahren. Abschließend werden unterschiedliche Erklärungsansätze für Rechtsextremismus erörtert, wie etwa der Autoritarismus-Ansatz, der „Extremismus der Mitte“-Ansatz (24.5) oder der Modernisierungsopfer-Ansatz. 

In der Schlussbilanz warnt Pfahl-Traughber vor dem mit der AfD einhergehenden Gefahrenpotenzial und betont, man sollte die Bekundungen über eine „Wendezeit“ aus den Reihen der AfD-Politiker „auch beim Wort“ nehmen.  

Pfahl-Traughber ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl, Lehrbeauftragter an der Universität Bonn und Herausgeber des „Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung“. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Antisemitismus, Extremismus, Ideengeschichte, Religion, Terrorismus und Totalitarismus. Er ist Mitglied im Unabhängigen Arbeitskreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages und im Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz. Das vorliegende Buch ist bereits seine dritte Veröffentlichung zu Rechtsextremismus in Deutschland. Trotz seiner Expertise ist er immer wieder Kritik bzw. Diffamierungen ausgesetzt, die er in einem persönlichen Nachwort thematisiert. Es geht dabei um eine frühere Tätigkeit beim Bundesamt für Verfassungsschutz in der dortigen Abteilung „Rechtsextremismus“. 

Interessant, wie ein Autor, der so sehr um sachliche Kritik bemüht ist wie Pfahl-Traughber immer wieder mit dem „Argument“ dieser früheren Tätigkeit angegangen wird. Jüngst hat das das Zentralkomitees der MLPD in einem „Offenen Brief an den „antideutschen“ Hetzer Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber“ getan. Der Brief erschien als Replik auf einen haGalil Beitrag und beginnt mit dem Satz: „Herr Professor Pfahl-Traughber, sie waren über viele Jahre beim Verfassungsschutz in leitender Funktion tätig. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sie den Antikommunismus „im Blut“ haben und dazu ausgebildet und bezahlt wurden bzw. werden, die organisierte und insbesondere die revolutionäre Arbeiterbewegung zu bekämpfen.“ Aber auch weniger extreme Zeitgenossen, sehen sich genötigt, immer wieder auf diese frühere Tätigkeit von Pfahl-Traughber hinzuweisen. Von der Objektivität seiner Arbeit kann sich jeder selbst überzeugen. 

Pfahl-Traughbers Überblickswerk leistet auf jeden Fall einen wichtigen sachlichen Beitrag zur Rechtsextremismusdebatte in Deutschland.

Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Springer VS 2019, 388 S., Bestellen?