Momentaufnahme Budapest

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Mihály Vajda

Eine Woche bevor ich in Budapest mit dem ungarischen Philosophen Mihály Vajda sprach, hatte die von Ministerpräsident Viktor Orbán angeführte Fidesz Partei bei Lokalwahlen die Mehrheit der Bezirke in Budapest verloren…

Von Karl Pfeifer

Der Kandidat der vereinigten linksliberalen Opposition Gergely Karácsony errang gegen den von Fidesz unterstützten Oberbürgermeister István Tarlós einen „historischen Sieg“, der wie er sagte für die Ungarn insgesamt einen Startschuss für das Unterfangen bedeute, „ihre Freiheit wiederzuerlangen“. Dies geschah obwohl noch ein paar Tage vor der Wahl das Fidesz nahe Meinungsforschungsinstitut „Nézöpont“ voraussagte, dass Tarlós mit 13 Prozent Vorsprung vor seinem linken Herausforderer siegen wird.

Vajda meinte, während der neun Jahre, in denen Fidesz die Stadt führte, empfanden viele Budapester die übertriebene nationalistische Rhetorik als komisch und die seit 2015 ständig wiederholten Orbán-Sprüche über Migranten und George Soros, der für alles verantwortlich sein soll, haben viele einfach gelangweilt.

Die Mehrheit der Budapester goutierte auch nicht das Fällen von Bäumen, um für Denkmäler Platz zu schaffen. So wird nächstes Jahr ein Denkmal eingeweiht, das an den Verlust von Großungarn 1920 im Friedensvertrag von Trianon erinnern soll. Noch heuer wird ein Denkmal fertiggestellt, das den ungefähr 500 Opfern des „roten Terrors“ der ungarischen Räterepublik gewidmet ist. Freilich an die 3000-5000 Opfer des von Miklós Horthy angeführten weißen Terrors erinnert kein Denkmal.

Der neue Oberbürgermeister möchte mit der Regierung zusammenarbeiten, doch das wird laut dem Philosophen nicht einfach werden.

Nach vierzig Jahren Bekanntschaft mit dem ehemaligen Oppositionellen Vajda frage ich nach der Bilanz, was haben die das Kádár System ablösenden Linksliberalen erreicht.

„Der Saldo ist intellektuell positiv, politisch negativ. Obwohl János Kis, der damalige Chef der liberalen Partei SZDSZ über verschiedene Themen Bücher veröffentlicht hat, äußert er sich nicht zu den Ursachen des Scheiterns seiner Partei. So wie József Antall, der erste Ministerpräsident nach der Wende, es nicht verstand, dass ein „Ungarn der Herren“ das Land zurückwirft, so haben die Liberalen nicht begriffen, dass in diesem Land eine Demokratie nach amerikanischen Muster keine Chance hat. Sie haben nicht verstanden, dass die Mehrheit der Ungarn am Land lebt und mit den Parolen der französischen Revolution von 1789 nichts anzufangen weiß.“

Vajda betonte, den Wunsch des ungarischen Volkes, jemanden zu haben, der die Lage erklärt, sagt was man machen muss, damit Sicherheit gegeben ist und die Welt berechenbar bleibt. Deswegen liebte man Franz Joseph, Miklós Horthy, János Kádár und jetzt auch Viktor Orbán.

Die Bevölkerung erlebte die Demokratie in den zwei Jahrzehnten nach der Wende, zum Teil zurecht als ein Durcheinander, denn dieses System ist – im Gegensatz zur Diktatur, wo es klar ist, wie man sich orientiert – komplexer. Aus seiner Niederlage 2002 zog Orbán die Konsequenz, dass man das Land nicht verwestlichen und modernisieren soll. Damit kam er an die Spitze von Kádárs Volk und führte das Land vom Liberalismus in die „christliche“ illiberale Demokratie.

Doch der einst schlanke Politiker ist behäbig geworden und macht in letzter Zeit den Eindruck, die sichere Orientierung verloren zu haben. Anfang Mai, ein paar Tage bevor das Video über Strache in Ibiza gezeigt wurde, empfing er in seinem Büro in der Burg, den damaligen österreichischen Vizekanzler und lobte Strache als jemanden, der sich gegen Europas „dekadentes politisches Feld“ auszeichnet. Die europäische Elite glaubt nicht an die Stärke führender Persönlichkeiten und sieht Gefahr in denen, die die Menschen inspirieren können, sagte Orbán.

In der Woche vor der Wahl hatte ein anonymer Blogger ein Video veröffentlicht, das Zsolt Borkai, den verheirateten Fidesz-Bürgermeister der Stadt Györ zeigt, wie er sich auf einer Yacht in der Adria mit Prostituierten vergnügt, trotzdem wurde Borkai in seiner Stadt zum Bürgermeister gewählt. Jedoch Fidesz ständige Berufung auf das Christentum hat sich als Heuchelei entpuppt, denn Borkai wurde erst nach der Wahl von Fidesz ausgeschlossen.

Orbán hat bei einem Treffen der Staatsführer von Turkvölkern in Baku – wo er Beobachter war – von einem dazu gehörenden ungarischen Stamm schwadroniert und machte sich so zur Lachnummer. Nicht komisch ist, – dass er in der EU als einziger – die türkische Intervention in Syrien rechtfertigt. Es entbehrt auch nicht der Pikanterie, dass in Budapest die türkische Stiftung Maarif eine Schule eröffnen soll. Denn deren Vizepräsident Osman Nuri Kabatepe war der Gründer der angeblichen Hilfsorganisation IHH, die enge Beziehungen zu islamistischen Terrororganisationen pflegt. Sie leugnen nicht ihren Extremismus, so trifft Bülent Yildirim, der Jurist dieser Organisation, regelmäßig Hamas-Anführer.

Ein Oppositionsblog hat Aussagen veröffentlicht, die man entweder dem Präsidenten des Parlaments László Kövér oder dem Anführer der Partei „Mi Hazánk“ (unsere Heimat), László Toroczkai zuschreiben konnte. Diese neue Partei ist eine Abspaltung von der ehemaligen rechtsextremen Partei Jobbik, die sich Richtung Mitte bewegte. Bekannte Antisemiten und Rassisten haben sich Mi Hazánk angeschlossen und erhalten in den regierungsnahen Medien eine Bühne. Von den 11 Aussagen gibt es vielleicht zwei die man Toroczkai, dem Gründer der revisionistischen Jugendbewegung 64 Komitate (von Großungarn) zuschreiben kann, ansonsten ist es schwer einen Unterschied zu machen zwischen dem Fidesz Urgestein Kövér und dem Rechtsextremisten Toroczkai.

Am Nachmittag des Nationalfeiertags, der an den von linken Studenten und Intellektuellen geführten Aufstand am 23. Oktober 1956 gegen die stalinistische Diktatur erinnern soll, griffen ca. 60 schwarz gekleidete Rassisten, das vom jüdischen Verein „Marom“ gegründete alternative Kulturzentrum Aurora im VIII. Budapester Bezirk an. Sie rissen die Regenbogenfahne des Pride herunter und verbrannten diese. Am Abend marschierte die 2018 gegründete Legion Hungaria mit anderen Rechtsextremisten – geschützt von der Polizei – am Budapester Ring und skandierte ihre Parolen. Die Polizei startete eine Untersuchung „gegen Unbekannte“, obwohl die Anführer polizeibekannt sind.

Orbán hat oft genug „Null Toleranz gegenüber dem Antisemitismus“ versprochen und Aufmärsche von Rechtsextremisten im Zentrum von Budapest konnten während der letzten Jahre nicht stattfinden. Man wird sehen, ob die Polizei die Täter finden und weitere Aufmärsche verhindern wird.