Kriege und Bürgerkriege weltweit veranlassen Menschen ihrer Heimat den Rücken zu kehren und in Europa sowie anderswo Zuflucht zu suchen. Viele der nach Deutschland Geflüchteten haben traumatische Erlebnisse hinter sich, die u.a. durch die Unsicherheit über den Aufenthaltsstatus noch verschlimmert werden. Auf privater Basis entstand 2017 ein Helferkreis, der traumatisierten Flüchtlingen im Großraum München professionelle Hilfe anbietet. Eine geregelte Unterstützung durch Staat und Gesellschaft wäre die Voraussetzung für den Fortbestand eines Programmes, das bereits zahlreichen Geflüchteten geholfen hat, ihr Leben in den Griff zu bekommen und damit die Integration zu erleichtern…
Von Robert Schlickewitz
Die „chronischen“ Kriegs- und Krisenregionen sind bekannt: Afghanistan, Syrien sowie die Bürgerkriegsländer Afrikas.
Ein Blick auf Afghanistan soll zeigen, welche Zustände es sind, denen Menschen zu entfliehen suchen. Zunächst waren es die Sowjets, die jahrelang ihr Möglichstes taten, sich das mittelasiatische Land mit Waffengewalt untertan zu machen, vergeblich. Anschließend rückte der Westen mit seinen nicht minder kriegerischen Befriedungsversuchen nach. Resultat: Afghanistan gilt heute als eines der minenverseuchtesten Länder der Welt. In seinem Boden schlummern mehr als 10 Millionen kleiner, tödlicher Sprengkörper, die alljährlich mehr als 1200 Afghanen das Leben kosten und ungezählte weitere zu Krüppeln machen. Selbstmordattentäter, die in unschöner Regelmäßigkeit nicht nur ihre, sondern auch die Existenz vieler weiterer Menschen gewaltsam beenden sowie Feuerüberfälle sich gegenseitig bekämpfender Banden tragen zusätzlich dazu bei, dass Menschen in ihrer Heimat keine Bleibeperspektive mehr sehen.
Es ist unter den geschilderten Umständen nicht verwunderlich, wenn zumeist junge Männer, sie haben die größten Chancen durchzukommen, viel Geld für eine Flucht auftreiben, um eine ungewisse Odyssee in Richtung erhofften Frieden, Freiheit und Wohlstand anzutreten.
Über die Flucht auf unzureichend seetüchtigen Kähnen sowie die Opfer, die die Überfahrt nahezu täglich fordert, berichten die Medien so häufig, dass sie hierfür bereits feste Rubriken einrichten könnten. Auf diejenigen, die es, allen widrigen Umständen zum Trotz, dennoch geschafft haben, warten in Griechenland, Italien, Frankreich oder Spanien ebenso ernüchternde wie demoralisierende Wartezeiten in Zwischenlagern.
Manchmal vergehen Monate oder sogar Jahre, ehe sich für Geflüchtete die Tore öffnen, ehe sich ein Transport in Bewegung setzt, ehe sie schließlich erstmals ihren Fuß auf deutschen Boden setzen können.
Die große Hoffnung auf ein normales Leben, eine sichere Anstellung und, damit verbunden, die Aussicht auf eine Form von Normalität, erfährt aber prompt einen erneuten Dämpfer, denn auch im gelobten Deutschland erwarten die Geflüchteten lediglich Massenunterkünfte, Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie das, ebenso wohlbekannte wie verhasste, Warten. Wer auch noch das Pech hatte, in Bayern gelandet zu sein, muss sich an ein nasskaltes, von ständigen Luftdruckgegensätzen gepeinigtes, ungesundes Klima gewöhnen. Schmerzlicher noch schlägt allerdings eine Aufnahmegesellschaft zu Buche, für die das Wort „Gastfreundschaft“ in vielen Fällen lediglich einen exotischen Begriff darstellt. Denn bereits ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft wird den Neuankömmlingen klargemacht, dass sie doch eigentlich unerwünscht sind. Ob am Umgangston vieler Grenzpolizisten, mancher Passbeamter, oder des Unterkunftpersonals, ob an den unmissverständlichen Botschaften, die die abweisenden Blicke von Anwohnern der Lager aussenden, ob an der offensichtlich nur zögerlich erteilten Arbeitserlaubnis, ob am endlos empfundenen Warten, ob an der Verurteilung zum Nichtstun – an vielen Indikatoren machen Geflüchtete für sich fest, dass sie für die Mehrheitsgesellschaft keinen besonderen Wert darstellen.
Vor allem das Warten macht mürbe. Oft hat eine Familie ihre gesamten Ersparnisse in die Flucht des Sohnes, Neffen, oder Enkels gesteckt, in der Erwartung, dass dieser möglichst rasch eine gute Stelle im „gelobten Merkelland“ antrete und dann regelmäßig Geldbeträge an die Verwandten daheim übersende. Aber ohne Arbeitserlaubnis (und womöglich noch ohne Ausbildung) gibt es in der neuen Umgebung auch keine Aussicht auf einen Job.
Wer unter labiler Gesundheit leidet oder, aufgrund von deprimierenden Fluchtumständen, mental angeschlagen ist, hat es doppelt schwer, mit seiner Situation als Geflüchteter in Deutschland zurecht zu kommen. Nicht eben wenige werden daher drogen- oder alkoholabhängig, oder bauen die angehäufte Spannung durch Gewalt gegen sich oder andere ab. Fälle von selbstdestruktivem Verhalten oder Suizid kommen immer wieder vor.
Traumatische Erlebnisse in den Kriegsgebieten, wie der gewaltsame Tod von Angehörigen, oder dramatische Ereignisse während der Flucht, etwa in Gestalt des Untergangs des Bootes, oder das Erleben von extremer, körperlicher Gewalt hinterlassen tiefe Spuren.
Gewiss muss man dem Aufnahmeland dankbar sein, schließlich bekommt man zumindest eine geheizte Unterkunft, genügend Verpflegung, vielleicht auch ein Taschengeld gestellt, aber dies alles erscheint drittrangig gegenüber den tiefen Narben die Krieg und Flucht an einem hinterlassen haben, gegenüber den Unsicherheiten um den eigenen Status und gegenüber der Tatenlosigkeit zu der man als Asylbewerber verurteilt erscheint.
Gewiss hegte man anfangs die Erwartung, alles würde besser, nachdem man erst genügend Deutsch gelernt haben würde. Man besuchte deshalb auch regelmäßig, den angebotenen Sprachunterricht. Später freilich musste man einsehen, dass sich nichts änderte. Ganz dementsprechend nahmen physische und psychische Leiden unter den jungen Männern zu.
Der angestaute Frust führte, und führt, leider nicht selten zu Gewaltausbrüchen bzw. zu psychisch auffälligem Verhalten, das von den Betreuern bzw. vom Wachpersonal der Lager aufmerksam registriert und umgehend gemeldet wird. Als eine Reaktion darauf entstanden Zentren, in denen ausschließlich „Problemfälle aus dem Flüchtlingsbereich“ konzentriert werden. Eines dieser Zentren befindet sich im Münchner Südosten, in einer ehemaligen Kaserne. Erfreulicherweise bleiben hier die Türen und Tore meist geöffnet, keiner der jungen Männer wird zum Bleiben gezwungen. Die Zimmer sind fast gemütlich, ja individuell, eingerichtet, und mit vier bis sechs Flüchtlingen pro Raum belegt. Als „Wärter“ fungieren Familienväter in ihren Fünfzigern, jeweils mit pädagogischer oder schulpsychologischer Ausbildung. Salopp gekleidet, in Jeans oder Trainingsanzug, sind sie 24 Stunden über für ihre Klienten-Patienten erreichbar.
Zu ihren Aufgaben zählt es, u.a., regelmäßig Psychopharmaka zu verabreichen – leichte, mittelschwere oder ganz schwere. Das wirkt. Auseinandersetzungen oder gar Gewaltausbrüche kommen hier so gut wie nie vor. Der Umgang zwischen den Jungs, aber auch der zwischen den „Wärtern“ und den Jungs, ist freundschaftlich, soweit man das unter diesen, synthetisch gedämpften, Bedingungen sagen kann.
Die eigentlich für diese Menschen benötigten Psychotherapeuten oder Psychologen kann (oder will) sich unser Land nicht leisten. Genauso wenig übrigens wie für die eigenen Bürger in vergleichbarer (psychisch labiler) Situation – wie ehrlichkeitshalber hinzugefügt werden muss.
Die Politik der Bundesrepublik ist an „nützlichen“ Asylbewerbern interessiert, zum Beispiel an Facharbeitern, denn die fehlen dem Land noch auf Jahre hinaus. Zugleich sollen sich Geflüchtete oder Eingewanderte möglichst rasch integrieren und so wenig wie möglich zusätzliche Kosten verursachen. Denn in einer arbeitsorientierten, auf beständiges Wachstum hin getrimmten, Gesellschaft, wie der deutschen, sind Menschen zugleich auch Kostenfaktoren, deren „Wert“ sich für die herrschende Politik, ebenso wie für weite Teile der Gesellschaft, nach dem Kosten-Nutzen-Gesetz bemisst.
Generell gilt in Deutschland Mittel für Geflüchtete aufzuwenden als unpopulär. Allzu rasch meldet sich nämlich der Neid derer, die selbst gerne mehr hätten oder die Missgunst jener, die bereits genügend haben, es anderen aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht gönnen wollen.
Geflüchtete haben, so die weithin geteilte Bürgermeinung, in erster Linie dankbar zu sein und sie dürfen keine „Probleme“ bereiten. Falls doch, wie in der Vergangenheit bedauerlicherweise geschehen, fallen sehr rasch Forderungen nach härteren Gesetzen, haben panik- und hassschürende Wortneuschöpfungen wie „Asylantenströme“, „Asyltourismus“, „Asyl-Mafia“ (1) etc. Konjunktur und werden Rufe nach „vermehrten“ Abschiebungen laut (2). Besonders sogenannte „christliche“, tatsächlich jedoch populistisch agierende, Politiker bedienen vorzugsweise nach diesem Muster ihre abgestumpfte Wählerschaft.
Erfreulicherweise gibt es in diesem Land aber noch jene anderen, unter ihnen auch Politiker, die christlich – im Sinne von, das Gebot der Nächstenliebe (3) selbst und direkt umsetzend – handeln.
So nahmen sich Privatpersonen einzelner Geflüchteter an und versorgten diese, je nach Bedarf, mit medizinischer Hilfe, Wohnraum, Rechtsbeistand oder auch Jobs, oder sie ermöglichten den Neubürgern („in spe“) einfach nur den Zugang zur deutschen Gesellschaft.
Jedoch schrumpfen die Helferkreise gegenwärtig, denn immer mehr Freiwillige gewinnen den Eindruck, dass sie allein gelassen werden.
Besonders die Politik profitierte sehr lange davon, dass so viele Privatleute in Vor- oder Alleinleistung gegangen waren, wobei gar nicht selten sogar auf eigene Ersparnisse zurückgegriffen wurde. Die Politik sah in den Helfern gerne die nützlichen Idioten, die dem Staat institutionelles Engagement bzw. Millionenbeträge ersparten, und zugleich ganz unbeabsichtigt, auch noch zur Imageverbesserung Deutschlands beitrugen. Es reichte dabei scheinbar vollkommen aus die Helfer mit ein paar Anerkennung verheißenden Floskeln zu umschmeicheln, an Lohnes statt, sozusagen.
Einer der Helferkreise, der bereits einer beträchtlichen Anzahl von nach Deutschland Geflüchteten effektiv und nachhaltig hat Unterstützung zukommen lassen können, trägt den Namen TRIGG.
TRIGG nimmt sich Geflüchteter an, deren traumatische Erlebnisse zu psychischen Problemen geführt haben. Die Helfergruppe entstand 2017 in München und setzt sich aus sehr unterschiedlichen Privatleuten aus dem sozialen, medizinischen und künstlerisch-handwerklichen Milieu zusammen. TRIGG erhielt, nachdem das Konzept überzeugt hatte, eine Anschub-Finanzierung durch u.a. die Caritas und die Diakonie. Aus der praktischen TRIGG-Arbeit kristallisierten sich allmählich vier Hauptziele heraus:
Die unmittelbare Hilfe, die Anleitung zur Hilfe, die Hilfe zur Selbsthilfe und die Schaffung von Alternativen für diejenigen, die abgeschoben werden.
Die unmittelbare Hilfe erfolgt,
indem mit den Methoden der Traumapädagogik Klienten zunächst in Einzel- und später in Gruppensitzungen stabilisiert werden; mit anderen Worten die Symptome der Klienten nehmen ab und erleichtern damit deren Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft.
TRIGG leitet zu Hilfe an,
indem geeignete Personen in Seminaren an das TRIGG-Konzept herangeführt und, nach Absolvieren des Programms sowie weiterer Fortbildungsmaßnahmen, dazu befähigt werden, selbst entsprechende Hilfe zu leisten.
TRIGG leitet zu Selbsthilfe an,
indem Klienten darin unterwiesen werden untereinander Netzwerke (der gegenseitigen Hilfe) auf- oder auszubauen. Ehemalige Klienten können darüber hinaus die Befähigung zum Flüchtlingslotsen erwerben und wirken dann als Sprachmittler oder als Assistent an den therapeutischen Sitzungen mit.
Die Hilfe für Rückgeführte
soll in Zusammenarbeit mit einem Partner-Helferkreis, der in der afghanischen Hauptstadt Kabul ansässig ist, gewährleistet werden. Rückgeführten wird zumindest eine kleine Perspektive in ihrem Herkunftsland eröffnet. Diese angestrebte Kooperation befindet sich noch in der Erprobungsphase.
Bisher konnte TRIGG jungen Männern aus Afghanistan ein maßgeschneidertes, mehrfach bewährtes Programm anbieten. Im Aufbau befinden sich entsprechende Angebote für Menschen aus Eritrea sowie eine Gruppe für afrikanische Frauen. Die TRIGG-Klienten kommen zumeist aus Einrichtungen für Flüchtlinge in München sowie aus dem Raum Bad Tölz/Wolfratshausen. In der Regel setzen sich Betreuer von Geflüchteten mit gewissen Problemen mit TRIGG in Verbindung, worauf ein Kennenlerngespräch anberaumt wird. Diesem folgen zunächst mehrere Einzelsitzungen, ehe der Klient bereit ist für das eigentliche, das TRIGG-Gruppenprogramm.
Zu den TRIGG-Grundsätzen gehört, dass keiner abgewiesen wird, dass Toleranz stets im Vordergrund steht und dass für jede TRIGG-Gruppe die passenden, kompetenten Sprachmittler gewonnen werden, die die gemeinsame Arbeit begleiten und den Teilnehmern das Gefühl geben, stets richtig verstanden zu werden.
Am Ende eines Therapiezyklus‘ soll eine Gruppe für alle stehen, in der, über die Sprachbarrieren hinweg, Toleranz, Akzeptanz sowie gegenseitige Hilfestellung gelebt werden.
Die TRIGG-Begründer möchten mit ihrem vielfältigen Angebot ausdrücklich darauf hinweisen, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die weiterdenken und weiterhelfen, trotz bisweilen massiver Widerstände aus Gesellschaft und Politik.
In der sich in der Gründungsphase befindlichen GmbH „Interkulturelle Brücken“ fand TRIGG kürzlich einen möglichen Partner. Diese Gruppe war ursprünglich als eine Einrichtung allein für Eritreer gedacht gewesen, sie ist aber neuerdings entschlossen, sich allen Menschen, ungeachtet deren Herkunft, zu öffnen.
Abschließend bleibt festzustellen, dass das TRIGG-Programm inzwischen eine ganze Reihe von Interessenten gefunden hat, die sein Konzept kopieren und selbst anbieten wollen. Kooperationsgespräche hierzu auf mehreren Ebenen sind im Gange.
Weitere Informationen zu TRIGG unter:
Anmerkung:
Alle Gruppenleiter und Co-Gruppenleiter von TRIGG haben eine, oder mehrere, anerkannte therapeutische Zusatzausbildung(en) absolviert; in den TRIGG-Gruppen wird schwerpunktmäßig traumapädagogisch gearbeitet.
Fußnoten
(1) „Wir müssen endlich den Asyltourismus in Europa beenden“ (Markus Söder, CSU, Bayerischer Ministerpräsident)
„Es ist höchste Zeit, dass Italien auf unsere Kritik hört und besser gegen den Asyltourismus vorgeht…“ (Joachim Herrmann, CSU, Bayerischer Innenminister)
„Asyltourismus der Regierung sofort stoppen!“ (Uwe Wurlitzer, AfD)
„Dem Asyltourismus nach Deutschland muss ein Ende bereitet werden!“ (Horst Seehofer, CSU, Bundesinnenminister)
(2) „Wenn Asylbewerber Gewaltdelikte begehen, müssen sie unser Land verlassen.“ (Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, im Januar 2019)
„Seehofer will Abschiebungen erleichtern“ (Faz.net, 13.12.2018)
„Ich kann nicht verstehen, wenn sowas (Abschiebungen von ‚Gefährdern‘ und ‚verurteilten Straftätern‘) kritisiert wird – und es ist vor allem nicht unchristlich.“ (Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, in einem Interview des Münchner Merkur, 20.7.2018)
(3) „Verflucht sei, wer das Recht des Fremdlings, der Waise und der Witwe beengt!“ (5. Moses 27/19)
„Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Land, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst…“ (3. Moses 19/33-34)
„So spricht der Herr: ‚Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Bedrückten… und bedrängt nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an und vergießt nicht unschuldiges Blut…“ (Jeremias, 22/3)
„… und ein jeder erweise seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit und tut nicht Unrecht den … Fremdlingen und Armen…“ (Sacharja, 7/10)
„Gutes tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“ (Hebräer 13/16)
„Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt! Den wird der Herr erretten in böser Zeit.“ (Psalm 41/2-3)