KZ Außenlager Allach: Würdig erinnern – aber wie?

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Das Kulturreferat München und die KZ-Gedenkstätte Dachau stellen Ideen für das Gelände um die erhaltene KZ-Baracke in der Wohnsiedlung Ludwigsfeld vor…

Von Eva von Steinburg
Erschienen in: Abendzeitung München am 8.6.2018

Erst als erwachsene Frau entdeckte die Münchnerin Anusch Thiel, an welchem befleckten Ort sie großgeworden ist – auf dem Areal des ehemaligen KZ-Außenlagers Allach. Nach dem Krieg waren fast alle Baracken abgerissen worden. Ab 1952 war der Lagerkomplex unter den neuen Häuserblocks der Wohnsiedlung Ludwigsfeld verdeckt. Die 70-jährige Frau Thiel wohnt hier immer noch. Sie sagt, was viele Ludwigsfelder denken: „Ich möchte, dass würdiger an die Geschichte erinnert wird.“

Bei der Suche nach einem Massengrab sind 2017 auf dem früheren KZ-Gelände Skelette von zwölf Menschen gefunden worden. Nun schreitet die Stadt München nach 73 Jahren zur Tat. Angemessen an das Außenlager des Dachauer KZs auf Münchner Stadtgebiet zu erinnern – aber wie?

Dazu haben die KZ-Gedenkstätte Dachau und das Münchner Kulturreferat eine Studie vorgestellt. „Was ist sinnvoll, wünschenswert, machbar?“, lauten die Fragen.

Vom großen Lager, in dem am 30. April 1945 bei der Befreiung durch die Amerikaner über 20 000 Menschen vegetierten, ist die Sanitärbaracke übrig. Das lange Gebäude steht unter Denkmalschutz. Zwei schlichte Tafeln erinnern hier an Tausende von Häftlingen, die für die Rüstungsproduktion von BMW im Lager Zwangsarbeit leisten mussten. Hunderte sind an den Folgen gestorben.

Vorne ist die denkmalgeschützte Baracke zu sehen, horizontal dazu die Kantine, ein Nachkriegsbau. Links davon liegen die neueren Wohnungen der Siedlung Ludwigsfeld. Rechts ist das Grabungsgelände zu sehen, auf dem die Skelette gefunden wurden, Foto: KZ-Gedenkstätte/Rainer Viertlböck

Am 6. Juni 2018 hat es erste Vorschläge zum Gedenkkonzept gegeben:

+ Kleinste Variante: ein Erinnerungsstein und eine Doku-Plattform auf dem ehemaligen KZ-Friedhof Karlsfeld (Fundort der Skelette), neben dem Fußballfeld des TSV Ludwigsfeld.

+ Mittlere Variante: eine Gedenkfläche von 700 Quadratmetern im Grün mit einer Info-Plattform. Gedenkort wäre hier die Wiese im Westen der Baracke. Zweimal im Jahr (zum Jahrestag der KZ-Befreiung am 30. April und am 9. November) finden nahe der großen Birke traditionell  die Erinnerungsfeiern statt.

+ Großzügige Variante: Ein Doku-Park um die Gebäude Granatstraße 8 und 10 herum: Möglich wäre eine parkähnliche Anlage, zwei Fußballfelder groß, mit Ausstellungstafeln. Dazu ist ein Gedenkstein am alten KZ-Friedhof beim Fußballfeld geplant.

Überlebende, deren Nachfahren, Schüler und Azubis von BMW sind Teil der Zielgruppe, erläutert Jochen Ramming von der Beraterfirma frankonzept aus Würzburg.  Laut seiner Machbarkeitsstudie könne man jedoch nicht mit mehr als 300 Besuchern im Jahr rechnen. Was viele Zuhörer bezweifeln. Denn die frühere KZ-Baracke ist denkmalgeschützt und wäre prädestiniert für ein Museum mit Begegnungsraum. „Warum soll die Baracke leer bleiben?“ Damit der neue Erinnerungsort wenig Pflege und Personal kostet, vermutet eine Besucherin.

Historiker Klaus Mai, der die Geschichte des Lagers recherchiert hat, regt an, auch Namen von Toten zu nennen: „Denn das war ein Ort des Schreckens.“ Außerdem forderte der Historiker, der für das Zustandekommen der archäologischen Grabung auf dem Gelände gekämpft hat: „Ich finde die Relikte der NS-Zeit sollten besser sichtbar gemacht werden. Es gibt noch Teile eines Bunkers.“

Kompliziert für die Planung des Erinnerungsortes sind die Eigentumsverhältnisse. Denn: Der Bund hat den ehemaligen KZ-Grund 2007 privatisiert. Der neue Käufer, die Münchner Hirmer Gruppe, will hier als Eigentümer Bauland für eine große Wohnsiedlung für Familien schaffen. Der Stadt München gehört nur der Fußballplatz des TSV Ludwigsfeld. Klaus Mai regt an: „Die Stadt sollte die denkmalgeschützte KZ-Baracke und die alte Kantine daneben erwerben – zur kulturellen und bürgerschaftlichen Nutzung. Es ist wichtig, dass dieser Ort auch belebt wird.“

Weitere Infos zur Zukunft des KZ-Außenlagers Allach unter www.muenchen.de/stadtgeschichte

Das meinen Experten und Menschen, die auf dem früheren KZ-Grund in München wohnen

Protokolle/Fotos: Eva von Steinburg
Erschienen in: Abendzeitung München am 8.6.2018

„Ein Schuh hat mich persönlich berührt“

Gabriele Hammermann

Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau: „Wir möchten einer breiten Öffentlichkeit vermitteln, wie eine angemessene Erinnerung an diesem Ort aussehen könnte. Bisher sind zwei Gedenktafeln das einzige Zeichen. Nach einer öffentlichen Diskussion wurden Grabungen eingeleitet und 2017 Überreste von 12 Häftlingen gefunden. Relikte aus dem Häftlingsalltag werden wir ab 2019 in Dachau ausstellen. Es geht uns um die Erfahrungen und das Leiden der Häftlinge. Ein Schuh hat mich persönlich berührt: Oben ist er ein Budapester Herrenschuh, den ein Häftling mit Notmaterial auf eine Holzplatte genagelt hat. So ein Beispiel gibt die schlimmen Lebensbedingungen im Lager wieder. Daran lässt sich viel erzählen. Auch die Verantwortung der Deutschen Industrie, die enge Kooperation vieler Unternehmen mit dem staatlichen Terrorapparat, wird an diesem Ort deutlich. Wir möchten mehr Aufmerksamkeit für das KZ Außenlager Dachau-Allach und seine Geschichte.“

„Von den Vorschlägen bin ich enttäuscht“

Irene Jazenko: „Seit 1952 wohne ich in der Siedlung Ludwigsfeld. Von den Vorschlägen der Studie bin ich enttäuscht. Das ist die Chance diesen historischen Ort zu beleben. Doch wer möchte sich schon zehn Info-Tafeln unter freiem Himmel anschauen? Wir Nachbarn in der Siedlung brauchen einen Raum, um uns zu treffen und zusammenzurücken. Ich denke, finanziell geht es um einen überschaubaren Betrag. Die Stadt hat leider auf das Vorkaufsrecht für unsere Siedlung verzichtet und 50 Jahre nichts für uns getan.“

„Ich weiß erst seit 1992 über das ehemalige KZ Bescheid“

Anusch Thiel: „Ich habe kein besseres Ergebnis erwartet. Wir Ludwigsfelder haben keine Lobby. Mein Bruder versucht seit den 70er Jahren mit dem Kulturverein „Kugel“ die Stadt München von der Notwendigkeit eines Zentrums in Ludwigsfeld zu überzeugen. Aber die Stadtverwaltung hat nie reagiert. Sie hat versucht zu verhindern, dass die Geschichte des KZ-Areals bekannter wird. Ich selbst weiß erst seit 1992 über das ehemalige KZ Bescheid, auf dem ich wohne.“

Irene Jazenko (65), Anusch und Johannes Thiel (70).

„Die Gedenkstätte für das grausame Lager kann nicht groß genug sein“

Johannes Thiel: „Auch BMW zeigt Bereitschaft sich in Ludwigsfeld zu beteiligen. Wir brauchen einen Bürgertreff. Andere Viertel haben eine Kirche und sechs Kneipen, wir haben sechs Kirchen und keine Kneipe, salopp ausgedrückt. Es gibt Kontakt zwischen dem Kulturreferat und den neuen Grundbesitzern in Ludwigsfeld, die große neue Wohnanlagen für Familien bauen möchten. Die Gedenkstätte für das grausame Lager kann nicht groß genug sein – trotz der wirtschaftlichen Interessen.“

Historiker Ludwig Eiber (72).

„Unter diesem Geländestreifen ist noch vieles verborgen“

Historiker Ludwig Eiber (72).Ludwig Eiber war bis 1984 Projektleiter für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau: „Der Doku-Park ist ein Muss. Das Lager Allach war der Prototyp eines Industrielagers, mit BMW zusammen gebaut. Es kann nicht sein, dass das hier Privatfläche bleibt. Unter diesem Geländestreifen ist noch vieles verborgen. Dass heute niemand hingeht ist kein Wunder: Es weiß ja auch kaum jemand in München vom KZ-Außenlager Dachau-Allach in der Wohnsiedlung Ludwigsfeld. Die Grabungsfunde, Alltagsgegenstände von Häftlingen, sollte man hier ausstellen. Das Haus der Kunst wird teuer saniert. Es sollte in der Stadt auch Geld übrig sein für Orte, die unangenehm sind. Es gibt die Neigung die Geschichte ein bisserl zu verschönern.“