Zum dichten, detailreichen Felix Mendelssohn Porträt von Peter Sühring…
Von Thomas Ziegner
Auf knapp hundert Seiten schafft es der Autor Peter Sühring, einen Gehaltreichtum zu vermitteln, für den andere mindestens den dreifachen Raum bräuchten: Resultat der jahrelangen Beschäftigung mit seinem Gegenstand, Felix Mendelssohn, dessen Werk und Rezeption. Dabei hält sich der Autor dankenswerter- und klugerweise nicht damit auf, die zahlreichen Verzerrungen und Verfälschungen zu referieren, die Mendelssohns Oeuvre schon im 19. Jahrhundert über die Nazizeit bis in unsere Tage zu erdulden hatte.
Sühring setzt sich souverän über die grassierenden Klischees wie „Oberflächlichkeit versus Tiefe“, „brillante Glätte versus gefühlsaufwühlende Expressivität“ hinweg, diskutiert knapp nur die wirklich diskutablen Positionen der musikwissenschaftlichen Literatur. Und kommt mit seinem Ansatz, eher wirklich genau die einzelnen Werke zu erforschen als ihnen eventuell vorschnell einen zu großen Allgemein-Begriffshut wie „Klassizismus“ aufzusetzen zu bedenkenswerten, im Idealfall ein neues Hören ermöglichenden Ergebnissen.
Mendelssohn ist nicht eigentlich konvertiert
Relativ ausführlich das Kapitel „Mendelssohn und das Judentum: Von einer Konversion zu sprechen ist unsinnig, weil sie etwas voraussetzt, von dem aus konvertiert wird. Aber, so Sühring, Felix und seine Geschwister genossen vor ihrer Taufe keine religiöse Erziehung, aßen nicht koscher; Felix wurde nicht beschnitten. Sein Vater Abraham, Sohn des Philosophen und jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn, war Agnostiker. Die nach der Taufe einsetzende religiöse Unterrichtung erfolgte „auch nicht pauschal im Geiste des ‚Protestantismus‘, sondern nicht zufällig im evangelisch-reformierten Bekenntnis, jener damals noch nicht unierten Richtung. In dieser hatte das Alte Testament eine besonders hervorgehobene Stellung (…), was für den Charakter von Mendelssohns geistlicher Musik nicht ohne Folgen bleiben sollte.“ (S.54).
Bündig sind zuvor die Thesen formuliert, die dann begründet werden: „Man könnte Mendelssohns Stellung zum Judentum unter das Motto stellen: Über den Umweg des Christentums zurück zum mosaischen Glauben der Großeltern, allerdings nicht im Sinne eines ausschließlichen Bekenntnisses, sonder einer respektvollen Zuneigung“. (S.50 f) Schon im Titel verzichtet der Autor daher auf den üblichen Taufnamen „Bartholdy“.
Nicht nur für Kenner und Liebhaber
In wohl Hunderten von Programmheften und CD-Booklets werden alljährlich nach wie vor die altbewährten Klischees über Mendelssohns Musik weiter tradiert. Deshalb wäre das kleine, gehaltvolle Büchlein nicht nur Kennern und Liebhabern zu empfehlen, die hier das erste chronologische Werkverzeichnis überhaupt finden sowie nützliche Literaturhinweise. Sondern auch Musikern und besonders Musikvermittlern, Chorleitern und Lehrern.
Sühring, Peter: Felix Mendelssohn. Der (un)vollendete Tonkünstler – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2018. – 98 S. (Jüdische Miniaturen ; 227), Euro 9,90, Bestellen?