„Das Volk ist mit dem Golan“ – mehr denn je

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golan - mount hosek

Am Mittwoch drang eine aus Syrien kommende Drohne in den israelischen Luftraum ein. Am Golan wurde Luftalarm ausgelöst und eine Patriot Abwehrrakete schoss die Drohne schließlich über dem See Genezareth ab. Die Grenze im Norden kommt nicht zur Ruhe. Dabei scheint die Zeit reif: Nach der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, verdichten sich Gerüchte über eine amerikanische Anerkennung der israelischen Souveränität über den Golan. Aber nicht nur deshalb erfährt das Hochplateau derzeit viel internationale Aufmerksamkeit…

Von Ralf Balke

Die Diskussion scheint voll entbrannt. „Warum sollte der Westen die Golanhöhen einem Psychopathen überlassen?“, fragten vor wenigen Tagen in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der israelischen Presse Ex-Verteidigungsminister Mosche Ya’alon sowie Yair Lapid, Vorsitzender der zentristischen Partei Yesh Atid. „Wir leben in einer komplexen Welt voller politischer Zwickmühlen“, schrieben sie. „Ausnahmsweise ist der Sachverhalt diesmal aber recht einfach: Macht es wirklich Sinn, die blühende Landschaft eines demokratischen Staates, in der rund 50.000 Menschen verschiedener Herkunft und Religion harmonisch zusammenleben, einer Diktatur zu überlassen, an deren Spitze einer der übelsten Massenmörder unserer Zeit lebt?“ Dass die Antwort mit einem „Nein“ nicht wirklich überraschend ausfällt, ist klar. Denn an eine Rückgabe des 1967 eroberten Hochplateaus an das bürgerkriegsgeplagte Syrien mit seinem Diktator Baschar al-Assad denkt in Israel derzeit wohl niemand ernsthaft. Deshalb rühren beide Politiker die Werbetrommel für eine internationale Anerkennung der Souveränität Israels über den Golan als nächsten Schritt. De facto gilt diese bereits seit einem Beschluss der Regierung von Menachem Begin aus dem Jahr 1981, auf dem rund 1.150 Quadratkilometer großem Landstrich offiziell die Gesetze und die Verwaltung Israels einzuführen. Diese Quasi-Annexion brachte damals die internationale Gemeinschaft auf die Barrikaden und in der UN-Resolution 497 vom 17. Dezember wurde dieser Schritt als null und nichtig erklärt. Das hätte man in Jerusalem gerne anders.

Nun gibt es einige weitere Gründe, die für eine Anerkennung des jetzigen Status quo sprechen: Der Golan hat nichts mit dem Kern des Nahostkonflikts – jedenfalls so, wie ihn die Welt sieht – zu tun. Kein einziger Palästinenser lebt dort. Sehr wohl aber über 25.000 Drusen, eine eigenständige Religionsgemeinschaft, die in Israel seit 1957 als eine solche auch anerkannt ist. Aber im Unterschied zu ihren Glaubensbrüdern auf dem Staatsgebiet von 1967 dienen sie nicht beim israelischen Militär. Das liegt daran, dass sie, abgesehen von wenigen Ausnahmen, das Angebot abgelehnt hatten, israelische Staatsbürger zu werden und weiterhin im Besitz syrischer Papiere sind. Zu groß war immer schon unter ihnen die Furcht, dass man im Falle einer erneuten syrischen Herrschaft über den Golan für seine israelischen Ausweispapiere in der Brieftasche einmal einen hohen Preis zahlen könnte. Denn um die Jahrtausendwende herum stand diese durchaus zur Debatte. Israel hatte seinerzeit die Bereitschaft signalisiert, das Gebiet an Syrien zurückzugeben – natürlich nur im Rahmen eines richtigen Friedensvertrags mit umfassenden Sicherheitsgarantien. Die israelischen Bewohner des Hochplateaus waren entsetzt. Überall im Land sah man damals an Fahrzeugen Sticker mit dem Solgan „HaAm im HaGolan“, zu deutsch: „Das Volk ist mit dem Golan“. In der israelischen Öffentlichkeit stießen sie damit auf sehr viel Zuspruch. Doch Damaskus bewegte sich keinen Zentimeter und zeigte den israelischen Avancen die kalte Schulter, weshalb das Thema Abzug vom Golan ganz schnell wieder in der Versenkung verschwand. Zum Glück geschah das so, sagen heute alle Israelis. Denn ansonsten würde auch auf dem strategisch wichtigen Hochplateau der Bürgerkrieg toben, was nicht nur für den Norden des Landes aus sicherheitspolitischer Perspektive zu einem Alptraum hätte werden können.

Und Syrien selbst hat diesen Landstrich nur für eine recht kurze Zeit kontrolliert, und zwar zwischen 1944, dem Jahr der Unabhängigkeit von Frankreich, und dem Ende des Sechs-Tage-Krieges von 1967. In dieser Phase betrachtete Damaskus den Golan vor allem als einen militärischen Vorposten und Abschussrampe, um von dort aus israelische Ortschaften immer wieder unter Feuer zu nehmen. Damit war nach 1967 Schluss. Zwar wagte im Yom-Kippur-Krieg von 1973 Syrien erneut einen Angriff auf den jüdischen Staat. Doch nach verlustreichen Gefechten gewannen die Israelis die Oberhand und drangen weit in das Reich von Hafiz al-Assad ein, dem Vater des jetzigen Potentaten. Und weil die Situation vor Ort weiterhin instabil blieb, kam auf amerikanische Vermittlung hin 1974 das Entflechtungsabkommen zwischen Syrien und Israel zustand. Seither überwachen Soldaten der United Nations Disengagement Observer Force, kurz UNDOF, eine 235 Quadratkilometer große Pufferzone, die sich vom Libanon im Norden bis nach Jordanien entlang zieht. Grenzen sind die sogenannte >Alpha-Linie< im Westen sowie die >Bravo-Linie< im Osten, erstere dürfen die Israelis nicht überschreiten, letztere nicht die Syrer. So weit, so gut.

Doch nun kursieren nicht nur in Israel Gerüchte darüber, dass sich in Sachen Anerkennung der israelischen Souveränität über den Golan in naher Zukunft wohl einiges ändern könnte. Denn nach der Entscheidung Washingtons, die Botschaft der Vereinigten Staaten nach Jerusalem zu verlegen und damit ihren Status als Hauptstadt Israels zu akzeptieren, könnte nun ein weiterer Schritt in die Wege geleitet werden. So hatte Mitte Mai der republikanische Abgeordnete Ron DeSantis einen entsprechenden Vorschlag gemacht und in einem Interview mit Sender Arutz Schewa das Hochplateau einen „integralen Bestandteil“ Israels bezeichnet. Zudem sei eine Kontrolle über den Golan für das Land von strategischer Bedeutung. „Angesichts des Bürgerkrieges in Syrien sowie die Ausdehnung des iranischen Einflusses in Syrien sollten die Vereinigten Staaten endlich die israelische Souveränität über die Golanhöhen anerkennen.“ Eine entsprechende Eingabe liegt bereits beim United States House Committee on Rule, das darüber das Sagen hat, was im Repräsentantenhaus zur Abstimmung auf die Tagesordnung gesetzt wird. Sollte dieses Gremium positiv entscheiden, könnte daraus ein Gesetz werden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass dies nun bald geschieht, halten manche Politiker in Israel für sehr hoch. So antwortete Geheimdienst- und Infrastrukturminister Israel Katz Ende Mai auf die Frage der Nachrichtenagentur Reuters, ob mit einer amerikanischen Entscheidung sogar noch 2018 gerechnet werden kann: „Ja, in mehr oder weniger ein paar Monaten.“ Kommentiert wurde die Äußerung von Katz in Washington jedoch nicht. „Jetzt ist eigentlich der richtige Zeitpunkt für einen solchen Schritt gekommen“, sagte er ferner. „Für Teheran jedenfalls wäre es eine sehr unangenehme Nachricht.“ Denn eigentlich geht es in der ganzen Debatte um nichts anderes als den Iran und dessen Bestreben, weiter in Syrien militärisch Fuß zu fassen – und damit auch unmittelbar an der Grenze zu Israel. Jerusalem hatte bereits mehrfach erklärt, genau dieses nicht dulden zu wollen. Schließlich droht Teheran seit Jahrzehnten mit der Vernichtung des jüdischen Staates. Nur macht es einen Unterschied, ob die iranischen Revolutionsgarden hunderte Kilometer entfernt stehen oder direkt vor der eigenen Haustür. Die Hizbollah als Marionette der Mullahs reicht den israelischen Militärs bereits in unmittelbarer Nähe. Zudem kam es schon im Mai zu einem Beschuss des Golans. Israel reagierte mit Angriffen auf die militärische Infrastruktur der Iraner in Syrien. „Die internationale Anerkennung der israelischen Souveränität über den Golan wäre nicht nur im Interesse Israels selbst“, erklärte deshalb schon vor Monaten Zvi Hauser, ehemals Berater von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, in der Zeitung Haaretz. „Auf diese Weise ließe sich auch dem iranischen Expansionsbestreben ein Riegel vorsetzen.“ Und die UN-Truppen in der alten Pufferzone taugen nichts, um ein Minimum an Sicherheit zu gewährleisten. Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 produzieren sie nur Negativschlagzeilen – entweder, weil dschihadistische Gruppen, die sich unmittelbar am Golan festgesetzt hatten, Blauhelm-Soldaten entführten, oder sie dem Eindringen syrischer Truppen in der Pufferzone keinerlei Einhalt gebieten konnten.

Sollten die Vereinigten Staaten den Golan also wirklich als israelisches Territorium anerkennen, wird das in Teilen der arabischen Welt sicherlich für einigen Unmut sorgen. Doch die Choreographie dürfte ähnlich ausfallen wie nach der Ankündigung, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen: Viel lautes Entsetzen und Kritik, aber keinerlei konkrete Reaktionen. Schließlich gibt es andere Themen, die auf der Tagesordnung stehen, und die Einschätzung des Irans als Bedrohung teilen die meisten sunnitischen arabischen Staatschefs. „Natürlich würde Präsident Recep Tayyip Erdogan wieder zu Demonstrationen gegen Israel aufrufen“, brachte es der Kolumnist Zev Chafetz, der seinerzeit Menachem Begin bei seinen Friedensverhandlungen mit Ägypten begleitet hatte, bei Bloomberg auf den Punkt. „Aber die Auswirkungen dürften minimal sein. Außerdem hasst Erdogan Assad noch mehr als Israel.“ Und auch die Europäer würden den Ball flach halten, schließlich geht es nicht um Siedlungen im Westjordanland und einen palästinensischen Staat. Für sie ist der Golan nur ein Nebenkriegsschauplatz auf dem internationalen Parkett. „Und weil die Devise von Präsident Donald Trump lautet, die Realitäten zu betrachten, wie sie sind, würde eine Anerkennung der israelischen Souveränität unter die gleiche Kategorie fallen wie einst Jerusalem.“ Aber auch Israel muss seinen Beitrag leisten. „Wenn man wirklich will, dass die Vereinigten Staaten und andere Länder die israelische Souveränität über den Golan anerkennen, dann sollte man diesen Landstrich auch entsprechend behandeln“, war kürzlich dazu in der Jerusalem Post zu lesen. „Und zwar in dem die Verantwortlichen alles unternehmen, um mehr Israelis zum Umzug dorthin zu motivieren. Dafür bedarf es massiver Investitionen in die Infrastruktur.“ Und damit sieht es auch im Jahre 51 der israelischen Herrschaft etwas mau aus.

Bild oben: Blick vom Berg Hosek nach Syrien, (c) Shlomo

5 Kommentare

  1. @ ente
    Was genau ist an der Verlegung der US-Botschaft „problematisch“? Es scheint mir mehr als sinnvoll, wenn demokratische Kräfte das Gesetz des Handelns wieder in eigene Hände nehmen und nicht warten, was Vertreter von palästinensischen Terrororganisationen dazu meinen.

    • Wie peinlich ist das denn!

      aus diesem Beitrag „noch weniger problematisch“ herauszuziehen und problematisch zu machen, gleichzeitig zu vergessen, daß 1950 Jerusalem Hauptstadt Israels wurde, zu vergessen, daß es 68 Jahre dauerte bis die erste Botschaft erschien und es wohl noch ein bißchen Zeit bedarf, bis die Mehrzahl nachzieht.

      Erinnert doch ein bißchen an die begeisterte Zerstörung der Sprache, Argumentation und besonders Wissen durch FOX und Chef!

      („Noch weniger problematisch“ bedeutet durchaus für Wissende ab dem dritten Schuljahr, daß das Vorhergehende wenig problematisch war, da ziehe ich mir den Schuh an und bin der Meinung, daß es durchaus seine Schwierigkeiten hatte)

  2. Ausnahmsweise mal völlig konform.

    Na ja, vielleicht mit kleinen Einschränkungen.

    Obwohl es wahrscheinlich interessant wäre, wie sich Syrien und Libanon über die Schebaa Farmen einigen würden, halte ich persönlich eine Anerkennung der Annexion des Golan-Gebietes für noch weniger problematisch als die Verlegung der US-Botschaft.

    Die große Frage ist jedoch, was dann folgen wird. Gehe stark davon aus, daß nach den mid-term Wahlen der Preis bezahlt werden muß. Man möge nicht glauben, daß der ständig nach hinten geschobene Friedensvorschlag der USA nicht vorhanden ist. Nach zwei öffentlichkeitswirksamen Entscheidungen, sehe ich massive Forderungen kommen. Vielleicht hilft es ja wirklich!

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