„Ich kann Dir schlecht sagen, wie viel ich Dir verdanke“

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Hannah Arendts Briefwechsel mit fünf Freundinnen zeigen interessante Facetten der Philosophin…

Von Georg Patzer

Eine scharf Denkende war sie, ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Hatte eine Affäre mit ihrem Philosophieprofessor, der sich später, in seiner Rektoratsrede 1933 über die Herrschaft der Nationalsozialisten freute, während sie, seine Geliebte, wie viele seiner Kollegen flüchten musste. Sie ging nach Frankreich, flüchtete aus dem Internierungslager Gurs nach Amerika. Sie kritisierte die Gründung des Staates Israel, legte sich deswegen auch mit alten Freunden an. Besuchte das Nachkriegsdeutschland, das sie wegen der vielen frei herumlaufenden und wieder in Amt und Würden befindlichen Altnazis verabscheute. Besuchte für die Zeitschrift „New Yorker“ den Prozess gegen Eichmann in Jerusalem, wo sie an ihm die „Banalität des Bösen“ entdeckte – ein Wort, das oft missverstanden wurde und wird. Schrieb grundlegende Werke der politischen Philosophie, „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) oder „Vita activa“ (1958) – beide übrigens zuerst auf Englisch. Hannah Arendt war eine Philosophin, die sich einmischte, unabhängig dachte, und keine Probleme damit hatte, sich  zwischen Stühle zu setzen.

In loser Folge erscheinen seit über zwanzig Jahren ihre Briefwechsel mit Mary McCarthy, ihrem ersten Mann Günther Anders, ihrem zweiten Heinrich Blücher, Hermann Broch, Karl Jaspers, Martin Heidegger, Uwe Johnson und etlichen anderen. Mit vielen Intellektuellen war sie ihr Leben lang befreundet oder bekannt, viele schätzten ihre Arbeiten oder rieben sich auf produktive Weise an ihnen. Eine schöne Ergänzung ist der jetzt publizierte Briefwechsel mit fünf sehr unterschiedlichen Freundinnen. Unterschiedlich nicht nur von den Temperamenten, Charakteren und dem Grad der Freundschaft, sondern auch von dem, was in den Briefen erzählt und geschrieben wird. Leider sind viele Briefe von Hanna Arendt nicht überliefert. Ihre Handschrift war fast unleserlich, und so hat sie viele Briefe mit der Maschine geschrieben, leider hat sie von vielen keine Durchschläge aufbewahrt.

Ihre wohl intimste Freundin unter den fünfen war Hilde Fränkel. Viel ist über sie leider nicht bekannt: Die beiden Frauen haben sich Anfang der 30er Jahre in Frankfurt an der Universität kennengelernt, wo Fränkel mit den Mitgliedern des Instituts für Sozialforschung Kontakt hatte, sie kannte Horkheimer, Adorno und den Theologen Paul Tillich, mit dem sie eine Liebesbeziehung hatte. Wahrscheinlich über Argentinien floh sie nach New York, wo sie Arendt und Tillich Anfang 1940 wiedertraf. Mit dem verheirateten Tillich, den sie in den Briefen immer „den Meinen“ nannte, ging die Liebesgeschichte weiter, und als seine Mitarbeiterin transkribierte sie seine Manuskripte. Aber nicht darum ging es im Briefwechsel. Denn auch mit Arendt verband sie eine Art Liebesgeschichte. Welcher Art genau, ist nicht klar. Einmal schreibt Arendt: „Ich kann Dir schlecht sagen, wie viel ich Dir verdanke; nicht nur an Aufgelockertheit, welche aus der Intimität mit einer Frau, so wie ich sie nie gekannt habe, kommt, sondern an unverlierbarem Glück der Nähe“ und meint: „wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen“. Sie schickt ihr rote Rosen, und als Fränkel an Krebs stirbt, sitzt sie tagelang an ihrem Sterbebett, abwechselnd mit Tillich. Fränkel war für sie „erotisch genial veranlagt“. Es sind sehr private Briefe, die die beiden tauschen, auch wenn es immer wieder um Deutschland und die Politik ging – natürlich auch um Tillich, der nach Deutschland zurückwollte, was beide zu verhindern suchten.

Solch ein tiefgehend persönlicher Austausch ist in diesem Buch aber die Ausnahme: Obwohl Anne Mendelsohn eine Jugendfreundin Arendts war, tauschten sie sich mehr über Politisches aus, denn Mendelsohn engagierte sich nach dem Krieg in der europäischen Politik. Zudem hat die „beste Freundin“ Arendt eine Sammlung von Rahel-Varnhagen-Büchern geschenkt, als diese mit ihren post-doktoralen Forschungen über „das Problem der deutsch-jüdischen Assimilation, exemplifiziert an dem Leben der Rahel Varnhagen“ beginnt. Charlotte Beradt, die später als Schriftstellerin und Journalistin berühmt wurde, hatte eine Liebesbeziehung zu Arendts Mann Heinrich Blücher – die in den Briefen nie thematisiert wurde. Sie sammelte Zeitungsausschnitte über Arendt und besorgte einige der ersten Übersetzungen ihrer Bücher. Rose Feitelson half Arendt vor allem, den englischen Text von „Origins oft Totalitarianism“ und „Human Condition“ zu schreiben. Das war wichtig, weil bei Arendt Sprache und Inhalt sehr stark voneinander abhängig waren und einander bedingten, und das Englische konnte sie nicht so spielerisch und assoziativ einsetzen wie das Deutsche, während Feitelson eine starke literarische Begabung hatte. Wichtig war auch während der McCarthy-Ära ihre politische Unabhängigkeit und die treffsichere Charakterisierung der New Yorker Intellektuellen, von denen sich nicht wenige als Opportunisten entpuppten. Und sie war eine wichtige jüdische Freundin, die sie später regelmäßig zu den Sederfeiern eingeladen hat, Arendt hat sie immer angenommen. Und Helene Wolff war vor allem die Verlegerin, für die Arendt schrieb, für die sie Ausgaben u.a. von Walter Benjamin herausgab, durch die er in den USA bekannt wurde, und Karl Jaspers, einem alten Freund Arendts, dessen „The Great Philosophers“ 1962 erschienen.

Viele Facetten einer faszinierenden Frau lernt man hier kennen: wie sie Freundschaften auf verschiedenen Ebenen führen konnte, die oft mit einer gewissen Zärtlichkeit einher gingen (so nennt sie Anne Weil „Mon Cher Petit“), aber auch Auseinandersetzungen nicht scheute, und oft vom Privaten ins Politische und zurück changierte. Die Kommentare und Einführungen zum Band und den einzelnen Freundinnen sind sehr ausführlich und erhellend, manchmal aber auch ein wenig akademisch geschrieben und das Ganze fast mit Gewalt auf eine philosophische Ebene zerrend – was ganz unnötig ist.

Hannah Arendt: „Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen“. Briefwechsel mit den Freundinnen Charlotte Beradt, Rose Feitelson, Hilde Fränkel, Anne Weil und Helen Wolff. Hrsg. v. Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, Piper Verlag 2017, 688 S., 38 Euro, Bestellen?