„Gesetzesänderung darf nicht zur Geschichtsverzerrung führen“

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Das polnische Parlament hat am 26.1.2018 einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der künftig unter anderem die Bezeichnung „polnische Todeslager“ für die Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten im von Deutschland besetzten Polen unter Strafe stellt…

Dazu Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern: „Es besteht kein Zweifel, dass die Mordfabriken der Nazis deutsche Todeslager waren und nicht polnische. Aber das neue Gesetz und die dahinter stehende Idee, den ‚guten Ruf‘ Polens zu schützen, darf nicht dazu führen, die belegten Narrative zu verfälschen und zu verharmlosen.“

„Denn es ist ebenso unzweifelhaft“, so Knobloch, Commissioner for Holocaust Memory des World Jewish Congress, „dass der Antisemitismus in Polen bereits vor dem Angriff der Wehrmacht im Jahr 1939 für die Juden in Polen ein gefährliches Ausmaß hatte“.

Knobloch: „Die nationalistische Regierung erließ antijüdisch diskriminierende Regelungen. Die jüdischen Bürger Polens waren Angriffen und Pogromen ihrer Landsleute hilflos ausgeliefert. Der nationalsozialistische Antisemitismus fiel also nach dem deutschen Überfall auf Polen dort auf sehr fruchtbaren Boden. Die Nazis fanden in der polnischen Bevölkerung willige Helfer und Vollstrecker. Das Gesetz darf nicht zu einer Geschichtspolitik führen, die dem nationalistischen Anliegen dient, Geschichte per Dekret umzudeuten.“

Knobloch verweist darauf, dass rund die Hälfte der sechs Millionen im Holocaust ermordeten europäischen Juden aus Polen stammte. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden betont: „Für die Aufarbeitung der Geschichte ist es wichtig, klar zu trennen und Fakten zu benennen. Begriffe und Termini schaffen Wahrheiten – auch falsche Wahrheiten. Daher hat das Gesetz seine Berechtigung, aber es darf keine Nebelkerze sein. Jeder Missbrauch muss im Keim erstickt werden. Und das scheint mir nicht ausreichend sichergestellt. Die Aspekte der polnischen Mitschuld dürfen nicht durch neuen Nationalismus geleugnet und vertuscht werden. Es muss möglich bleiben, die unbestreitbare Verstrickung polnischer Mitläufer und Täter im Holocaust aufzudecken, zu benennen und zu verurteilen. Genauso muss es möglich sein, die antijüdischen Pogrome anzuprangern, unter denen die jüdischen Heimkehrer nach 1945 in Polen zu leiden hatten.“

Bild oben: Auschwitz, Polen 1945. Eingang nach der Befreiung, Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA 3.0