Vielgestaltiger Einsatz

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Julie Grimmeisen über Frauenvorbilder in Israel 1948-1967…

Rezension von Susanne Benöhr-Laqueur

Im Mai 2016 publizierte der STERN unter dem Titel „Israelische Soldatinnen: Mädchen in Uniform“ eine Bilderserie mit sehr jungen, schönen und grazilen Frauen.[i] Der STERN schrieb, „dass beim Anblick israelischer Soldatinnen selbst den härtesten Israel-Kritikern der Schaum vorm Mund trocknen würde.“[ii] In der Tat zeigte die Fotoreportage – die offensichtlich mit wohlwollender Billigung der Israeli Defence Force (IDF) entstanden war – u.a. bildhübsche junge Frauen beim Aufknöpfen der Uniformbluse. Dieser Hang zum Voyeurismus ist nicht neu. Bereits in den 1950er Jahren wurden Fotografien publiziert, die Soldatinnen in Unterwäsche in ihren privaten Schlafräumen zeigten und so kollektive Einblicke in verbotene Räume ermöglichten und beim Betrachter Wohlgefallen und Lust erzeugen sollten (S. 297).[iii] Darüber hinaus konnte mit diesen Fotografien aber ebenso der emanzipatorische und fortschrittliche Ansatz eines Landes betont werden, indem auch Frauen verpflichtend zur Armee eingezogen wurden. Julie Grimmeisens Schlussfolgerung, dass israelische Soldatinnen bis heute im Ausland besonders dann wahrgenommen werden, wenn sie ihr Land nicht nur als modern, sondern auch als attraktiv und sexuell anziehend darstellen (S.371), ist daher uneingeschränkt zuzustimmen. Angesichts dessen fragt es sich, wie dieses weltweit vielbeachtete und von der IDF nach wie vor ganz gezielt eingesetzte Frauenbild entstanden ist.

Zwei Frauenmagazine im Vergleich: Dvar HaPoelet und LaIscha

Julie Grimmeisen analysiert in ihrem fast 400 Seiten umfassenden und bebilderten Werk das Frauenbild Israels in den Jahren 1948-1967. Zwei Frauenmagazine bilden die Grundlage für ihre Forschung. Zum einen Dvar HaPoelet und zum anderen LaIsha. Während es sich bei Dvar HaPoelet um eine monatlich erscheinende sozialistische Frauenzeitschrift handelte (S. 37), spricht die Wochenzeitung (S. 37) LaIscha nach wie vor eher ein bürgerliches, hausfrauliches und dem Schönheitskult verpflichtetes Publikum an. Nicht zuletzt die Durchführung der israelischen „Miss-Wahlen“ durch LaIscha führte zu einem herausragenden Erfolg des Frauenmagazins (S. 142).[iv] Dass beide Magazine ein unterschiedliches Frauenideal vermittelten, liegt in der Natur der Sache. Wer sich auf den Feldern Samarias stundenlang der Sonne aussetzte, wird kaum Verwendung für Nagellack, Lippenstift und Pumps gehabt haben. Dennoch vertritt Julie Grimmeisen die These, dass beide Frauenmagazine maßgeblich daran beteiligt waren, ein homogenes israelisches Frauenideal zwischen „Pionierinnen“ und „Schönheitsköniginnen“ zu entwerfen, welches bis zum heutigen Tage fortbesteht (S. 220, 367).

Von den Sümpfen Samarias…

Die israelische Pionierin Anfang des 20. Jahrhunderts charakterisiert Julie Grimmeisen als eine Art „Superfrau“(S. 125): Aschkenasischer Abstammung, völlig genügsam, arbeitsam bis an den Rand der physischen und psychischen Erschöpfung, mütterlich, stets um das Wohl des Kollektivs besorgt, welches notfalls auch höchstpersönlich mit Waffengewalt verteidigt wurde (S. 77, 91, 95, 99). In der Tat wäre die nationale Aufbauarbeit ohne die Chaluza weder vorstell- noch realisierbar gewesen. Diesen Frauentyp verkörperte nicht nur Henrietta Szold, als Gründerin der amerikanisch zionistischen Frauenorganisation Hadassah und Leiterin der Kinder- und Jugendalijah in Palästina (S. 112), Dvora Dajan (S. 122), Sara Maklin und Chana Chisik (S. 127), sondern auch Manja Schuchat, als Gründerin der HaSchomer (S. 127). Bereits an Manja Schuchats Rolle als Untergrundkämpferin und Leiterin einer militärischen Organisation, wird deutlich, dass die Rolle der Pionierin bei weitem nicht auf den kräftezehrenden Bereich der Landwirtschaft beschränkt war. Kämpfenden Frauen, wie die Pilotin Sohara Leviatov (S. 140), die Fallschirmjägerin und Untergrundagentin Chana Szenes (S. 140) sowie die Palmach-Kämpferin Bracha Fuld (S. 81) avancierten zu nationalen Ikonen. Damit einher ging ein schleichender Wandel im Hinblick auf die ideale israelische Weiblichkeit (S. 140) und so wurde mit Beginn der Staatsgründung der körperlichen Schönheit der israelischen Frau ein neuer zentraler nationaler Stellenwert eingeräumt.

…auf die Laufstege der westlichen Welt

Angesichts der prekären wirtschaftlichen und politischen Lage Israels Anfang der 1950er Jahre, stieß die Wahl einer „Miss Israel“ durchaus auf harsche Kritik (S. 151). Wie Julie Grimmeisen darlegt, befürchtete Dvar HaPoelet einen Verrat an den zahlreichen Pionierinnen, die aufgrund der harten körperlichen Arbeit nicht in der Lage waren elegant über den Laufsteg zu schweben (S. 180). Andere monierten – zu Recht – einen Kommerzialisierungseffekt. Dessen ungeachtet kürte LaIscha ab dem Jahre 1950 „Miss Israel“ mit zunehmendem Erfolg (S. 142). Mehr noch, die Wahl zur „Miss Israel“ wurde zum nationalen und internationalem Politikum. Auf nationaler Ebene wurde erfolgreich ein neues Frauenbild erschaffen, das bei weitem nicht nur darin bestand einen makellosen, jugendlichen und durchtrainierten Körper vorzuführen (S. 178, 187). Vielmehr versprach Schönheit glänzende Aussichten auf dem Heiratsmarkt und damit eine gesicherte Zukunft (S. 208). Somit obsiegte das westlich tradierte bürgerlichen Rollenverständnis, dem sich die Chaluza über Jahrzehnte hinweg als ein erfolgreiches Gegenmodell präsentiert hatte. Andererseits wurden Pionierinnen-Elemente – wie Julie Grimmeisen herausarbeitet – in das neue Frauenbild kunstvoll implementiert. Dazu gehörte nicht nur Sportlichkeit (S. 187), Fremdsprachenkenntnisse (S. 189), verbale Schlagfertigkeit (S. 169) und die Bereitschaft der Nation als Krankenschwester, Kindergärtnerin, Hebräischlehrerin oder Soldatin zu dienen (S. 173), vielmehr konnte durch die Nominierung von Holocaustüberlebenden (S. 283), Sefardinnen ( S. 192) bzw. Landestöchtern aus Aschkenasisch-Sefardischen Verbindungen (S. 192) Pluralität in der heterogenen israelischen Gesellschaft demonstriert werden.

Gleichfalls nicht zu unterschätzen war der Effekt, den „Miss Israel“ auf den Laufstegen der westlichen Welt auslöste. Neben dem Überraschungseffekt, dass eine derart junge Nation bereits die wirtschaftlichen und organisatorischen Ressourcen besaß, eine „Miss-Wahl“ durchzuführen, konnte „Miss Israel“ jederzeit als Friedenssymbol eingesetzt werden, so etwa im Juli 1956 als kurz vor der Eskalation der Suez-Krise Sara Tal, als amtierende„Miss Israel“ vor dem internationalem Publikum der Wahl zur „Miss Universum“ eine Friedensbotschaft verkündete. LaIscha war mit ihrem Auftreten hochzufrieden:

„Sie holte das Beste aus dem Thema Heimat und Frieden heraus. Sie bewegte alle Anwesenden und auch die Millionen Zuschauer in der Ferne zutiefst. Am Ende ihrer Rede umringten sie Bewunderer von allen Seiten.“ (S. 323).

Somit wurde „nationale Schönheit“ zu einer nicht zu unterschätzenden diplomatischen und politischen Waffe. Besonders deutlich wir dies an den Beziehungen zu den deutschen Schönheitsköniginnen. Wie Julie Grimmeisen darlegt, sparte LaIscha Anfang der 1950er Jahre nicht mit höhnischen und verächtlichen Bemerkungen in Richtung der deutschen Kandidatinnen (S. 324 ff). Erst 1956 mit der Wahl von Petra Schürmann zur „Miss World“ entspannte sich die Situation – wohl nicht zuletzt weil Petra Schürmann „ihr persönliches Bedauern über die Geschehnisse zwischen Nazis und Juden“ (S. 326) äußerte und großes Interesse am Staate Israel zeigte. Erstmals wurden Bilder der deutschen Siegerin und ihrer israelischen Stellvertreterin gemacht, die auch in Israel unter dem Titel: „Unsere Rina ist Stellvertreterin der „Miss Welt“ in LaIscha veröffentlicht wurden (S. 326).

Prekär und politisch angespannt blieb das Verhältnis zu den arabischen Schönheitsköniginnen. So verweigerte „Miss Libanon“ in den 1960er Jahren ein Foto mit „Miss Israel“ (S. 325) und Ägypten ging dazu über, Wettbewerbe mit israelischer Beteiligung jahrelang zu boykottieren (S. 324).

Allerdings sollte nicht vergessen werden, in welcher weltweiten geopolitischen Situation das Frauenbild der „nationalen israelischen Schönheit“ konstruiert wurde. Erinnert sei nur an die zeitgleich in Italien vergötterte Gina Lollobrigida als „Gina nazionale“[v] – und im Gegensatz dazu die lesbische, uniformtragende sowjetische Geheimagentin Rosa Klebb in „James Bond: Liebesgrüsse aus Moskau“[vi]. In Israel jedoch, so zeigt Julie Grimmeisen, ließ sich das Schönheitsideal mit den Militärpflichten verbinden (S. 284).

Schöne Soldatin im Dienste Israels

Frauen, die Waffen tragen, sind schnell als Flintenweiber verschrien.[vii] Im israelischen Unabhängigkeitskrieg konnte auf derartige Sichtweisen keine Rücksicht genommen werden. Mehr als 12.000 Frauen dienten in militärischen Einheiten, über 100 starben im Kampf.[viii] Im Herbst 1949 beschloss die Knesset, Frauen auch in Zukunft verpflichtend zum Militär einzuberufen. Sie sollten jedoch nicht mehr in konkreten Kampfhandlungen eingesetzt werden. Hinzu kam, dass verheiratete Frauen und Mütter von der Wehrpflicht ausgenommen waren (S. 291). Der Gesetzgeber stärkte somit die „Mutterschaft“ und umging das moralische Dilemma, wie mit Frauen und „zukünftigen Gebärenden“ (S. 291) umzugehen sei, wenn sie in Gefangenschaft geraten sollten. Damit war sowohl de facto als auch de jure für Jahrzehnte vorgezeichnet, welche Positionen Frauen in der Armee einnehmen und wie man ihre Position nach außen kommunizieren würde. Nämlich als weltweite beachtete Pionierinnen im Hinblick auf die Wehrpflicht – aber ohne Verlust der Weiblichkeitsattribute. Dies wird auch an der Bilderserie aus dem Jahre 2016 deutlich: Keine der jungen Frauen trägt eine Waffe und falls doch wie im Jahre 2014 – als eine Fotoserie mit Waffen fotografiert wurde – präsentieren sich die schönen jungen Frauen mit Dreadlocks bzw. hüftlangen offenen Haaren.[ix]

„Gestern ist Heute“

Julie Grimmeisens Werk hat eine Forschungslücke geschlossen und ist folglich uneingeschränkt zu empfehlen. Das Buch vermittelt gekonnt und detailreich die Genese des israelischen Frauenbildes in Jahren 1948 bis 1967. Die Tatsache, dass die Verwandten der amtierenden „Miss Irak“ im Jahre 2017 in die USA fliehen mussten, weil „Miss Israel“ es gewagt hatte ein gemeinsames Selfie zu veröffentlichen[x], offenbart im Übrigen: Gestern ist Heute.

Julie Grimmeisen: Pionierinnen und Schönheitsköniginnen. Frauenvorbilder in Israel 1948-1967, Wallstein Verlag Göttingen 2017,  389 S., Euro 39,90, Bestellen?

[i]      https://www.stern.de/fotografie/israel–maedchen-soldaten-6781440.html (Zugriff am 6.1.2018).

[ii]     https://www.stern.de/fotografie/israel–maedchen-soldaten-6781440.html (Zugriff am 6.1.2018).

[iii] http://www.academia.edu/838466/Visual_Representations_of_IDF_Women_Soldiers_and_Civil-Militarism_in_Israel (Zugriff am 6.1.2018).

[iv]    Auf deutsche Verhältnisse übertragen – bei aller nötigen Vorsicht (!) – vergleicht die Autorin einen weiblichen „Vorwärts“ mit der „Brigitte“. Im übrigen existierte von 1892 bis 1927 eine sozialdemokratische Frauenzeitschrift namens „Die Gleichheit“, vgl. Stephanie Braukmann: Die „jüdische Frage“ in der sozialistischen Frauenbewegung 1890-1914, Frankfurt/ New York 2007, S. 32 ff.

[v]     http://www.fr.de/panorama/leute/gina-lollobrigida-eine-diva-wird-90-a-1307279 (Zugriff am 6.1.2018).

[vi]    Julia Kulbarsch-Wilke: James Bond und der Zeitgeist: Eine Filmreihe zwischen Politik und Popkultur, Münster/ New York 2016, S. 141.

[vii]   „Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass es hier in der Bundesrepublik Deutschland Flintenweiber gibt“, so die CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Irma Tübler im Jahre 1978, zitiert nach: „Etwas anderes als Sex“, in: DER SPIEGEL, 13.11.1978, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40606989.html (Zugriff am 6.1.2018).

[viii]  Stein, Stephen, in: Cook, Bernard (Ed.): Women and war, Santa Barbara/ Kalifornien, 2006, S. 316 ff

[ix]    http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotos-von-israelischen-soldatinnen-von-simon-akstinat-fotostrecke-110645.html (Zugriff am 6.1.2018).

[x]     http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/nach-selfie-mit-miss-israel-verwandte-von-miss-irak-muessen-fliehen-15342613.html (Zugriff am 6.1.2018).