Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen …

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Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman (1905–1966) – Eine biografische Rekonstruktion…

Schon vor 1933 hatte sich Heinz Liepman im literarischen Feld Deutschlands positioniert. Vor den Nationalsozialisten ins französische, englische und amerikanische Exil geflohen, kehrte er 1947 nach Deutschland zurück. Die von ihm und seiner Frau gegründete Literaturagentur existiert noch heute und zählt zu den renommiertesten ihrer Branche. Obwohl Heinz Liepman bis zu seinem Lebensende ein vielfach gedruckter und im Rundfunk tätiger Journalist war, geriet er nach seinem Tod in Vergessenheit.

Dank langjähriger Recherchen, zahlreicher persönlicher Kontakte zu Angehörigen, Freunden und Kollegen Liepmans gelingt Wilfried Weinke eine detailreiche biografische Rekonstruktion zu dessen Leben und Werk. Die Fülle unveröffentlichter Briefe und Fotografien veranschaulichen die Nöte des Exils, aber auch den mühsamen Neuanfang in Nachkriegsdeutschland.

Wilfried Weinke, Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen … , Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman (1905–1966) – Eine biografische Rekonstruktion. Mit einem Vorwort von Matthias Wegner, V&R unipress 2017, 716 S., Bestellen?

LESEPROBE

Begraben – und vergessen?

Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von Gerra Piano. In der äußersten rechten Ecke des alten Friedhofs steht der schlichte Grabstein. Die Inschrift auf dem grauen Stein nennt lediglich Namen und Lebensdaten: Heinz Liepman 27.8.1905 – 6.6.1966.(1)

Oberhalb von Gerra Piano, dem landwirtschaftlichen Zentrum der Magadino-Ebene, liegt der Weiler Agarone. Hier, im Tessin, inmitten herrlicher Weinberge, besaßen Ruth und Heinz Liepman seit Ende der 1950er Jahre ein Sommerhaus, ihr Erholungs- und Zufluchtsort von der hektischen und anstrengenden Betriebsamkeit der seit 1961 in Zürich ansässigen Literaturagentur.

Es finden nicht viele den Weg auf den kleinen Friedhof von Gerra Piano, um die Grabstelle Heinz Liepmans zu besuchen. Sein Name ist heute den wenigsten bekannt. Zu den seltenen Besuchern zählen vielleicht Familienangehörige des Dramatikers und Schriftstellers Günther Weisenborn, die ihre Schritte auf den Friedhof lenken. Dessen Grab befindet sich unmittelbar neben dem von Heinz Liepman. Mit Günther und Joy Weisenborn waren Heinz und Ruth Liepman lange Jahre befreundet, mit ihnen lebten sie in Agarone in enger und guter Nachbarschaft.

Warum eine Biografie über Heinz Liepman mit seinem Grab und dessen Inschrift beginnen? Die in Stein gemeißelten Eckdaten seines Lebens sind leicht verifizierbar. Im Gegensatz zu diesen überprüfbaren Daten ist das Wissen um Heinz Liepman, sein vielfältiges Werk und Wirken als Schriftsteller und Journalist, bislang äußerst lücken- wie fehlerhaft dokumentiert. Eine Autobiografie liegt nicht vor, es gibt keine Tagebücher oder Arbeitsjournale. Seine vor 1933, im Exil und nach seiner Remigration nach Deutschland veröffentlichten Bücher sind auf dem Buchmarkt nicht mehr erhältlich, Ausgaben seiner im niederländischen, französischen, englischen und amerikanischen Exil entstandenen Bücher sind nur antiquarisch zu erwerben. Es gab zu Beginn meiner Recherchen keine Bibliothek und kein Archiv, in dem der Nachlass Heinz Liepmans inventarisiert und archiviert worden war.

(…)

Meine eigenen Recherchen zielten zunächst auf eine möglichst genaue Erfassung aller von Heinz Liepman unter seinem Namen oder unter seinen Pseudonymen veröffentlichten Bücher, Theaterstücke, Dokumentationen, Zeitungsartikel, Rezensionen, Porträts, Reisebilder und Radiofeature. Resultat ist ein komplexes Werkverzeichnis, das von Liepmans 1922 erstem veröffentlichten Text »Nachtfahrt« bis zu postum erschienenen Rezensionen reicht. Auf Grund der vielen fehlerhaften bis falschen biographischen Daten, die auch in den einschlägigen Lexika und Handbüchern aufgestellt und ungeprüft wiederholt wurden, erschien es mir notwendig, ein verifiziertes Datengerüst zu Leben und Werk Heinz Liepmans zu erstellen.(47)

Diese biografische Rekonstruktion des Lebens und Werks Heinz Liepmans wird aufzeigen, wie er der dreifachen Stigmatisierung als Jude, Sozialist und Morphinist begegnet ist. Vor dem Hintergrund des bisher Skizzierten wird deutlich, dass sich Liepman schon vor 1933 mit dem erstarkenden Antisemitismus auseinandersetzte und auf gegen ihn gerichtete antisemitische Angriffe reagierte. Eine Auseinandersetzung, die er im Exil und auch nach seiner Remigration nach Deutschland fortsetzte. Seine sozialistischen, zeitweise kommunistischen Sympathien sowie seine jüdische Herkunft waren für die Liepman verfolgenden Nationalsozialisten deckungsgleiche Stigmata. Schon während des Exils wurden diese durch die Kennzeichnung als Morphinist ergänzt. In diesem Zusammenhang soll verdeutlicht werden, inwiefern der 1950 erstmals veröffentlichte Roman Case History (48) sowie das 1961 erschienene Buch Der Ausweg. Die Bekenntnisse des Martin M. (49) eine Beschäftigung mit seiner Morphiumsucht darstellen.

Der Titel für diese biografische Rekonstruktion stammt aus dem Roman Der Frieden brach aus,(50) den Liepman 1930 veröffentlichte. Er legte diesen Satz einer eher randständigen Person seines Romans in den Mund. Einem Chauffeur, der im Roman Liepmann heißt und gerne Autor werden möchte. Dass Liepman Schriftsteller wurde, steht außer Frage. Dass Liepman Einfluss zu gewinnen suchte, mag diese Arbeit nachweisen. Vor allem aber will sie an den heute fast vergessenen und verdrängten Publizisten Heinz Liepman erinnern.

Anmerkungen
(1) In der Schreibweise seines Namens folge ich der Biografie. Erst im Exil amerikanisierte Heinz Liepman seinen Nachnamen und schrieb sich fortan mit nur einem »n«.
(…)
(47) Alle im Folgenden präsentierten Lebensstationen Liepmans sind überprüft und durch Archivrecherchen, amtliche Auskünfte, staatliche wie private Dokumente, Korrespondenzen etc. belegt.
(48) Liepman, Case History, 1950. Zwei Jahre später erschien der Roman unter gleichem Titel im Verlag Frederick Muller Ltd., London.
(49) Liepman, Der Ausweg, 1961. Im April 1966, drei Monate vor dem Tod Heinz Liepmans, publizierte der Rowohlt-Verlag, Reinbek, das Buch in einer Taschenbuchausgabe unter dem Titel Der Ausweg. Die Bekenntnisse des Morphinisten Martin M.
(50) Liepman, Der Frieden brach aus, 1930, 316.

Wilfried Weinke, Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen … , Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman (1905–1966) – Eine biografische Rekonstruktion. Mit einem Vorwort von Matthias Wegner, V&R unipress 2017, 716 S., Bestellen?