Antisemitismus spielt auch in der politischen Linken eine Rolle, sei es als Einstellung, sei es als Thema. Auseinandersetzungen um dessen Bedeutung werden häufig eher emotional und polarisiert geführt – dies hängt meist mit ideologischen Motiven zusammen. Was für Deutschland gilt, gilt auch für die USA. Darauf macht die Ethnologin und Politikwissenschaftlerin Sina Arnold in ihrer Studie „Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11“ aufmerksam…
Von Armin Pfahl-Traughber
Der genaue Blick auf den Untertitel veranschaulicht, dass es der Autorin nicht um eine pauschale Zuordnung geht. Sie fragt nicht nur nach den Antisemitismus-Beständen in dem politischen Lager, sondern mehr nach dem Umgang mit diesem Thema. Dabei nutzt die auch methodisch ambitionierte Arbeit sowohl Ansätze der Antisemitismus- wie der Bewegungsforschung, eine eigentlich naheliegende Perspektive, die aber aufgrund der eindimensionalen Denke nicht weniger Sozialwissenschaftler eher seltener zu finden ist.
Das konkrete Erkenntnisinteresse bezieht sich einerseits auf die Inhalte und Kontexte antisemitischer Muster in der linken sozialen Bewegung der USA und andererseits auf die einschränkenden, fördernden oder verstärkenden Rahmenbedingungen und Vorstellungen. Es stehen also bezogen auf die Antisemitismusdiskurse die Ermöglichungsbedingungen im Mittelpunkt. Ihre Arbeit gliedert Arnold in zwei große Teile: Zunächst geht es um historische und theoretische Hintergründe. Dabei geht es um Begriffsklärungen, Frameanalysen und Gelegenheitsstrukturen, aber auch um den Antisemitismus in den USA aus historischer Betrachtung und die Traditionslinien linker Antisemitismusdiskurse vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Demnach „finden sich vereinzelt Beispiele für offene antisemitische Aussagen, die trotz der Fülle der Beispiele aber nicht repräsentativ für die weitere Linke erscheinen.“ Aber: „Antisemitische Ressentiments werden von Personen toleriert, die sich normalerweise gegen Vorurteile und Diskriminierung wenden“ (S. 174).
Im zweiten Teil folgt hauptsächlich eine Auswertung von 30 qualitativen Interviews, womit die Aktivisten der Linken selbst zu Wort kommen. Dabei geht es um Antisemitismus im Kontext von Antirassismus, Holocaust-Gedenken, Israel oder Nahost-Konflikt. Die Autorin erweist sich hier als differenzierte Analytikerin. Zwar stellt sie fest, dass offener Antisemitismus eher von marginaler Bedeutung sei. Aber: „Die meisten Interviewpartner_innen verwenden wenig Zeit auf das Reden über Antisemitismus, sondern lenken das Gespräch aktiv um zu den Problemen, die sie mit diesem Phänomen assoziieren: zum Vorwurf gegenüber Kritker_innen Israels, dass sie antisemitisch seien …“ (S. 223). Gegen Ende benennt Arnold als zentrale Merkmale linker Antisemitismusdiskurse in den USA: Es gebe kaum manifesten Antisemitismus, aber häufig eine monoperspektivische Kritik an Israel und eine Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit gegenüber Antisemitismus verbunden mit Abwehrhaltungen hinsichtlich einschlägiger Vorwürfe (vgl. S. 411-420).
Allein diese ausgewogene und genaue Erörterung hebt die Studie wohltuend von den ansonsten eher dominanten eindimensionalen Wertungen ab. Dies artikuliert sich auch in der Gefahreneinschätzung, heißt es doch: „Die Gefahr liegt … nicht in der Dominanz von Antisemit_innen …, sondern eher darin, dass Antisemitismus als Thema keine Beachtung findet und entsprechende Ausdrucksformen nicht problematisiert bzw. sogar toleriert werden“ (S. 377). Auf die Frage, welche Gründe es dafür gibt, liefert Arnold ebenfalls Antworten, wenn sie etwa das Antirassismus-Antisemitismus-Spannungsverhältnis anspricht. Gleichwohl dürfte es noch andere Faktoren geben, denn die gemachten Beobachtungen gelten für viele westliche Länder. Hierzu bedarf es sicherlich noch weiterer Forschungen, etwa bezüglich der Auffassungen nicht weniger Linksintellektueller. Bezogen auf Arnolds Methode sei noch darauf hingewiesen: Die Arbeit mit qualitativen Interviews ist ein gangbarer Weg. Es sind aber auch noch andere Forschungsstrategien für solche Problemstellungen möglich.
Sina Arnold, Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11, Hamburg 2016 (Hamburger Edition), 487 S., Euro 38,00, Bestellen?