Sidra Bechukotai

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Torah-Lesung: beChukothaj, Lev 26:3-27:34

Paraschat HaSchawua
Der wöchentliche Toraabschnitt
Kommentiert von Nechama Leibowitz

Sidra Bechukotai
– Hoffnung trotz Holocaust

Es scheint, in unserem Abschnitt sei der Kontext von Segen und Fluch in gewisser Weise mit den Vorschriften für das Schabbat- und Jubeljahr verbunden. Diese Vorschriften wurden im letzten Kapitel erwähnt. Aber die allgemeine Natur der Verse, die die Segen und Flüche einführen (Verse 3, 15, 43), zeigen, daß das Kapitel das Finale des Buches Leviticus und der darin enthaltenen Heiligkeitsvorschriften bildet. Die abschliessenden Verse unterstützen diese These:

Dies sind die Satzungen und Rechte und Weisungen, die der Ewige gegeben hat zwischen ihm und den Kindern Israel auf dem Berge Sinai durch Mosche.
(26, 46)

Wir werden uns mit einer Passage dieses Kapitels des Tadels beschäftigen. Die Vergeltung, die Israel wegen seiner Sünden erreicht, bewegt sich auf einen Höhepunkt zu. Die fünfte Katastrophe, mit der Israel in Vers 27 bedroht wurde, „wenn ihr bei dem mir nicht gehorchet“, war der vollständige Verlust seines Staates, die Zerstörung des Tempels und die Zerstreuung des Volkes.

Und ich werde das Land veröden, daß sich darob entsetzen eure Feinde, die darin wohnen.
Und euch werde ich zerstreuen unter die Völker und hinter euch her das Schwert zücken. Und ist euer Land eine Öde, und sind eure Städte eine Wüste.
Und ich werde aus euren Städten eine Wüste machen und werde veröden eure Heiligtümer, und nicht riechen eure Wohlgerüche.
(26, 32, 33, 31)

Zum letzten Vers fügte ein Kommentator hinzu:

Nachdem die Schechina das Land Israel verlassen hat, verliert es seinen Glanz. Und dadurch werden die Städte Israels verödet.
(Ha’amek Davar)

Nach der Zerstörung seiner Städte und des Tempels, ist das Land, das einst von Milch und Honig floss, dazu bestimmt, eine Wüste zu werden.
Die genaue Bedeutung des Satzes, die Feinde Israels werden sich „darob entsetzen“ (we-schammamu) (Vers 32), war Gegenstand der Diskussion bei unseren Kommentatoren.

Das Land wird so verödet sein, daß selbst die Feinde, die darin wohnen, entsetzt sein werden, das Gegenteil von „eine Wonne für die ganze Welt.“
(Dies spielt an auf Klagelieder 2, 15: „In die Hände klatschen deinetwegen alle, die des Weges vorübergehen; Sie zischen und schütteln den Kopf über die Tochter von Jerusalem: ‚Ist das der Schönheit Krone, eine Wonne für die ganze Welt‘.“)
(Ibn Ezra)

Wenn du aus dem Land verstossen sein wirst, wird es nicht in seinem normalen, guten Zustand bleiben. So wie es gesegnet war, als du darin wohntest, so werde ich es jetzt veröden, bis es der Vorwurf aller Länder sein wird. Seine Feinde werden entsetzt sein, es so zu sehen. Es wird ihm an allem mangeln, aber voller Krankheiten und Seuchen. Dies, um zu zeigen, daß seine Verödung durch deine Übertretungen verursacht wurde, wie es heisst (Deut. 29, 23 und 24): „Und es werden sprechen all die Völker: Warum hat der Ewige also getan diesem Lande? Woher diese grosse Zornesglut? Und sie werden sprechen: Weil sie verlassen den Bund des Ewigen, des Gottes ihrer Väter.“
(Biur)

Raschi nimmt einen anderen Standpunkt ein:

Dies ist eine günstige Botschaft für Israel. Seine Feinde werden in seinem Land keine Bequemlichkeit finden, denn das Land wird vor seinen Bewohnern verwüstet.

Was veranlasste Raschi, diese Stelle in einem günstigen Sinn zu interpretieren, vor allem, wenn der Kontext von der göttlichen Vergeltung an Israel spricht?
Hier eine Interpretation zu Raschi, die von einem seiner klassischen Erklärer geboten wird:

Raschi wird von der göttlichen Verwendung der ersten Person veranlasst: „Und ich werde das Land veröden“ – Ich selbst. Der Allmächtige ist voller Güte. Und wenn der Ewige, gelobt sei er, eine Handlung ausführt, ist sie immer von Güte motiviert.
(Maharal, Gur Arie)

Obwohl die unmittelbare Handlung als Zerstörung beschrieben wird, genügt die Tatsache, daß ihr Autor Gott ist, um sicherzustellen, sie habe einen positiven und schliesslich wiederhestellenden Zweck.
Nachmanides beschäftigt sich auf charakteristische Weise mit Raschis kurzem Kommentar:

Die Phrase „daß sich darob entsetzen eure Feinde“ trägt eine günstige Botschaft in jede jüdische Gemeinde des Exils. Unser Land, sagt sie, wird unsere Feinde nicht empfangen. Es ist ein Versprechen und ein Beweis, daß dieses Land, das von Natur aus gut und geräumig ist und immer bewohnt war, verwüstet bleiben wird. Seit wir es verliessen, konnten es keine Nation, keine fremde Sprache übernehmen. Alle versuchten, sich dort niederzulassen, aber niemanden gelang es.

In Nachmanides‘ Worten entdecken wir die Früchte seiner eigenen Eindrücke vom Heiligen Land. Als er in Jerusalem ankam, sah er das verödete Land und leitete davon eine Botschaft des Trostes ab. Er war Zeuge, wie das Land die erlösende Hand des eigenen Volkes erwartete. Die Vorläufer der „Zionsliebenden“ teilten seine Gefühle siebenhundert Jahre später.
Der folgende Vers (33) wird ebenfalls in einem ambivalenten Licht gesehen. Sein Wortsinn ist sogar von noch schlimmerer Vorbedeutung: „Und euch werde ich zerstreuen unter die Völker.“ Einige Kommentatoren, wie Raschi, betrachteten ihn als Botschaft der Zerstörung, der Dunkelheit und nicht des Lichtes:

Der Inhalt des Verses ist furchtbar. Wenn die Bürger eines Landes exiliert werden, schickt man sie an einen weit entfernten Ort. Sie können einander durch ihre Gegenwart trösten. Israel ist zerstreut wie Spreu mit der Futterschwinge, kein Teilchen kommt mit einem anderen in Kontakt.
(Raschi)

Andere jedoch betrachten die Passage als tröstend:

Es war einmal ein Herrscher, der die Juden hasste. Er fragte seine Berater: Was soll jemand tun, der unter einer Warze auf seinem Fuss leidet? Soll er sie abschneiden und bequem leben, oder lassen und leiden? Sie antworteten: Schneide sie ab und lebe bequem. Dann sagte Ketia bar Schalom: Du kannst sie nicht alle ausrotten, denn es heisst (Sacharja 2, 10): „Denn in die vier Winde habe ich euch zerstreut.“
(Avodah Zarah 10b)

Nachmanides gibt einen ähnlichen Kommentar zu Jakobs Vorbereitung auf das Treffen mit Esau. Jakob bildete zwei Lager: „Und sprach: Wenn Esau kommt über das eine Lager und schlägt es, so bleibt dem übriggebliebenen Lager Entrinnen.“

Das bedeutet, Jakob wusste, seine Abkömmlinge würden nicht alle in Esaus Hände fallen, ein Lager ürde wenigstens gerettet werden. Wir haben hier eine Anspielung auf die Tatsache, daß der Allmächtige nicht unsere völlige Zerstörung durch Esau verfügt. Einige von uns würden in einigen Ländern leiden. Ein König würde unser Leben und unsere Habe für vogelfrei erklären, während ein anderes Land Erbarmen zeigt und die Flüchtlinge aufnimmt.

Nochmals, in einem anderen Vers in diesem Kapitel der Verfluchungen, entdeckt Raschi das Licht hinter der Finsternis:

„Und sie brachte in das Land ihrer Feinde“ (Lev. 26, 41) – Ich selbst werde sie bringen. Dies ist eine Botschaft des Trostes für Israel, damit sie nicht sagen: Da wir unter die Heiden gebracht wurden, handeln wir wie sie. Ich werde sie nicht lassen. Aber ich werde ihnen meine Propheten schicken und sie unter die Flügel der Schechina zurückbringen, wie es heisst: „Und was euch in den Sinn kommt, darf unter keinen Umständen geschehen, daß ihr sagt: ‚Wir wollen sein wie die Heiden, wie die Stämme der Heidenländer, und Holz und Stein dienen.‘ So wahr ich lebe, spricht der Ewige, der Herr, mit starker Hand, mit erhobenem Arm, mit überschäumendem Grimm will ich über euch herrschen.“ (Ezechiel 20, 32-33)

Einer der Kommentatoren Raschi stimmt nicht zu:

Ich verstehe nicht, warum Raschi diese Stelle nicht in ihrem Wortsinn erklärt, Gott werde sie in das Land ihrer Feinde bringen, wie er es mit einer anderen Stelle tut: „Der Ewige wird führen dich … zu einem Volke, das du nicht gekannt.“ (Deut. 28, 36)
(Misrachi)

Ein anderer von Raschis Kommentatoren rechtfertigt seine Erklärung:

Der Text sollte keinen Ausdruck von „bringen“ verwendet haben, denn „Bringen“ hat eine positive Konnotation, Sorge für das Objekt des Bringens. Da das Exil ein Verlassen des Volkes bedeutet, ist der Ausdruck „bringen“, der Sorge und Obhut impliziert, hier fehl am Platz.
(Maharal)

Die Sprache des Textes versorgt uns mit einem Hinweis auf seine positive Botschaft des Trostes und der Hoffnung. Gott wird sein Volk in das Land seiner Feinde führen. Er wird sie nicht schicken oder bringen lassen, sondern sie auf allen seinen Wanderungen begleiten.
Die äussere Botschaft dieser Verse ist eine der Vergeltung und Katastrophe, aber in ihr entdecken wir einige Untertöne des Trostes.
Das Kapitel der Flüche und Vorwürfe endet mit einer Bemerkung der Hoffnung, die es unnötig macht, einen Schlüssel zwischen den Zeilen zu suchen:

Und auch dann noch, wenn sie im Lande ihrer Feinde sind, habe ich sie nicht so verworfen, und nicht so ausgestossen, daß ich sie völlig aufriebe und meinen Bund mit ihnen bräche; denn ich der Ewige bin ihr Gott.
(26, 44)

Weiterführende Fragen

  1. Vergleiche Nachmanides‘ Kommentar zu Vers 32 mit Raschis Eröffnungsworten zu Genesis, wenn er feststellt, der Grund für den Beginn der Bibel mit der Schöpfungsgeschichte und nicht mit den ersten religiösen Vorschriften für Pesach, ist, den jüdischen Anspruch auf des Heilige Land zu rechtfertigen. Wie Genesis beschreibt, gehört die Welt Gott, und er verteilte sie, wie er es wollte.
    Erkläre den prinzipiellen Unterschied zwischen Raschis Motivation unseres Anspruches auf das Heilige Land in Genesis mit seiner und Nachmanides‘ Motivation hier.
  2. Vers 40 in unserem Kapitel stellt fest, die Israeliten werden ihre Schuld bekennen und den Verrat, den sie gegen Gott begangen. Sie werden zugeben, daß sie entgegen seinen Wünschen gehandelt haben. Das Judentum besteht darauf, daß Gott immer das Schuldbekenntnis des Sünders annimmt und Gnade zeigt: „Wer sie bekennt und meidet, findet Erbarmen“ (Spr. 28, 13).
    Abravanel fragt:
    Warum sagte der Allmächtige hier, nachdem sie ihre Sünden bekannten: Ich werde hier gegenteilig handeln und sie in das Land ihrer Feinde bringen. Warum akzeptierte er ihr Bekenntnis nicht und erleichterte ihre Strafe? Vielmehr erklärt er, er werde sogar eine noch grössere Strafe über sie bringen.
    Versuche, Abravanels Frage zu beantworten und erkläre die logische Folge der Verse 26, 40, 41.
  3. Vergleiche:
    „Und ich werde zerstören eure Höhen und vernichten eure Sonnenbilder, … und meine Seele wird euch mit Ekel von sich stossen.“ (26, 30)
    „Und auch dann noch, wenn sie im Lande ihrer Feinde sind, habe ich sie nicht so verworfen, und nicht so ausgestossen, daß ich sie völlig aufriebe und meinen Bund mit ihnen bräche; denn ich der Ewige bin ihr Gott.“ (44)
    Wie widersprechen diese beiden Stellen einander?
    Kann der Widerspruch mit Hilfe von Raschis Kommentar zu Vers 30 ausgeglichen werden? „Und meine Seele wird euch mit Ekel von sich stossen.“ Raschi stellt fest, diese Stelle beziehe sich auf die „Entfernung der Schechina“.

Haftara zu Bechukotai: Jeremia XVI, 19 – XVII, 14