Wiens jüdischer Geist

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Gestern ist heute, heute wird morgen sein. So kann man am kürzesten das, was man  den „Jüdischen Geist Wiens“ nennt, beschreiben…

Von Peter Stiegnitz

Die große kulturelle Bedeutung der in Wien lebenden und arbeitenden jüdischen Künstler und Wissenschaftler und auch solche, welche die Wirtschaft der Stadt und des ganzen Landes zum Blühen gebracht haben, dürfen nicht vergessen werden. Das heißt natürlich nicht, dass man an sie nicht mehr denkt, dass sie der Vergangenheit anheimfalle. Es vergeht kaum eine Woche, dass nicht ein Buch, eine Tagung oder zumindest eine größere Abhandlung über diese Männer und Frauen, über ihre enormen Leistungen erscheint. Über diese „Gedenken“ und über die jüdische Gegenwart werden wir in der gebotenen Kürze berichten.

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Im Wiener PEN-Club wurde jüngst das Buch „Auf allen Stühlen– Der Weg der assimilierten Juden“ (Verlag „Bibliothek der Provinz“, Weitra) vorgestellt. Eigentlich meinte der Autor alle  s e i n e  (Vorstands- und Leistungs-)Stühle, die er als assimilierter Jude in unzähligen vereinen und Organisationen in seinem 79-jährigen Leben eingenommen hat. Die Schattenseite nicht seiner „Stühle“, sondern seines Lebens war der Holocaust, den er als 8-jähriger Junge überlebte und der Stalin-Terror in Ungarn, den er erneut, diesmal als „Kapitalisten-Sprössling“, als Opfer erlebte. Das Buch befasst sich nicht nur mit seinem wechselvollen Leben, sondern ebenso mit dem bekannter und bedeutender assimilierter Juden (auch in der Emigration).

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Das Herz des Autors – des vorhin besprochenen Buches und dieses Beitrags – lachte froh, als er jetzt die zwar später, doch sehr berechtigte Würdigung seines einstigen Lehrers Viktor E. Frankl, dem Begründer der Logotherapie, erfuhr. Frankl war die Verkörperung der so genannten dritten psyhoanalytisch/tiefenpsychologischen Wiener Schule; nach Freud und Adler. Während er in den USA bereits zu Lebzeiten eine Weltberühmtheit war, gelang es ihm in seiner Heimatstadt Wien kaum, Fuß zu fassen; von einer Würdigung und Anerkennung war nie die Rede. Jetzt endlich wurde in Wien ein Frankl-Museum im neunten Bezirk Mariannengasse 1, eröffnet. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sein Museum in der Nähe der damaligen Polyklinik steht, wo Frankl als Primarius wirkte. In seinem viel gelesenen Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ verarbeitete er seine Erinnerungen an Auschwitz, wo seine Eltern, seine erste Frau und sein Bruder ermordet wurden. Dieses Buch erreichte eine sagenhafte Neun-Millionen Auflage. Seine Kernaussage bezog sich auf die ewigen Fragen nach dem Sinn des Lebens. Auf seine damalige Antwort in der Polyklinik erinnere ich mich ein Leben lang: „Einen Menschen zu lieben und sich für eine Sache einzusetzen …“ Nach der Vorlesung kam ich zu Prof. Frankl und fragte: „Kann ich zu Ihren beiden Begriffen auch noch ,Spuren-hinterlassen` anfügen …?“ Frankl schaute mich belustigt an: „Wenn Sie wollen …“ und nach meiner Schrecksekunde fügte er an: „Sie sicherlich.“ Diese zwei Wörter waren meine schönste Auszeichnung. Damals wusste ich nicht dass meine „Ergänzung“ ganz im seinem Sinne war. Frankls „drei Hauptstränge“ waren nämlich:  Erleben – Leiden – Schaffen. Heute weiß ich, wie Recht Viktor E. Frankl hatte.

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Wer das Judentum verstehen will, der muss das Fundament unserer Religion, das aus drei Einheiten besteht, kennen. Es geht dabei um Gott, Gesetz, Geschichte. Daher gibt es ohne Tradition kein Judentum. Diesem Geist entspricht auch die vielseitige Arbeit des Wiener Jüdischen Institutes für Erwachsenenbildung, das im Rahmen der Wiener Volkshochschulen tätig ist. Hier werden unter anderem auch Hebräisch und Jiddisch unterrichtet. Vor einiger Zeit wurde hier eines der wichtigsten Bücher der religiösen Tradition, der „Babylonische Talmud“, erklärt. In der Zeit des babylonischen Exils – 586-536 v.u.Z. – entstand diese Sammlung der wichtigsten Thora-Kommentare. In der Zeit des babylonischen Exils verkümmerten nämlich die frommen Lehrhäuser in Jerusalem, weil die besten religiösen Köpfe Judäas nach Babylon verschleppt wurden. In Babylon konnten diese Gelehrten die Arbeit wieder aufnehmen, und es gelang ihnen, hier den Talmud zur Blüte zu bringen. Für den deutschen Übersetzer des „Babylonischen Talmuds“, Jakob Fromer (1865-1938), handelt es sich dabei um „die einzige maßgebende Rechtsquelle“  (Jakob Fromer: „Der Babylonische Talmud“, marixverlag, Wiesbaden, 2013). So viel zum Verständnis des Judentums – auch in Wien.

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Die große Tradition des „jüdischen Geistes“ in Wien verpflichtet zur Objektivität. So wissen wir heute, dass nicht alle „Alpenrepublikaner“/“Ostmärkler“ hitler-hörig waren. Das bewies der bekannte Wiener Historiker Wolfgang Neugebauer im Rahmen der „Wiener Vorlesungen“, der vom Wissenschaftschefs Wiens, Hubert Christian Ehalt geführt wird, mit seinem Referat „Österreichischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Neue Forschungsergebnisse.“ Das gleichnamige Buch ist jetzt in der „Edition Steinbauer“ erschienen. Obwohl, so Neugebauer, der Widerstand in Österreich nicht groß war, sollte dieser „nicht als eine sinnlose oder vergebliche Sache abgetan werden“.

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Wer den jüdischen Geist verstehen will, der darf auf die religiöse Tradition – auch in den Reihen der assimilierter Juden – nicht vergessen. Das war so, das bleibt so. Gutes Beispiel für dieses Geisteshaltung (auch) in Wien war die aus Berlin stammende Fanny Itzig, die in Wien in die reiche jüdische Bankiersfamilie Arnstein heiratete. Als Fanny von Arnstein  versammelte sie in ihrem Salon die nationale und internationale Elite während des Wiener Kongresses (1814). „Sie war nicht nur eine politisch eminent interessierte Frau, sondern hatte auch viel für guten Stil übrig.“ – so Günther Steinbach mit seinem Ko-Autor Martin Haidinger im Buch „Der Wiener Kongress“, Edition Steinbauer. Trotz ihrer hohen gesellschaftlichen Stellung, Fanny galt als „preußische Bastion während des Kongresses“, vergaß sie nie die Religion ihrer Vorfahren. Und noch etwas: Im Salon der Jüdin Fanny  gab es in Wien den ersten Christbaum überhaupt. Dazu gab es Geschenke und „kesse Lieder nach Berliner Art.“ Die Autoren zitieren dazu aus einem Bericht des Metternichschen Geheimpolizei: „Am Hohen Markt zu Wien, in dem Prachtbau der Jüdin Fanny Arnstein, steht eine Lichtertanne und man singt komische Lieder.“

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Die Fanny aus Berlin war in Wien eine der ersten assimilierten Jüdinnen, die im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte-schrieben; politische, wie kulturelle. Obwohl in der Monarchie erst um 1830 die ersten konkreten Überlegungen zur Gleichstellung der Juden im Reich in die Praxis, wenn auch zögernd, umgesetzt wurden, dauerte es noch ein halbes Jahrhundert, bis im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die jüdische Religion vom Kaiserhaus und der Regierung mit dem „Israelitengesetz“ anerkannt wurde. Davor, 1852, wurden in Wien die Kultusgemeinde ins Leben gerufen und 1867, zur Zeit der Gründung der österreichisch-ungarischen Monarchie, im Staatsgrundgesetz die „gleichen Rechte“ aller Staatsbürger festgeschrieben. Dieses Gesetz förderte zwar die jüdische Assimilation, doch von einer echten Gleichstellung war zu dieser Zeit noch keine Rede.

Die Quellen der jüdischen Assimilation begannen trotzdem bereits zur Zeit und knapp nach den napoleonischen Kriegen zu sprudeln. Neben Fanny und Adam Arnstein errangen die Familien des Bernhard Eskeles und Leopold Herz beträchtliches Ansehen. Sie und noch mehr ihre Nachfolger haben mit ihren Palais die Ringstrasse für alle Zeiten verschönt und geprägt. Immerhin war auch Fürst Metternich, der eigentliche „Herr“ des Wiener Kongresses, häufiger Gast in den Salons der jüdischen Bankiersfamilien.

1 Kommentar

  1. „Die große kulturelle Bedeutung der in Wien lebenden und arbeitenden jüdischen Künstler und Wissenschaftler und auch solche, welche die Wirtschaft der Stadt und des ganzen Landes zum Blühen gebracht haben, dürfen nicht vergessen werden.“

    Ohne jetzt den BEITRAG und die Bedeutung der jüdischen Wiener geringschätzen zu wollen .. der oben angeführte Satz liest sich ein bischen, als ob Wien im speziellen und Österreich im Ganzen ohne seine jüdischen Mitbürger – und ja, jetzt übertreibe ich bewusst in die andere Richtung – noch in der Steinzeit verharren würde.

    Manchmal ist etwas weniger deutlich mehr.

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