Die Katze lässt das Mausen nicht

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Jean-Marie Le Pen hadert mit seiner eigenen Partei. Die Konflikte mit seiner Tochter & Nachfolgerin eskalieren…

Von Bernard Schmid, Paris

„Wann kratzt der Alte endlich ab?“ Wenn nicht wörtlich so, dann doch zumindest ähnlich lautet die Frage, die derzeit viele Parteifunktionäre und –funktionärinnen beim Front National (FN) – laut oder leise – aufwerfen. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, und Karikaturisten legen der amtierenden Chefin Marine Le Pen solche Ansinnen ausdrücklich nahe[1].

Dem Alten, ihm geht es jedoch erstaunlich gut. Vielleicht hat seine (erst) in den letzten Jahren praktizierte Alkohol-Abstinenz mit dazu beigetragen. Jean-Marie Le Pen gründete im Jahr 1972 den Front National, doch gab am 15./16. Januar 2011 anlässlich eines in Tours abgehaltenen Parteitags offiziell den Parteivorsitz an seine damals 42- und inzwischen 46jährige Tochter Marine ab. Er selbst wird am 20. Juni dieses Jahres mittlerweile 87 Jahre alt, und firmiert seit dem Parteitag von 2011 als „Ehrenvorsitzender“ der neofaschistischen Partei.

Und die Katze lässt das Mausen nicht. Am Donnerstag, den 02. April 15 machte Jean-Marie Le Pen ein weiteres Mal auf sich aufmerksam, indem er seine relativierenden Aussprüche über die Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg bekräftigte. Er war in einem Interview dazu provoziert worden, noch einmal Stellung zu seinem erstmals 1987 getätigten – und im Dezember 1997 in München, in Gegenwart von Franz Schönhuber, wiederholten – Ausspruch über „die Existenz der Gaskammern, ein Nebenumstand der Geschichte“ zu nehmen. Für dieses Zitat, das erstmals im Rahmen eines Fernsehinterviews vor bald achtundzwanzig Jahren fiel, war Jean-Marie Le Pen im Jahr 1991 zu umgerechnet rund 200.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden.

Von der Wiederholung wird es nicht besser

Doch Jean-Marie Le Pen wäre nicht er selbst, hätte er seinen Ausspruch nicht ausdrücklich bekräftigt, nachdem er durch den TV-Starjournalisten und Sensationsreporter Jean-Jacques Bourdon dazu geradezu aufgefordert worden war. Bedauerte er seine Worte? „Absolut nicht, zu keinem Zeitpunkt. Was ich sagte, entspricht dem, was ich denke. Dass die Gaskammern einen Nebenumstand in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs waren – es sei denn, man möchte behaupten, der Krieg sei ein Nebenumstand der Gaskammern.“ Die Staatsanwaltschaft Paris leitete ein strafrechtliches Vorermittlungsverfahren dazu ein.

Die Debatte um die ursprüngliche Aussage von Jean-Marie Le Pen hat sich seit 1987 stets nur an dem Punkt dieses einen Ausdrucks, „Nebenumstand“ (im Wortlaut: point de détail), festgefressen. Dabei waren die ursprünglichen Aussagen des FN-Gründers und langjährigen Parteivorsitzenden in Wirklichkeit viel schlimmer. Denn sie begannen mit einer offenen Infragestellung der Existenz der Gaskammern: „Sechs Millionen Tote, wie? Ja, bin ich denn dazu verpflichtet, daran zu glauben? Wissen Sie, es gibt Fragen, die die Historiker bis heute nicht geklärt haben, wie den Untergang der Lusitania“, eines im Ersten Weltkrieg versenkten Dampfers. Den Ausdruck vom „détail“, der allein im kollektiven Gedächtnis hängen blieb, benutzte Le Pen senior erst am Ende der damaligen Interviewsequenz, um die Debatte zu beenden, nachdem er Widerspruch von mehreren Journalisten geerntet hatte.

Nicht alle in seiner Partei sind darüber glücklich, dass der alternde Parteigründer einmal mehr allzu offensichtlich in seinen eigenen Fußstapfen wandelt. Angefangen bei seiner Tochter Marine Le Pen, die noch am selben Tag ihr „tiefes Uneinverständnis“ mit ihrem Vater bekundete. Der ihr nahe stehende Parlamentsabgeordnete der extremen Rechten Gilbert Collard, ein medienträchtiger Anwalt, beeilte sich, per Twitter seinen Widerspruch zu bekunden. Die Shoah sei „das Grauen des Grauens“, und Jean-Marie Le Pen sei inzwischen „ein wandelndes Flugblatt für Manuel Valls“, den sozialdemokratischen Premierminister, also den derzeitigen politischen Hauptgegner. Der politische Zwist war nicht nur gefaked, und Jean-Marie Le Pen konterte bei Twitter umgehend öffentlich zurück: „Halt doch Dein Maul! Du Collard!“, was ganz offensichtlich eher connard – also ungefähr „Vollidiot“ – heißen sollte.

Schädlich oder nützlich für die extreme Rechte?

Keineswegs gesichert ist allerdings, dass solche Ausfälle der modernisierten neofaschistischen Partei auch wirklich schaden. Die Pariser Abendzeitung Le Monde zitiert etwa die in den USA unterrichtende französische Sprachwissenschaftlerin Cécile Alduy: „Diese Art von Aussprüchen schwächt nicht unbedingt Marine Le Pen. Es verstärkt des Storytelling bezüglich der ,Entdiabolisierung‘“ – die seit Januar 2011 amtierende Parteichefin rief seitdem ihre Strategie der dédiabolisation aus, unter anderem durch Distanzierung von jeglichem offenen Antisemitismus – „und erlaubt es Marine Le Pen, sich von ihrem Vater zu unterscheiden, indem sie angibt, es bestehe eine tiefgreifende Differenz.“ Zugleich, so lässt sich hinzufügen, bleibt der Partei weiterhin die Aufmerksamkeit erhalten.

Drei Wochen nach ihrer Übernahme des Parteivorsitzes hatte Marine Le Pen im Wochenmagazin Le Point vom 03. Februar 2011 erklärt, die Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten seien „der Gipfel der Barbarei“. Seitdem wird sie in aller Regel mit Vorwürfen bezüglich eventueller Spuren von Antisemitismus vollkommen in Ruhe gelassen. Tatsächlich ist die 46jährige selbst der Auffassung, wie andere Angehörige ihrer Generation innerhalb der extremen Rechten, dass heute keine politischen oder ideologischen Erfolge mit dem Versuch einer Rehabilitierung des historischen Faschismus oder Nazismus zu erzielen seien – dies seien die Schlachten von gestern, die bereits verloren und abzuschreiben seien. Entsprechend verzichtet sie auf Geschichtsrevisionismus, aber auch auf expliziten Antisemitismus, zumal ihr Lebensgefährte Louis Aliot in der Großelterngeneration aus dem jüdischen Segment der französischen Kolonialgesellschaft in Algerien stammt.

Auch der Vorsitzende des seit den 1990er Jahren ausgesprochen konservativ dominierten jüdischen Dachverbands CRIF, Roger Cukierman, attestierte Marine Le Pen am 23. Februar 2015, ihr sei „persönlich unbescholten“, ihr sei nichts vorzuwerfen. Ihre Partei hingegen gelte es „zu vermeiden“, wegen „der Holocaustleugner, Vichy- und Pétain-Anhänger“ in ihren Reihen. Damit reduzierte er allerdings das Problem der extremen Rechten fast allein auf ihre Ewiggestrigen, denn jene beim FN, die sich positiv auf Pétain beziehen – es gab sie in der Vergangenheit zur Genüge – sind allmählich weggestorben, und die jungen Generationen der extremen Rechten interessieren sich eher wenig für den schon bei Machtantritt im Jahr 1940 greisen Marschall. Und während Marine Le Pen munter einen ethnisch grundierten Nationalismus predigt und die soziale Frage systematisch zu einer „nationalen Frage“ umbiegt, die es durch Protektionismus, einen lenkenden Staat und einen Pakt von nationaler Arbeit und nationalem Kapital zu lösen gelte, scheint dies alles unproblematisch, so lange sie es nur nicht mit offenem Antisemitismus verbindet. Eine höchst problematische Sichtweise. Cukierman ist allerdings für seine persönliche Rechtslastigkeit bekannt und hatte bereits 2002 einem Wahlerfolg des damaligen Kandidaten Jean-Marie Le Pen zugute gehalten, er signalisiere immerhin „den jungen Moslems, sich ruhig zu verhalten“.

Kurzer Rückblick auf die jüngsten Bezirksparlamentswahlen

Vor den jüngsten Bezirksparlamentswahlen in 97 von 101 französischen Départements, die am 22. und 29. März stattfanden, hatten die Leitmedien sich stark auf skandalträchtige Äußerungen einiger FN-Kandidaten fokussiert. Wirklich geschadet hat es der Partei nicht. Einige besonders skandalumwitterte Kandidaten erhielten hohe Ergebnisse, sofern ihre Bewerbungen nicht durch die Partei annulliert worden waren. Chantal Clamer in Südwestfrankreich etwa, die ebenso gegen Muslime wie gegen Lesben gehetzt hatte, erzielte über 33,5 Prozent. Doch in Umfragen erklärten 64 Prozent der FN-Wähler/innen, sich ohnehin durch solche Affären nicht in ihrem Stimmverhalten beeinflussen zu lassen. Die Skandale sicherten dem FN also eher Aufmerksamkeit. Ansonsten blieb der Wahlkampf weitgehend farb- und tonlos, was auch kein Wunder war, da vor der Abstimmung noch nicht einmal klar war, welche Kompetenzen die jetzt frisch gewählten Bezirksregierungen und Départementsräte künftig haben werden. Denn im Zuge der Fusion, die die Zahl der Regionen von 22 auf 13 verkleinern soll, werden auch die anderen Gebietskörperschaft „reformiert“, mit derzeit offenem Ausgang. In vielen Leitmedien erschien deswegen das Abschneiden des Front National im Vorfeld als wichtigste Frage überhaupt, die auf dem Spiel stehe.

Nachdem der FN dadurch in den Vorwahlumfragen stark nach oben gespült worden war, bis zu einem Anteil von 33 Prozent der Wahlabsichten, fiel er gegenüber diesen Prognosen wieder ein Stück ab. Doch mit 25,2 Prozent erhielt er trotzdem ein wahres Rekordergebnis – noch nie hatte er auf landesweiter Ebene in solcher Höhe abgeschnitten. Gegenüber der Europaparlamentswahl vom Mai vorigen Jahres sind es nochmals 0,3 Prozent der Stimmen mehr. In absoluten Zahlen gesprochen, erhielt der FN bei der Europawahl 4,8 Millionen und im ersten Durchgang der Bezirksparlamentswahlen 5,1 Millionen Stimmen. Nur bei der Präsidentschaftswahl war die absolute Wählerzahl noch höher, aufgrund einer stärkeren Beteiligung. Die Wahlenthaltung, die mit 57 Prozent prognostiziert worden war, lag mit rund 50 Prozent in beiden Wahlgängen etwas niedriger als vorausgesagt.

Jean-Marie Le Pen schüttet Öl ins Feuer nach

Infolge der Aussprüche im TV-Interview  vom 02. April 15 schwelte der Konflikt zwischen Jean-Marie Le Pen und Marine Le Pen, welch Letztere solcherlei Äußerungen unstrittig für taktisch und stretagisch schädlich hält, bereits heftig. Doch dann legte Jean-Marie Le Pen noch eine Ladung nach – und ließ den Schwelbrand zum offenen Feuer werden.

Ausgerechnet in der nur mit circa 3.500 Exemplaren Auflage erscheinenden, altfaschistischen Hardcorezeitung Rivarol (Ausgabe vom 09. April 15, welche unter dem Titel „Jean-Marie Le Pen, der letzte frei Mann“ erschien; Original liegt dem Verfasser vor) erschien nun ein ausführliches Interview mit dem Parteigründer. Die 1951 gegründete Wochenzeitung scharte Jahrzehnte hindurch das Häuflein der „letzten Ausrechten“, den inneren harten Kern der unverbrüchlich treu zum historischen Faschismus Stehenden zusammen. Zwar hat ein gewisser Generationswechsel stattgefunden (und ist die Leserschaft in den letzten Jahren infolge der Pleite anderer rechtsextremer Publizistikorgane leicht angewachsen). Doch klar ist, dass man bei Rivarol – anders als in der jungen Generation der Parteiführer/innen beim FN – keinerlei Mühe darauf gibt und auch keinen Wert darauf legt, den eigenen faschistischen Charakter oder etwa den eigenen Antisemitismus irgendwie zu überschminken.

Bereits einmal hatte ein in Rivarol erschienenes Interview Marine Le Pen in Rage versetzt, und zwar im Januar 2005. Damals hatte ihr Vater dort zum Besten gegeben, dass „die deutsche Besatzung (in Frankreich) nicht sonderlich unmenschlich“ gewesen sei. Daraufhin zog Marine Le Pen – welche ihr Vater damals bereits auf die spätere Übernahme des Parteivorsitzes vorzubereiten suchte – sich für einige Monate in das Herkunftshaus der Familie, in der Bretagne, zurück. Heraus kam dann Marine Le Pens 2006 publiziertes, teilweise autobiographisches Buch A contre-flots (ungefähr „Gegen die Wellen“).

Nunmehr legte Jean-Marie Le Pen also im April 2015 nochmals kräftig nach. Und er teilte in mehrere Richtungen gründlich aus. So versicherte er wörtlich: „Ich habe den Marschall Pétain nie als Verräter betrachtet.“ Offener denn je in dieser Frage. Er behauptete ferner: „Wir werden auf allen Ebenen von Migranten regiert.“ Etwa durch Premierminister Manuel Valls, welcher in Spanien geboren und 1982 eingebürgert wurde: „Er ist Franzose seit dreißig Jahren, und ich seit 1.000 Jahren.“ (Man wusste zwar, dass Jean-Marie Le Pen in fortgeschrittenem Alter ist, aber anscheinend wurde es bislang doch noch unterschätzt!)

Jean-Marie Le Pen gab ferner an, man werde „nie so gründlich verraten wie von den Seinen“, eine offenkundige Anspielung auf bestimmte Familienmitglieder. Und es gebe ein Problem mit „linksnationalistischen Ideen in der Partei“. Auf diese Weise suchte er die Abgrenzung von der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskurspolitik seiner Tochter, die stark auf Sozialdemagogie beruht und eine Art zeitgenössischer, modernisierter und verbal etwas moderaterer Strasser-Linie fährt. (Nämlich in Anspielung auf den Demagogen Gregor Strasser vom so genannten „linken“ Flügel der NSDAP, der Adolf Hitler zu starke Nähe zum Großkapital vorwarf – doch zeitweilig selbst ebenfalls von Letzterem finanziert wurde.) Diese Sozialdemagogie überdeckt zwar oft nur notdürftig die tatsächliche, elitäre Ausrichtung der Partei. Marine Le Pen spielte etwa, aus taktischen Gründen, im Januar 2015 die Sympathisanten von Syriza in Griechenland – um den argumentativen Hauptschlag gegen die EU zu führen -, doch als die griechische Linkspartei nach ihrem Wahlsieg vom 25. Januar d.J. über die Streckung von Schulden neu verhandeln wollte, wandte sich der FN in einer Stellungnahme sofort strikt gegen eine solche „unverantwortliche“ Idee.  Und im Bezirksparlamentswahlkampf im März 2015 wandte sich der FN vielerorts gegen die (von Bezirksregierungen gewährten) Sozialleistungen und angebliche „Sozialbetrüger“ – eine Tatsache, die übrigens von manchen Parteifunktionären im Nachhinein als Grund dafür genannt wurde, warum man doch „nur“ 25 Prozent und nicht die erwarteten über dreißig Prozent der Stimmen erhielt.

Als Beispiel dafür, warum die Partei unter Marine Le Pen auf einen sträflich sozial-versprecherischen Kurs gegangen sei, nannte Jean-Marie Le Pen die oberflächliche Anpassung der rechtsextremen Partei in ihrem Diskurs zur Rentenproblematik. Unter dem Eindruck der starken sozialen Protestbewegung im Sommer und Herbst 2010 gegen die Anhebung des Rentenalters hatte Marine Le Pen auf einen Schlag das im Internet publizierte Programm ihrer Partei ausgetauscht – und die bis dahin bestehende Befürwortung einer Anhebung des Rentenalters (Mindestalter auf 65 statt bislang 60) sowie einer Teilprivatisierung des Rentensystems formal gestrichen. Vordergründig forderte nun auch der FN, aus wahl- und diskurstaktischen Gründen, die Beibehaltung eines Mindest-Renteneintrittsalters mit 60. Ihr Vater gab nun jedoch in dem Interview zu verstehen, dies hätte nicht sein dürfen. Zu viel Strasser ist nicht gut (… wenn man auf Hitler und Pétain abfährt?).

Vor allem die gar zu ungeschminkten Ausführungen zu Pétain, und zum „Verrat“ durch „die Seinen“, ließen wohl bei Marine Le Pen und anderen Führungsleuten die Galle überlaufen. Die Tochter forderte nunmehr den Vater in der Öffentlichkeit explizit dazu auf, die aktive Politik zu verlassen. Ihr Vizepräsident, der manchen Leuten in der Partei als zu moderat auftretender „Technokrat“ geltende Florian Philippot, forderte ihn seinerseits aus, sich doch bitte lieber einen Parteiaustritt zu überlegen. (Was ihm aber anscheinend in Teilen des FN krumm genommen wird.) Der Lebensgefährte der Parteichefin, Louis Aliot, sprach von einem „nicht wieder zu kittenden Bruch“ mit dem Alten – sprach sich jedoch gegen einen Parteiausschluss aus; und zwar weil er selbst ursprünglich, als damals circa 19jähriger – es war 1988 -, „wegen Jean-Marie Le Pen zur Partei gekommen“ sei.

Inzwischen haben sich die Dinge jedoch noch zugespitzt. Die Parteiführung kündigte an, falls Jean-Marie Le Pen an seinen lauthals verkündeten Ambitionen auf eine Spitzenkandidatur bei den Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 in Südostfrankreich – in der Region PACA (Raum Marseille bis Nizza) festhalten wolle, dann werde man ihm die Kandidatur verweigern. Ja, man werde für den Fall, dass er trotz allem antrete, einen parteioffiziellen Gegenkandidaten zu ihm aufstellen[2]. Jean-Marie Le Pen selbst erklärte dazu in der Sonntagszeitung JDD vom 12. April 15, wenn überhaupt, dann werde er nur allenfalls zugunsten seiner Enkelin (und Nichte von Marine), der 25jährigen Parlamentsabgeordneten und Jurastudentin Marion Maréchal-Le Pen, auf eine Kandidatur verzichten: „Wenn ich nicht antrete, dann sehe ich nur Marion (als diejenige), die mich ersetzen könnte!“[3] Die junge Abgeordnete steht in vielen aktuellen Fragen näher an den Positionen des Großvaters (bspw. 2012/13 für eine stärkere Beteiligung an der Protestbewegung gegen die Homosexuellen-Ehe, während ihre Tante Marine Le Pen in dieser Hinsicht weitaus eher für eine Strategie der Zurückhaltung eintrat). Auch wenn sie seine jüngsten Auslassungen vom 02. April 15 ebenfalls kritisierte, versucht er doch, sie zur Nachfolgerin neben Marine Le Pen aufzubauen.

Laut jüngsten Umfragen sprechen sich 91 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen und 87 Prozent der befragten FN-Wähler/innen dafür aus, dass Jean-Marie Le Pen in den politischen Ruhestand wechseln solle[4]. Und 67 Prozent der Sympathisant/inn/en wünschen ähnlichen Quellen zufolge auch seinen Rückzug aus der Partei[5].

Allerdings steht zu vermuten, dass es in der aktiven Mitgliedschaft noch Kräfte gibt, die einen alsbaldigen Abgang des Alten ungern sähen, da er in ihren Augen noch dazu da ist, eine zu starke ideologische „Aufweichung“ zu verhindern. Eine solche dürfte zwar nicht anstehen (und 65 Prozent geben in der Umfrage auch logisch richtig an, ein Abgang Jean-Marie Le Pens würde „nichts an ihrer Sichtweise auf die Partei ändern“). Doch jedenfalls in der Frage des Antisemitismus gibt es einen echten ideologischen Dissens zwischen verschiedenen Protagonisten innerhalb der Partei: Während Louis Aliot etwa der wiederholt verbreiteten Auffassung ist, dass „unsere Verteufelung allein an dem uns unterstellten Antisemitismus hängt“ – man müsse also nichts  am Ethnonationalismus der Partei ändern, jedoch lediglich den Antisemitismus verabschieden -, würde Jean-Marie Le Pen genau dies als ein „Sich-Verkaufen ans System“ betrachten.

[1] Vgl. http://xaviergorce.blog.lemonde.fr/2015/04/11/apres-lui/

[2] Vgl. http://actu.orange.fr/politique/paca-si-jean-marie-le-pen-se-presente-aux-regionales-le-fn-investira-un-candidat-contre-lui-francetv_CNT0000008UBEN.html

[3] Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2015/04/12/regionales-en-paca-jean-marie-le-pen-adoube-sa-petite-fille_4614481_823448.html

[4] Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/04/10/97001-20150410FILWWW00378-sondage-9-francais-sur-10-contre-le-pen-pere.php

[5] Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2015/04/11/97001-20150411FILWWW00028-jean-marie-le-pen-67-des-sympathisants-fn-souhaitent-son-depart.php