Imre Kertész’ „Liquidation“ als Bühnen-Hörspiel in Frankfurt…
Von Cornelia Fiedler
Kunst nach Auschwitz, sagte Imre Kertész 2002 in seiner Rede zur Nobelpreisverleihung, müsse immer diesen Bruch spürbar machen, so „als blicke man nach einer Nacht voller Albträume zerschlagen und ratlos in der Welt umher.“
In Kertész’ Roman „Liquidation“ aus dem Jahr 2003 ist es eben jene Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Schreibens über Auschwitz und, mehr noch, eines Weiterlebens nach Auschwitz, die die Protagonisten quält: Zeitlebens hat sich der jüdische Schriftsteller B. geweigert, seine eigene Geschichte literarisch zu verarbeiten, dabei könne nur Kitsch herauskommen. Er wurde 1944 im Konzentrationslager geboren und sieht sich als „einmalige Betriebspanne“ in der Logik der Vernichtung. B. begeht Suizid und hinterlässt seinem Lektor Keserü eine „Komödie“ mit dem Titel „Liquidation“, die auf unheimliche Weise die kommenden Ereignisse vorwegnimmt.
Kertész hat seinen Roman also rund um das fiktive Drama eines Toten konstruiert, als paradoxes Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit. Das klingt eigentlich nach einem idealen Stoff für die Bühne. Dass er sich dort aber als extrem tückisch erweist, zeigt die deutschsprachige Erstaufführung der renommierten Regisseurin Stephanie Mohr am Schauspiel Frankfurt.
Mohr verweigert das Naheliegende: Sie zeigt in ihrer Inszenierung in den Kammerspielen keine Rekonstruktion der Dialoge aus B.’s Theaterstück, das die Schritte und Gedanken der Hinterbliebenen schicksalhaft vorzeichnet. Stattdessen lässt sie Keserüs fanatische Suche nach einem alles erklärenden Lebenswerk B.’s, seine fatalen Entdeckungen und die folgende Zerstörung mehrerer Leben nicht spielen, sondern hörspielartig erzählen und vorlesen: von Wolfgang Michael, der seinen B. mit jener Abgeklärtheit, die man Toten unterstellt, zwischen den Lebenden wandeln lässt und diese beim Wiederkäuen seines eigenen Textes mal zugewandt, mal überheblich unterstützt; vom verknautscht, aber nicht existenziell zerstört wirkenden Till Weinheimer als Lektor Keserü; und von Sabine Waibel als B.’s Exfrau Judit, die die erste Stunde des Stücks in einer Badewanne zubringt und freundlich distanziert aus dem Manuskript zitiert.
Bei Bedarf übernehmen die drei auch weitere Rollen, etwa B.’s Geliebte Sara und Judits neuen, lebensfrohen Mann Adam, zu dem sie aus der selbstzerstörerischen Gemeinschaft mit B. geflohen ist. Erst in der zweiten Hälfte erlaubt die Regisseurin den Schauspielern ein paar direkte Dialoge und Emotionen. Keserü stellt Judit zur Rede, und irgendwann bricht es aus ihr heraus: Sie erzählt, wie der vergötterte Schriftsteller ihr und sich selbst das Leben zur Hölle gemacht hat, indem er versuchte, das Grauen von Auschwitz wieder und wieder zu durchleben, weil er sich selbst sein Überleben nicht verzeihen konnte.
Mohr und ihr Dramaturg Michael Billenkamp versuchen eine ruhige, respektvolle Annäherung an den Roman. Das komplexe Spiel mit den Erzählebenen, die quälende Auseinandersetzung der Lebenden mit ihren Rollen in der „Komödie“ des Toten, bekommen sie dabei aber nicht zu fassen. Mit diesem ontologischen Dilemma setzt sich vor allem die Bühnenbildnerin Miriam Busch auseinander: Sie hat nicht nur den Boden mit Schreibtischen, Sesseln und anderen Möbeln vollgepackt, sondern auch Rückwand und Decke. Dort finden sich Duplikate, aber auch Variationen der „realen“ Einrichtung unten. So entsteht ein Raum voller Wirklichkeitsverschiebungen und -brüche, der tatsächlich irritiert. Mohrs Inszenierung dagegen bleibt hinter der Verunsicherungskraft des Roman zurück.