Nähe in Zeiten des Krieges

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Solange ich online bin, bin ich im „Krieg“. Und zwar mittendrin…

Von Ramona Ambs

An Erev Shabbat explodieren im Sekundentakt die Meldungen über den Raketenalarm in meiner Timeline bei Facebook und auf Twitter: Limor reißt ihr Baby aus dem Schlaf und rennt mit ihm ins Treppenhaus bis ein Knall signalisiert, dass Iron Dome, das Raketenabwehrsystem Israels, seine Arbeit erledigt hat. Keren hat vergessen die Kerzen zu löschen und hat nun im Schutzraum Angst, dass etwas anbrennen könnte und Nurit hat immer Probleme, ihre Oma samt Rollator rechtzeitig in den Flur zu bugsieren…

Das geht schon die ganzen letzten Tage so. Zwischen Meldungen über die Fußball-WM, den neusten Katzenbildern und Photos vom ersten selbstgebackenen Kuchen sammeln sich pünktlich zum Sirenenalarm die kurzen Mitteilungen meiner Freunde in Israel in meiner Timeline: rocket alert in tel aviv just right now heißt es, oder auch einfach boom, boom again oder Raketenalarm 🙁. Als Ronen am Morgen gerade mit seinen Kindern zum Kindergarten los will, muss er mit ihnen zurückrennen und warten. Warten bis das laute BOOM anzeigt, dass die Raketen zerstört oder abgelenkt wurden, und man nun wieder raus kann. Und so senden meine Freunde via Tweets und Updates im Grunde nur eine Message:

es ist schrecklich – wir sind noch da.

Und natürlich sind sie alle auch noch witzig dabei… Alina freut sich, dass ihr das morgendliche Genöle erspart bleibt, weil die Sirenen punkt acht Uhr losgehen und das Kind sofort aus dem Bett gehüpft ist… am nächsten Morgen beschwert sich Avinoam darüber, dass der Hamasbeschuss so unpünktlich sei, dass man sich überhaupt nicht drauf verlassen könne. Ben beschwert sich, dass, während er im Schutzraum sitzt, sein Kaffee kalt wird…und Moran schließlich twittert, dass der Anblick des halbnackten Nachbarn mit Zahnbürste im Mund auch eine Form von Terrorismus sei. Und zwar keine geringe….

Freunde aus Ashdod, Tel Aviv, Herzliya, Beer Sheva melden sich, schreiben kleine Botschaften gegen die Angst und gegen die Hilflosigkeit. Und ich bin mittendrin, quasi zeitgleich dabei und gleichzeitig so weit weg. In Sicherheit. Eine Sicherheit, die sich nicht richtig, nicht fair anfühlt. Eine Sicherheit, die beinah ohnmächtig macht. Und die dazu führt, dass das zweifelhafte Privileg: das Zuklappen des Macbooks, das Abschalten des Krieges – nicht mehr möglich ist.

Gleichzeitig posten andere Freunde Photos von Opfern in Gaza. Dass sich einige der Photos dabei als Fälschungen erweisen, macht die Sache nicht besser. Denn auch wenn das blutüberströmte Kind auf dem Bild ein Opfer des Syrienkrieges ist und nun zweckentfremdet wurde, um zu zeigen wie bestialisch doch die Israelis sind, bleibt ja dennoch wahr: es sterben Menschen in Gaza. Auch Unschuldige. Weil die Abschussstellen der Raketen quasi im Schulhof, Wohnhaus oder Kindergarten stehen. Und weil die Hamas verlauten ließ, dass jeder, der sein Haus nach israelischen Warnungen vor einem Bombenangriff verlässt, als Kollaborateur gilt. Schließlich will man ja möglichst hohe Opferzahlen, wenn möglich auch Kinder. Kein Wunder also, dass Golda Meirs Zitate auf Facebook die Runde machen:

Zitat Golda Meir

Und diese Zitate werfen philosophische Fragen auf. Fragen nach Verantwortung, Fragen nach Moral – zu große Fragen für kurze Tweets, zu schwere Fragen für eine lockere Facebook-Plauderei. Und deshalb kommen nach Golda und den kurzen virtuellen Belehrungen Richtung Israel und den ebenso kurzen virtuellen Dämonisierungen Richtung Gaza auch ganz rasch wieder Katzenbilder, Fußballanalyse, Urlaubsphotos und Kochrezepte… bis zum nächsten BOOM,- der mich dann wieder mitten rein zieht in den Krieg. Und der letztlich klar macht, dass nur eins wichtig ist: dass es aufhört.