70 Jahre nach dem ungarischen Holocaust

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Mazsihisz, der Verband jüdischer Gemeinden Ungarns wird nicht an den staatlichen Feiern zur Erinnerung an den freundlichen Empfang der Wehrmacht in Ungarn (19. März 1944) und an die Deportation nach Auschwitz von über einer halben Million ungarischer Staatsbürger, die – bereits drei Jahre vor der deutschen Besatzung – durch das ungarische Rassengesetz als Juden markiert worden waren, teilnehmen…

Von Karl Pfeifer

Die Regierung Orbán möchte die Geschichte umschreiben lassen*, um davon abzulenken, dass ohne die aktive Beteiligung der weiter unter Reichsverweser Horthy amtierenden ungarischen Regierung und ihrer Gewaltorgane nicht in kürzester Zeit 835.000 Personen gettoisiert und enteignet hätten werden können. Die Gaskammern in Auschwitz-Birkenau konnten kaum Schritt halten mit dem Tempo der aus Ungarn ankommenden Deportationszüge im Frühjahr 1944.

So kommt es 70 Jahre später zu einem wirklichen Hungaricum, zur staatlichen Erinnerung an den Holocaust ohne Beteiligung der jüdischen Gemeinden, die nicht in die Planung und Konzeptgestaltung z.B für die Errichtung eines „Haus des Schicksals“ eingebunden wurden. Dafür aber hat Mária Schmidt, die Stichwortgeberin von Orbán, eine „Holocaustrelativiererin“ und „Geschichtsfälscherin“ (László Karsai), den deutschen Hochschullehrer Michael Wolffsohn als Mitglied eines internationalen Rates ernannt. Mazsihisz veröffentlichte auf ihrer Website den in ungehörigen Ton verfassten Schmähbrief von Wolffsohn an András Heisler, den Vorsitzenden dieser Organisation und dessen würdevolle Antwort in ungarischer und englischer Sprache. ((http://www.mazsihisz.hu/index.php?nid=6898))

Am 15. März feierte Ungarn den Jahrestag der bürgerlich-demokratischen ungarischen Revolution 1848. Ministerpräsident Orbán sagte in seiner Gedenkrede: „… wir haben unsere Kämpfe gefochten. Gegen solche Feinde, die größer und stärker schienen: Die Geldwelt, die Reichshauptstädte, Naturkatastrophen.“ Orbán liebt es im tiefsten Frieden, eine kriegerische Diktion zu gebrauchen und ließ diesmal implizit die antisemitische Verschwörungstheorie mitklingen, laut der sich die halbe Welt verschworen hat gegen das kleine Ungarn, womit von der eigenen Verantwortung für die traurige Realität abgelenkt werden soll.

Explizit antisemitisch hingegen war die Rede von János Hargitai, Parlamentsabgeordneter der Stadt Mohács (Fidesz) und Leiter des staatlichen Amtes des Komitats Baranya, der behauptete, „die Rothschilds und die internationale Banken“ hätten die Revolution und den Freiheitskampf 1848-49 niedergeschlagen. „Damals die Rothschilds und jetzt der IWF“. Seriöse ungarische Historiker haben zwar erklärt, dass dies Unsinn ist, aber das wird in den fideszhörigen staatlichen Medien – wie so vieles andere – verschwiegen.

Viktor Orbán hat wieder einige Preise der Horthyregierung eingeführt, die an Nationalfeiertagen verteilt werden, doch den Kossuthpreis hat der Kommunist Rákosi eingeführt und diesen erhielt u.a. die Schriftstellerin Anna Jókai, die oft und gerne Fidesz und dessen Anführer unterstützt. Die linksliberale Wochenzeitung Magyar Narancs zitiert die Begründung und meint ironisch sie hätte diesen mit 22 Millionen Forint dotierten Preis erhalten, weil sie keine Jüdin ist, nämlich: „…Für die herausragende Vertretung des nationalen und christlichen Zweigs der urbanen Literatur.“

Franz Grillparzer meinte seinerzeit „Der Weg der neueren Bildung geht von Humanität durch Nationalität zur Bestialität.“

Leider ist dies aktueller denn je.

Hinweis: Die aktuelle Ausgabe der Berliner Wochenzeitung Jungle World hat einige Artikel zu diesem Thema veröffentlicht.