Zur Kritik der „Karawane“ an der Situation der Flüchtlinge in Israel…
Von Christoph Linge
Unbestritten hat sich die „Karawane“ ihre Verdienste erworben bei der Unterstützung des Kampfs der Flüchtlinge in Deutschland: dass man hierzulande inzwischen über Flüchtlinge zumindest redet, dass es punktuell durchaus Verbesserungen für deren Lage zu verzeichne gibt.
Wie dick die Bretter sind, die dabei gebohrt werden müssen, zeigt die jüngste Geschichte „unserer“ Flüchtlinge hier in Konstanz. Aber: nicht jeder, der geduldig dicke Bretter bohrt, ist davor gefeit, selber welche vor dem Kopf zu haben.
Anderes lässt sich nicht sagen angesichts dessen, was letztens auf der Webseite der „Karawane“ zu den Flüchtlingsprotesten in Israel zu lesen oder auf dem ebenfalls dort zu findenden Video unter dem Banner „Solidarity with the refugees“ zu sehen und zu hören war.
Der Reihe nach: Erstmal werden die Flüchtlinge mächtig gelobt für ihr entschlossenes Auftreten. Anerkennend wird festgestellt, dass sie sich dabei nicht von „paternalistischen NGOs“ hätten bevormunden lassen — wenn man doch dasselbe auch und gerade hierzulande auch immer sagen könnte. Und: warum eigentlich sollten israelische Unterstützer von vornherein paternalistisch sein? Natürlich könnte, sollte, müsste Israel mehr tun für „seine“ Flüchtlinge. Allerdings: immer noch ist es Europa, das die „besten“ Festungen baut. Und derer sollten wir als hier lebende uns zunächst annehmen.
Aber darum, um die Kritik am israelischen Handling der Flüchtlingsfrage geht es gar nicht: der Kern der Botschaft ist die Kritik an Israel an sich. Und zwar an seiner Existenz.
Folgerichtig ist auch kaum von Israel die Rede, sondern (schon in der Überschrift) vom „1948 besetzten Palästina“, vom „zionistischen Projekt“, bestenfalls der „israelischen Regierung“.
Diese Diktion steht in bester Tradition erklärter Israelhasser wie Ahmedinedschad und Nasrallah.
Wir lesen weiter:
— „Das zionistische Projekt…..hat seine Hand in bewaffneten Konflikten…..“
— von „Migranten jüdischer Herkunft aus aller Welt, die in den meisten Fällen keine Flüchtlinge sind und eine andere Staatsangehörigkeit besitzen….“
— von der „rassistischen und kolonialistischen Denkart des zionistischen Projekts“
— „Der Rassismus…..gegen afrikanische Flüchtlinge…. hat seinen Ursprung in der kolonialen Geschichte Israels.“
— „…diese rassistische und kolonialistische Politik, die unsere Länder ausbeutet und zerstört“.
Am Stereotyp des antijüdischen Ressentiments fehlt es also nicht:
— der Jude verdirbt die anderen Länder, der Jude hat seine Finger in bewaffneten Konflikten anderswo mit drin.
— Die reichliche Verwendung des Wortes „Kolonialismus“ lässt ja qua definitionem nur den Schluss zu, dass es anderswo einen Hauptstützpunkt geben muss als Ausgangspunkt für die Ansiedelung in fremden Gebieten.
Der „richtige Judenkenner“ weiss natürlich, wo sich der befindet: im Geheimen, Verborgenen natürlich.
So, wie es sich für die jüdische Weltverschwörung eben gehört. „Die Juden sind unser Unglück“, das wusste in Deutschland ein Heinrich von Treitschke schon vor 135 Jahren. Und in diesem Sinne ist die Kritik an den Verhältnissen für die Flüchtlinge in Israel gerade mal der Aufhänger für die Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates.
Nicht alle in der „Karawane“ wollten diese Art der „Solidarität“ (von und mit Antisemiten) stehen lassen:
Die Sektion München hat wenige Tage später auf das pure Ressentiment hingewiesen, dass da hemmungslos aus der Feder floss, und hat ihrerseits ein Statement verfasst, das sich scharf von der „grossen“ Karawane in Berlin absetzt:
— „Wir halten es für notwendig, angesichts der offen zu Tage tretenden antisemitischen Denkmuster zu intervenieren. Notwendig, weil es keine Option ist, wegzusehen oder es stillschweigend hinzunehmen, dass sich Gruppen, die sich als antirassistisch verstehen und in antirassistischen Zusammenhängen aktiv sind, antisemitische Argumentationsmuster und Motive propagieren und diesen Vorschub leisten.“
— „Mit dem Statement (der „grossen“ Karawane, der Verf.) wird der Staat Israel, gegründet als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden nach der Shoah, als “rassistisch und kolonialistisch” diffamiert und sein Existenzrecht negiert.“
— „Der anhaltende Trend zu aufgerüsteten Grenzen, Konstruktion neuer Flüchtlingsgefängnisse und Entrechtung von MigrantInnen ist global.
Die Situation in Israel kann nur vor dem Hintergrund dieser Konstellation betrachtet werden. Wenn sich die Kritik solcher Zustände aber des Antisemitismus bedient, hat das mit Antirassismus nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil.“
Eben.
Und auch manche der Flüchtlinge sind deutlich weiter als manche ihrer Unterstützer:
Einen schönen Moment gab es bei meinem ersten Besuch bei neuangekommenen Flüchtlingen aus Syrien; nachdem jeder von seiner Geschichte gesprochen hatte, kam die Rede auf die grotesken Seiten des Krieges.
Und als ich da vorsichtig die Frage wagte „You still remember they always told You that Israel was Your biggest problem ever and forever?“, war lautes Gelächter die Antwort.
Btw: wenn man „thecaravan.org“ anclickt, findet man in der Kopfzeile die Links zu allen Sektionen in Deutschland. Der zu „Karawane. München“ allerdings funktioniert schon seit Tagen nicht: Technischer Defekt oder Ausdruck des Stands der Diskussionskultur in der „Karawane“?
Nachtrag:
— die Mitmenschlichkeit gebietet es, dass man im Zusammenhang „Flüchtlinge in Israel“ auch und gerade diejenigen erwähnt, die es eben nicht bis dorthin geschafft haben……sondern auf dem Sinai von Menschenjägern festgehalten und gequält werden, um so von ihren Familien auch noch Lösegeld zu erpressen. Von denen hört man gemeinhin eher weniger, weil man deren Schicksal nun wirklich nicht dem „bösen Israel“ in die Schuhe schieben kann.