Deutscher Fußball: Kein Tabu mehr

6
34

Am Samstagabend werden die Mannschaften von Bayern München und Borussia Dortmund im Wembley-Stadion zum größten Fußballereignis des Jahres auflaufen – dem Finale der Champions League…

Von Eli Chazan, Israel ha-Yom, 23.05.13

Für das Finale interessieren sich Fußballfans überall in Europa und besonders in Deutschland, denn zum ersten Mal haben es zwei Clubs aus der örtlichen Liga, der Bundesliga, bis auf die Zielgerade geschafft und dabei die besten Clubs des Kontinents hinter sich gelassen, darunter so große Namen wie Barcelona und Real Madrid.

In diesem Zusammenhang fällt es schwer, nicht an den unsterblichen Spruch des englischen Stürmers Gary Lineker zu denken, der nach dem WM-Halbfinale 1990 erklärte: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“

Lineker hatte sich getäuscht: Die Ergebnisse haben später gezeigt, dass nicht immer die Deutschen gewinnen, sondern dass sein Team, die englische Nationalmannschaft, immer das ist, das verliert. Dennoch kam dem Satz in Israel immer eine besondere Stellung zu. Der Widerwille gegenüber Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust sorgte dafür, dass die Abneigung gegenüber der deutschen Mannschaft über viele Jahre anhielt. Hinzu kamen die Spielweise der Deutschen, die im Gegensatz etwa zum eleganten holländischen Fußball als hässlich galt, und der Name Nationalmannschaft, der für das jüdische israelische Ohr beleidigend klingt. Die deutschen Spieler wurden in den israelischen Medien nicht selten als Maschinen beschrieben, eine Konnotation, die wenig Raum für Missverständnisse ließ.

Die Entfremdung der Israelis gegenüber Deutschland und den deutschen Fußballvereinen hielt auch noch viele Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Beginn der Globalisierung an. Doch in jüngster Zeit scheint es, als habe sich eine spannende Veränderung ereignet, die für ein anderes Verhältnis zu Deutschland im Allgemeinen und zum deutschen Fußball im Besonderen spricht. Es sind nicht nur die warmherzigen politischen Beziehungen zwischen zwei Staaten (wenn auch mit gelegentlichen Verstimmungen), bei denen für die Bundesregierung und Angela Merkel Israel und seine Bedürfnisse zur Staatsräson zählen. Auch die „israelische Kolonie“ in Berlin und die Tatsache, dass sehr viele deutsche Touristen nach Israel und vor allem in die für Europäer so attraktive Stadt Tel Aviv strömen, sorgen für eine menschliche Nähe und verändern die Beziehungen von Grund auf.

Und: Wenn es in der Vergangenheit für den israelischen Fan einfach war, seine feindliche Einstellung gegenüber dem deutschen Fußball durch Argumente wie etwa die wenig attraktive Spielweise zu begründen, so hat der außergewöhnliche und hoch geschätzte Trainer Jürgen Klinsmann bei der deutschen Auswahl 2006 für einen konzeptuellen Wandel gesorgt. Klinsmann hat eine Mannschaft geformt, die begeistert, die einen attraktiven Fußball spielt, der für unerklärliche Sympathien gegenüber seiner Mannschaft gesorgt hat. Danach haben die deutschen Clubs ähnliche, wenn nicht gleiche, Prozesse durchlebt. Dies drückt sich auch durch ein verändertes Verhältnis der Deutschen zum Fußball insgesamt aus: Die Glatzen und Hooligans sind beinahe ganz aus den Stadien verschwunden, und Familien und Studenten haben ihre Plätze eingenommen.

Und so kommt es, dass, während früher junge Israelis dazu neigten, ihre Vorliebe für deutsche Clubs zu verschweigen, sich heute mit Leichtigkeit selbstbewusste Aussagen von Fans finden lassen. So etwa wurde vor einigen Jahren der erste offizielle Fanclub von Bayern München in Israel gegründet. Bayern München hat bedeutende jüdische Wurzeln, was den Club für potentielle israelische Anhänger noch interessanter macht. Am Samstag erscheint es daher schon ganz selbstverständlich: deutscher Fußball auf Hebräisch.

Newsletter der Botschaft des Staates Israel

6 Kommentare

  1. hapoel hat absolut Recht! Ich bin sogar davon überzeugt, dass der Antisemitismus in Deutschland in der Dunkelziffer noch viel höher liegt. Viele werden z.B. bei Umfragen zu diesem Thema nicht ehrlich antworten. Ich habe jedenfalls kaum gute Erfahrungen gemacht.

  2. spanischer, italienischer, englischer und deutscher fussball
    wird international sehr viel gesehen und es gibt auf der
    ganzen welt viele die sich darin sehr gut auskennen.

    J

  3. Abgesehen von den hier üblich beleidigten Miesmachern, die in diesem Portal stets tonangebend sind, kann ich den obigen Beitrag indirekt beihnahe bestätigen (selbst kein Fussballfan).

    Ich war mal ziemlich perplex, als mir so ein junger Bursche im Misrat haPnim (Innenministerium) in Beer Sheva so gut wie alles aus der deutschen Bundesliga erklären konnte… besonders die Namen war’n dem da geläufig, die ich selbst fast gar nicht kannte. (Und der sah wirklich nicht danach aus, als hätte der aus einem deutschen „Dunstkreis“ abstammen können 😉 )

  4. Den Satz mit den Glatzen und Hooligans würde ich so nicht unterschreiben, es gibt ja wohl, ohne Namen zu nennen, ausgemachte Nazivereine in den Bundesligen.

    Erwähnenswert wäre vieleicht noch, dass bis letzten Jahres zwei Israelis beim 1. FCK spielten. Da vor allem Itay Shechter (vorher übrigens bei Hapoel) sich als Fehlinvestition heraus stellte – der 1.FCK stieg bekanntlich ab -, kam es während des Trainings zu hässlichen Szenen, u.a. wurde von Lauternfans (?) der Hitlergruß gezeigt. Dabei hat der FCK nicht umbedingt rechte Fans. Wurde der Vorfall überhaupt mal in Israel thematisiert?

    Fußball blendet und verblendet, bekanntlich. Vielleicht sollte man daher auch wiedermal daran erinnern.
    – Naja, geblendet hat Sport doch schon immer. Wie heißt´s so schön. Brot und Spiele, mehr braucht der Pöbel nicht…

  5. Fußball blendet und verblendet, bekanntlich. Vielleicht sollte man daher auch wiedermal daran erinnern:

    Antisemitismus in Deutschland nimmt stark zu
    Siebzig Jahre nach der Reichspogromnacht ist Deutschland nach wie vor ein Hort des Antisemitismus: In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres gab es bundesweit fast 800 antisemitische und 14.000 rechtsextreme Straftaten.
    http://www.welt.de/politik/article2673269/Antisemitismus-in-Deutschland-nimmt-stark-zu.html

    Jeder fünfte Deutsche ist latent antisemitisch
    Experten haben die Verbreitung von Antisemitismus in Deutschland untersucht. Bis in die Mitte der Gesellschaft gibt es demnach eine Gewöhnung an Judenfeindlichkeit.
    http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-01/deutschland-antisemitismus-bericht

    Expertenbericht: Antisemitismus in Deutschland fest verankert
    Judenfeindliche Einstellungen sind in „erheblichem Umfang“ in der deutschen Gesellschaft verbreitet – auch außerhalb rechtsextremer und islamistischer Kreise. Dies geht aus einem vom Bundestag veranlassten Expertenbericht hervor. Gründe sind „tief verwurzelte Klischees“ oder „schlichtes Unwissen“.
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland-fest-verankert-a-810766.html

    Klar, alles schon mal gehört und massiv unpopulär, und dennoch – Teil unserer bundesdeutschen Realität. Wer die Augen vor lauter Jubel und Sympathie mit der „Siegernation“ verschließt, muss sich vorwerfen lassen, die Realität auszublenden.

    Ich werde jedenfalls nicht so rasch zu einem Bayern-München- oder Borussen-Fan, ich halte lieber weiter zu einer der schlichtesten (=am wenigsten schillerndsten) Mannschaften der Welt, aber zugleich zu einer, die mir nahe steht: Hapoel Tel Aviv
    http://de.wikipedia.org/wiki/Hapoel_Tel_Aviv

    • @hapoel:

      1. Ich werde jedenfalls nicht so rasch zu einem Bayern-München- oder Borussen-Fan, ich halte lieber weiter zu einer der schlichtesten (=am wenigsten schillerndsten) Mannschaften der Welt, aber zugleich zu einer, die mir nahe steht: Hapoel Tel Aviv

      2.Fußball blendet und verblendet, bekanntlich. Vielleicht sollte man daher auch wiedermal daran erinnern.

      Einfach mal so.

Kommentarfunktion ist geschlossen.