„Arisierung“ nannten die Nationalsozialisten die schrittweise Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft. Enteignung und die Beschlagnahmung von Vermögenswerten und Eigentum der Juden vollzog sich überall im Deutschen Reich – auch in Mannheim…
Eine neue Forschungsarbeit von Prof. Dr. Johannes Paulmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, und Dr. Christiane Fritsche, Universität Mannheim, beschäftigt sich mit den Themen Arisierung und Wiedergutmachung. „In keiner anderen deutschen Stadt gibt es dann eine so umfassende Dokumentation zu den Themen Arisierung und Wiedergutmachung und eine Bewertung der Vorgänge“, so Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz bei der Pressekonferenz zur „Arisierung“ mit Blick auf die bevorstehende Veröffentlichung der Studie im Herbst.
Die Forschungsarbeit von Paulmann und Fritsche, die in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte entstanden ist, zeigt die beklemmende Realität der Arisierung in ihrer ganzen Breite. Sie endet allerdings nicht – wie viele andere entsprechende Arbeiten – im Jahr 1945, sondern widmet sich auch dem Umgang zwischen Opfern und Ariseuren in den späteren Restitutions- und Wiedergutmachungsverfahren.
„Wir wollten die Verfolgten nicht aus dem Blick verlieren und die Opfer genau wie die Täter und Profiteure benennen“, erläuterten Paulmann und Fritsche ihre Arbeit. Die Geschehnisse wurden auf Grundlage aller verfügbaren Quellen in umfassender Weise offen gelegt. „Schon 1971 hatte das Stadtarchiv eine damals vorbildliche Darstellung mit dem Titel „Die Judenverfolgung in Mannheim 1933-1945″ herausgegeben. Doch die jetzige Forschungsarbeit von Paulmann und Fritsche geht weit darüber hinaus“, ergänzte Dr. Ulrich Nieß, der Leiter des Stadtarchivs.
In Mannheim wurden Juden ab 1933 aus dem Wirtschaftsleben verdrängt und in ihrer wirtschaftlichen Existenz bereits vernichtet ehe die Deportation nach Gurs im Oktober 1940 begann. Prominentes Beispiel eines Ariseurs ist der Kaufmann Heinrich Vetter, der seit den 80er Jahren einer der größten Mannheimer Mäzene war. „Wir haben diese Forschungsarbeit unterstützt, da uns an der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Rolle Vetters sehr gelegen ist“, so Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Frankenberg, der Vorsitzende der Heinrich-Vetter-Stiftung. Acht Arisierungen können der Familie Vetter nachgewiesen werden; andererseits hat Vetter den Kontakt zu den jüdischen Kaufmannskollegen auch während des Krieges nicht abgebrochen. „Das Verhältnis war also durchaus ambivalent“; schließt Frankenberg.
Wegen seiner späteren Prominenz nimmt Vetter jedoch durchaus eine Sonderstellung in der Mannheimer Geschichte ein. Der Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim e.V. widmet ihm deshalb einen Veranstaltungsabend. „Wir wollen die Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse verdeutlichen und uns auf die Rolle Vetters konzentrieren“, erklärte Barbara Ritter, Vorsitzende des Arbeitskreises.
„Die Forschungsarbeit legt insgesamt 2700 Arisierungsfälle offen. Damit wird deutlich, dass die Arisierung eine zentrale gesellschaftliche Erfahrung war“, ordnet Kurz die Ergebnisse der Studie ein. Die Stadtverwaltung hat sich damals nicht nur an den Enteignungen beteiligt, sondern auch wirtschaftlich in erheblichem Maße von der Arisierung profitiert. „Die Aufarbeitung der Vergangenheit und die öffentliche Erinnerung sind ein wesentlicher Bestandteil städtischer Kultur“, ist der Oberbürgermeister überzeugt. „Mit der Veranstaltungsreihe „Mannheimer Erinnerungskultur zur Arisierung“ suchen wir die historische Aufarbeitung und lebendige Auseinandersetzung, um unserer Verantwortung als Stadtverwaltung gerecht zu werden.“
Die Veranstaltungsreihe umfasst neben einem Vortrag und der Buchvorstellung durch Dr. Christiane Fritsche auch eine Podiumsdiskussion zum Thema „Der lange Schatten des 30. Januar 1933 – Mannheim und die Arisierung“, sowie den Beitrag des Arbeitskreises Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim e.V. „arisieren – verschweigen – stiften: Der rechtschaffene Kaufmann Heinrich Vetter – ein öffentliches Bild wird korrigiert“, einen inszenierten und bebilderten Wortwechsel.